»Matthew« wütete sechs Stunden

Venezuela schickt Hilfsgüter zum Wiederaufbau in den betroffenen Ostteil Kubas.

Baracoa ist der älteste und einer der malerischsten Orte Kubas. Nachdem Hurrikan »Matthew« vor einer Woche mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 Stundenkilometern eine Schneise der Verwüstung durch den Ostzipfel der Insel schlug bietet sich hier nun vor allem ein Bild der Zerstörung: abgedeckte und zum Teil zusammengestürzte Häuser, beschädigte Schulgebäude und Lagerhallen, abgeknickte Stromleitungsmasten. 70 Prozent aller Wohnhäuser wurden nach offiziellen Angaben in Mitleidenschaft gezogen. Zeitweise war die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten, das Telefon-, Rundfunk- und Fernsehnetz zusammengebrochen. »So etwas haben wir noch nie erlebt«, so Bewohner gegenüber der Tageszeitung »Granma«. »Sechseinhalb Stunden hat der Wind gewütet; zehn Meter hohe Wellen, während Blitz und Regen nicht aufgehört haben«, schildert eine junge Frau.

Dass »Matthew« in Kuba keine Menschenleben forderte, wie im benachbarten Haiti, wo hunderte Menschen starben, hat vor allem mit dem kubanischen Frühwarnsystem und Zivilschutz zu tun.

Etwa 1,3 Millionen Menschen waren vor dem Sturm evakuiert worden. Die meisten sind wieder in ihre Häuser zurückgekehrt; in der am stärksten betroffenen Provinz Guantanamo harren allerdings Tausende weiterhin in Notunterkünften oder bei Freunden aus.

Mittlerweile ist der Wiederaufbau in vollem Gange. Bereits am Tag nach dem Wirbelsturm trafen die ersten technischen Brigaden in Baracoa ein, um die Strom- und Trinkwasserversorgung sowie Straßen wiederherzustellen. Präsident Raúl Castro reiste am Wochenende in die Provinz Guantanamo, um die Schäden zu begutachten und den Wiederaufbau zu koordinieren. Am selben Tag gab die Regierung bekannt, Privatpersonen die Hälfte der Materialkosten für den Wiederaufbau ihrer durch »Matthew« zum Teil bzw. vollständig beschädigten Häuser zu finanzieren. Die fehlende Summe können die Betroffenen als Bankkredite zu einem niedrigen Zinssatz und verlängerter Laufzeit beantragen. Jene, die keine Kredite erhalten, können die vollständige Kostenübernahme durch den Staat beantragen. Eine ähnliche Maßnahme hatte es 2012 gegeben, als Wirbelsturm »Sandy« in Kubas zweitgrößter Stadt Santiago de Cuba schwere Zerstörungen angerichtet hatte.

Auch das UNO-Büro in Kuba bot in einem Kommuniqué Hilfe an und äußerte gleichzeitig »Bewunderung« für getroffenen Präventivmaßnahmen, die geholfen hätten, den Verlust von Menschenleben zu verhindern.

Kubas Hurrikanschutz und Vorwarnsystem sind beispielhaft. 1964 war Kubas Schule für Meteorologie gegründet worden und ein Jahr später das staatliche Metereologie-Institut, um systematisch technisches Personal auszubilden. Heute gibt es auf der gesamten Insel 70 Wetterstationen und ausreichend Wissenschaftler. Vor allem aber existiert ein effizient funktionierender Zivilschutz (Defensa Civil), der die Bevölkerung vorbereitet und so die Auswirkungen von Naturkatastrophen begrenzt. Im Fall wie dem von Hurrikan »Matthew« übernehmen die uniformierten Chefs des Zivilschutzes das Kommando über ihr jeweiliges »Territorium«, d. h. die Fahrzeuge der Staatsbetriebe, öffentliche Busse, Unterkünfte, medizinisches Personal, Lebensmittel - alles untersteht ihrer Verfügungsgewalt. Nur so lassen sich die Evakuierungen in der Größenordnung von mehr als einer Million Menschen relativ reibungslos bewerkstelligen. Die meisten dieser »Kommandeure« sind keine Berufsuniformierten, sondern haben normale zivile Berufe.

Bis Baracoa und die anderen betroffenen Ortschaften wiederhergestellt sind wird es wahrscheinlich noch dauern. Am Wochenende schickte Venezuela Lastwagen, Tanks, Mischer, Bagger, Gabelstapler und anderes Gerät zum Wiederaufbau nach Kuba. Zuvor hatte Caracas bereits 130 Tonnen Lebensmittel, Wasser und Medikamente nach Haiti gesandt. Haiti ist vom Hurrikan besonders betroffen. Mehrere Hundert Menschen starben dort.

Kubas Regierung gab bekannt, dass 38 Spezialisten für Katastrophenmedizin und Epidemien nach Haiti entsandt wurden. Seit Jahren helfen kubanische Ärzte im Nachbarland bei der Versorgung der Bevölkerung. Bereits nach dem schweren Erdbeben vor sechs Jahren hatte Kuba als erstes Land Soforthilfe und medizinisches Personal nach Haiti geschickt.

Spenden für die Hurrikanopfer in Kuba können geleistet werden an:
NETZWERK CUBA e.V., Berlin
DE58 1001 0010 0032 3331 00
BIC: PBNKDEFF; Verwendungszweck: »Spende Hurrikan Matthew«

Neues Deutschalnd

Andreas Knobloch, Havanna
Neues Deutschland, 12.10.2016