»Solidarität ist weiter wichtig«

UN-Generalversammlung stimmt am 26. Oktober zum 25. Mal über die US-Blockade gegen Kuba ab. Gespräch mit Botschafter René Mujica.


Hintergrund: Blockade

Die Bevölkerung und Ökonomie Kubas leiden bereits seit mehr als 50 Jahre unter einer umfassenden Blockade ihrer internationalen Wirtschafts-, Handels- und Finanzbeziehungen durch die USA.

Ein Jahr nach dem Sieg der Revolution am 1. Januar 1959 ordnete der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower erste Handelsbeschränkungen gegen die Insel an. Das erfolgte bereits zwei Jahre vor dem offiziellen Beginn der Blockade und als Reaktion auf die Ankündigung der revolutionären Regierung, alle US-Konzerne auf der Insel zu enteignen. Nach der von Washingtons Geheimdienst CIA im April 1961 organisierten, aber gescheiterten Invasion in der Schweinebucht untersagte Präsident John F. Kennedy dann am 7. Februar 1962 sämtliche Handelsbeziehungen zwischen den USA und Kuba. Zwei Wochen später wurde die Einfuhr von Produkten auch aus Drittländern verboten, wenn ein Rohstoff dafür aus Kuba kam. Schiffe, die die Antilleninsel anlaufen, dürfen für mindestens sechs Monate nicht in einem US-Hafen festmachen. Auch wurde es den »freien Bürgern« der USA bei Strafe verboten, nach Kuba zu reisen.

In den letzten 25 Jahren wurden die Bestimmungen ständig weiter verschärft. Seit 1992 sind die Blockadebeschlüsse als »Cuban Democracy Act« in einem Bundesgesetz festgeschrieben. Mit dem »Helms Burton Act«, von Präsident William Clinton im März 1996 unterzeichnet, werden unter anderem ausländischen Bürgern und Firmen Sanktionen angedroht, wenn sie in Wirtschaftsgüter investieren, auf die US-Bürger Besitzansprüche erheben. Nach diesem Gesetz kann die Blockade außerdem nur unter der Bedingung ausgesetzt oder aufgehoben werden, dass in Kuba ein Systemwechsel stattfindet.

Als Ziel der Blockade wurde in einem Memorandum der US-Regierung vom 6. April 1960 – also bereits vor deren offiziellem Inkrafttreten – vorgegeben: »Das Provozieren von Enttäuschung und Entmutigung durch wirtschaftliche Not.« Konkret, heißt es, solle das »Verbot von Lieferungen und Geldzahlungen die Ökonomie schwächen, zu sinkenden Einkommen führen, Hunger, Elend und Verzweiflung erzeugen und so zum Sturz der Regierung beitragen«. Diese Ziele bestimmen die Kuba-Politik der USA bis heute. Unter US-Präsident Barack Obama wurde die systematische Durchsetzung der Blockadeziele in Drittländern weiter vorangetrieben, obwohl 191 der 193 UN-Mitgliedsländer im vergangenen Jahr die Beendigung der US-Blockade gegen Kuba forderten.

Mit einem Klick auf »Votar« (Abstimmen) auf der Internetseite www.cubavsbloqueo.cu kann die Forderung nach einer Aufhebung der Blockade unterstützt werden. (vh)

Vor rund 22 Monaten haben die Präsidenten Raúl Castro und Barack Obama angekündigt, die diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und den USA wieder aufzunehmen. Wie weit ist man in diesem Normalisierungsprozess inzwischen gekommen?

Für eine Normalisierung müssen der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen weitere, fundamentale Schritte folgen. Als erstes muss die Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade der USA gegen Kuba, die der Bevölkerung unmittelbaren Schaden zufügt, beendet werden. Diese Blockade ist das Haupthindernis für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres Volkes sowie eine massive und eklatante Verletzung seiner Menschenrechte. Die Rückgabe des von den USA illegal besetzten Gebietes in der Bucht von Guantánamo, die Beseitigung der einseitigen US-Migrationspolitik, die Einstellung der illegalen Radio- und Fernsehsendungen und der auf eine Destabilisierung Kubas zielenden Programme sowie eine Wiedergutmachung für die unserem Volk durch die Blockade zugefügten menschlichen und wirtschaftlichen Schäden sind ebenfalls Voraussetzungen für eine Normalisierung. Zahlreiche Fragen sind noch ungeklärt. Auf der anderen Seite hat es in einigen Bereichen von beiderseitigem Interesse auch Fortschritte gegeben. Beispiele dafür sind das Vorgehen gegen den Drogenhandel, der Umgang mit Ölkatastrophen auf See oder das Management von ländlichen Schutzgebieten. Zur positiven Bilanz gehört auch die Freilassung der letzten drei unserer fünf Helden im Dezember 2014, die jetzt alle in der Heimat sind, und die Streichung Kubas von der US-Liste der Länder, die den Terrorismus fördern. Ebenfalls positiv sind Einrichtung und Arbeit einer bilateralen Kommission »Kuba–USA« und die Wiederaufnahme des Postverkehrs und der regelmäßigen Linienflüge zwischen beiden Ländern. Kurz zusammengefasst: Wir befinden uns in einem komplizierten und dynamischen Prozess, in dem es noch immer Hindernisse gibt, die überwunden werden müssen.

Präsident Obama hat den US-Kongress gebeten, die Blockade gegen Kuba zu beenden und angeordnet, einige Sanktionen aufzuheben. Wie bewerten Sie das?

Ich denke, man muss die von Präsident Obama angeordneten Maßnahmen durchaus anerkennen. Doch trotzdem wird die Blockade gegen Kuba weiterhin mit allen Konsequenzen aufrechterhalten. In den Jahren 2015 und 2016 wurden zwar einige ihrer Regelungen verändert, aber das hat an den realen Auswirkungen nichts geändert. Es sind kleine, durchaus positive, aber nicht sehr effektive Schritte. Deshalb ist das Ergebnis eindeutig unzureichend.


In europäischen und deutschen Medien ist oft zu lesen, dass die kubanische Regierung die Blockade als Vorwand benutzt, um selbst verursachte Probleme herunterzuspielen.

Der wirtschaftliche Schaden, der dem kubanischen Volk seit Beginn der Blockade zugefügt wurde, beträgt mittlerweile nicht weniger als 125 Milliarden US-Dollar. Details dazu enthält der aktuelle Bericht Kubas, der im Internet veröffentlicht wurde. Seit über 20 Jahren fordern fast alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Beendigung der Blockade gegen unser Land. Am 26. Oktober werden sie erneut abstimmen. Wenn die US-Sanktionen der kubanischen Regierung nur zur Rechtfertigung dienen, warum nehmen die USA uns dann nicht diese Möglichkeit? Durch die Aufhebung der Blockade wäre das doch sehr einfach.

Im diesjährigen Bericht Kubas an die UN-Generalversammlung wird auf die exterritoriale Anwendung der Blockade hingewiesen. Können Sie aktuelle Beispiele dafür nennen?

Ich will hier nur einige erwähnen. Im März 2016 wurde die deutsche Commerzbank nach einer ihr von den US-Behörden auferlegten Strafe in Höhe von 1,7 Milliarden Dollar gezwungen, ihre Geschäftsbeziehungen zu Kuba einzustellen. Im August 2016 konnten Zahlungen für die von kubanischen Ärzten in den Bereichen Mutter-Kind-Versorgung und Augenheilkunde erbrachten Leistungen nicht ausgeführt werden, weil sich die Korrespondenzbanken der Commerzbank und der belgischen KBC-Bank weigerten, den von der Algerischen Bank angewiesenen Betrag von 12,5 Millionen Euro zu transferieren. Erst kürzlich hat die europäische Filiale des Onlinebezahldienstes Pay-Pal mit Sitz in Luxemburg zum wiederholten Mal Überweisungen von Kunden in Deutschland abgelehnt, weil in der Zeile Verwendungszweck das Wort »Kuba« auftauchte.

Der Rat der damaligen Europäi­schen Gemeinschaft hat 1996 in einer Verordnung festgestellt, dass die Blockade das Völkerrecht verletzt. Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob die Europäer diese Verordnung anwenden?

Es ist ja unstrittig, dass die Blockade gegen internationales Recht verstößt. Während meiner Zeit als Diplomat in Europa bin ich mehrfach mit ihrer exterritorialen Anwendung konfrontiert worden. Mir ist jedoch nicht bekannt, dass die von Ihnen erwähnte europäische Verordnung auch nur ein einziges Mal angewendet wurde.

Die Bundesrepublik stimmt in der UN-Generalversammlung seit Jahren regelmäßig für Kubas Antrag zur Beendigung der Blockade. Erwarten Sie, dass die Bundesregierung mehr als das tut?

Wir haben der deutschen Regierung unseren Dank für die Unterstützung des kubanischen Antrags zur Beendigung der Blockade übermittelt. Wie die Bundesregierung selbst erklärte, hat Deutschland gegenüber der Regierung der Vereinigten Staaten auch wiederholt die exterritoriale Anwendung der US-Sanktionen gegenüber Kuba zurückgewiesen. Wir hoffen und erwarten, dass die deutsche Regierung zu dieser Position steht, damit die Blockade endlich beendet wird. Außerdem sollte sie dafür sorgen, dass die US-Sanktionen nicht die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern behindern und ihre eigenen Bürger weder einschränken noch ihnen schaden.

Die UN-Generalversammlung hat bereits 24mal in Folge die Beendigung der Blockade gefordert. Im letzten Jahr haben 191 der 193 Mitgliedsländer den Antrag Kubas unterstützt. Doch Washington ignoriert diese Beschlüsse der Vereinten Nationen. Warum stellt Kuba den Antrag am 26. Oktober trotzdem – und nun zum 25. Mal?

Solange die Blockade besteht, wird Kuba ihre bedingungslose Aufhebung verlangen. Wir sollten die moralische Autorität und die mobilisierende Rolle der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen sie nicht unterschätzen. Sie sind eine wichtige Rückendeckung für Präsident Obama und andere Politiker in den USA, wie die Kongressabgeordneten, welche die Forderung zur Beendigung dieser grausamen Politik der Blockade unterstützen.

In der Bundesrepublik gibt es eine sehr aktive und vielschichtige Solidaritätsbewegung mit Kuba. Womit kann sie die Menschen auf der Insel in der nächsten Zeit am wirkungsvollsten unterstützen?

Ich möchte hier zunächst unseren Freunden in allen Teilen Deutschlands unseren Dank für ihre anhaltende Unterstützung aussprechen. Ich denke, dass ihre Solidarität weiterhin sehr wichtig ist und sich in dieser Zeit auf die Unterstützung von Kubas berechtigten Forderungen gegenüber den USA konzentrieren sollte. An erster Stelle steht dabei jetzt die endgültige Aufhebung der Blockade. Aber auch für die Forderungen nach Rückgabe des illegal besetzten kubanischen Territoriums in der Bucht von Guantánamo, nach Einstellung der subversiven Programme und der Beendigung des Einsatzes der US-Migrationspolitik als politischer Waffe gegen Kuba bitten wir um Solidarität. Schließlich besteht aus meiner Sicht eine der wichtigsten Herausforderungen darin, weiterhin und verstärkt die Wahrheit über Kuba zu verbreiten.

Erlauben Sie mir zum Schluss eine hypothetische Frage: Glauben Sie persönlich daran, dass die Tage der US-Blockade gegen Kuba gezählt sind, egal, wer nächster Präsident der USA wird?

Ich habe in der Tat die Hoffnung, dass das so sein wird. Die Blockade ist von der Geschichte bereits dazu verurteilt, endgültig zu verschwinden. Künftige Generationen werden sie als eine politische, rechtliche und ethische Ungeheuerlichkeit in Erinnerung behalten. Wie ein großer Teil der Bürger in den Vereinigten Staaten hat Präsident Obama das verstanden. Wer immer ihm im Weißen Haus nachfolgt, muss genau wie diejenigen, welche die Sitze im nächsten Kongress einnehmen werden, die eigene Position vor der Geschichte verantworten. Genauso, wie wir für zivilisierte Beziehungen zu den USA auf der Basis der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Respekts eintreten, wird das kubanische Volk nicht nachlassen, für die Beendigung der Blockade zu kämpfen und weiterhin seine Rechte verteidigen.

Der Diplomat René Juan Mujica Cantelar ist nach Stationen bei den Vereinten Nationen, in den USA, der EU, Frankreich und Großbritannien seit Oktober 2013 Botschafter der Republik Kuba in der Bundesrepublik Deutschland.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Interview: Volker Hermsdorf
Junge Welt, 15.10.2016