Der Katastrophenschutz der Insel hat sich auch im Fall des Hurrikans »Matthew« bewährt. Solidarität hilft beim Wiederaufbau.
Der Hurrikan »Matthew« hat Anfang Oktober die Menschen in der Karibik und an der Ostküste der Vereinigten Staaten hart getroffen. Nach bisheriger Bilanz fielen ihm Hunderte Menschen zum Opfer, die meisten in Haiti, einige in der Dominikanischen Republik und 24 in den USA. Kuba, über dessen Ostspitze der Wirbelsturm am 4. und 5. Oktober zog und Städte wie Maisí, Imías, San Antonio del Sur und Baracoa zu großen Teilen zerstörte, hat keine Toten zu beklagen. Der Grund dafür ist für westliche Medien ein Tabuthema.
Nach Abzug des Hurrikans plagen die Betroffenen in der Karibik ganz unterschiedliche Sorgen. Nach Schätzung der Vereinten Nationen haben 2,1 Millionen Haitianer unter Sturmschäden zu leiden, 1,4 Millionen von ihnen benötigen dringend humanitäre Hilfe. Da die Ernte vernichtet wurde, droht eine Hungersnot, außerdem breiten sich Seuchen aus. Die 2010 von UN-Blauhelmsoldaten ins Land eingeschleppte Cholera ist erneut auf dem Vormarsch. Kuba und Venezuela helfen bereits mit Medikamenten und Ärztebrigaden. Anfang vergangener Woche nahm eine Gruppe von 38 Spezialisten zur Seuchenbekämpfung, die das Kontingent der 600 bereits in Haiti eingesetzten kubanischen Ärzte verstärken, die Arbeit auf. Der reiche Nachbar USA ist zu derartigen Hilfsaktionen – wie schon bei der Bekämpfung der Ebolaseuche in Westafrika – nicht fähig. In den Vereinigten Staaten fürchten nun nicht oder nur schlecht versicherte Hausbesitzer, wie Tausende Leidensgenossen nach den Stürmen »Sandy« (2012) und »Katrina« (2005), von Spekulanten vertrieben zu werden.
Im Osten Kubas, wo »Matthew« eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hat, muss niemand Angst vor Spekulanten haben. Dort werden in dieser Woche die unmittelbar nach dem Abziehen des Hurrikans begonnenen Aufräumarbeiten fortgesetzt. Die Grundversorgung mit Wasser, Strom und Lebensmitteln ist wieder weitgehend gesichert, wozu auch Hilfe aus dem Ausland beigetragen hat. Am Donnerstag legte im Hafen von Santiago de Cuba das erste Schiff aus Venezuela mit 327 Tonnen Hilfsgütern an. Allerdings sind große Teile der regionalen Infrastruktur zerstört, Straßen unbefahrbar und Brücken nur notdürftig repariert. Der Wiederaufbau und die Reparatur von Wohnhäusern, öffentlichen Gebäuden, Strom-, Gas-, Wasser- und Telefonleitungen werden nach Schätzung der örtlichen Behörden noch Monate dauern. Die Regierung hilft den Bürgern zwar mit einem 50prozentigen Preisnachlass auf Baumaterialien für die Instandsetzung ihrer Häuser. Doch für das noch immer unter der US-Blockade leidende Land sind Mängel in anderen Bereichen vorhersehbar. Das deutsche »Netzwerk Cuba« und andere Solidaritätsorganisationen rufen deshalb auf ihren Internetseiten zu Spenden auf.
Es ist einem ausgeklügelten System zur Vorsorge zu verdanken, dass »Matthew« in Kuba keine Toten hinterließ. Ist ein Sturm im Anmarsch, werden Rettungstrupps in die bedrohten Regionen abkommandiert. Transportmittel zur Evakuierung werden bereitgestellt, Katastrophenschutz, Seuchenspezialisten, Rettungseinheiten der Armee und Tausende gut ausgebildete freiwillige Helfer in Alarmbereitschaft versetzt. Alte, Schwache, Kranke und Kinder werden frühzeitig in Sicherheit gebracht.
Nachdem der Hurrikan »Flora« am 4. Oktober 1963 – also nur vier Jahre nach dem Sieg der Revolution – die Insel verwüstet und mehr als 1.000 Menschenleben gefordert hatte, waren auf Initiative Fidel Castros die ersten Konzepte zur Vermeidung von Opfern und zur Reduzierung der Schäden durch das periodisch wiederkehrende Naturphänomen erarbeitet worden. Heute verfügt Kuba nicht nur über das beste Evakuierungs- und Rettungssystem der Welt, sondern ist auch bei der Beseitigung von Sturmschäden effizienter als andere Länder. An erster Stelle steht dabei immer die Rettung von Menschenleben.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
Junge Welt, 17.10.2016