Revolte gegen die Herren

Die auf Zucker und Tabak ausgerichtete Ökonomie Kubas basierte lange Zeit ausschließlich auf Sklavenarbeit. Nach langen Kämpfen wurde vor 130 Jahren auf der karibischen Insel die Sklaverei abgeschafft.

In Kuba wird heute an die Befreiung der Sklaven erinnert. Bis zum 7. Oktober 1886, dem Tag, an dem die »roheste und primitivste Form der Ausbeutung« – wie Karl Marx die Sklaverei bezeichnete – auf der Insel per Gesetz abgeschafft wurde, hatte sich eine Elite aus Sklavenbesitzern und skrupellosen Geschäftemachern auf beiden Seiten des Atlantiks über alle Verbote und Verträge zur Beendigung des Menschenhandels hinweggesetzt, Aufstände niedergeschlagen und Befreiungskämpfen getrotzt. Während Hunderttausende aus Afrika verschleppte Männer und Frauen entwürdigt, gequält und getötet wurden, machten die bis zur Revolution in Kuba herrschenden Kreise auf deren Rücken Millionengewinne. Nur Brasilien schaffte die Sklaverei noch später, im Jahr 1888 und als letzter Staat auf dem Kontinent, ab. Kuba ist jedoch das Land Amerikas, in dem das verbrecherische System der Sklavenhaltung am längsten aufrechterhalten wurde.

Menschenhandel

Knapp 20 Jahre nachdem Kolumbus 192 zum ersten Mal kubanischen Boden betreten hatte, kam der Eroberer und spätere Gouverneur Diego Velázquez im Jahr 1511 in die Karibik, um die Insel in das spanische Kolonialsystem einzugliedern. Auf ihren Karavellen brachten die Spanier die ersten schwarzen Sklaven aus Andalusien mit. Schätzungen zufolge wurden in den nächsten 250 Jahren etwa 60.000 aus Afrika verschleppte Menschen – meist auf Schiffen unter britischer Flagge – nach Kuba geschafft und dort von europäischen und einheimischen Sklavenhändlern verkauft. Da der Markt expandierte, blühte neben dem offiziellen Handel auch das Geschäft mit aus Jamaika oder anderen Karibikinseln geschmuggelten Menschen. Insgesamt sollen auf diese Weise im gleichen Zeitraum noch einmal um die 30.000 Sklaven ins Land gekommen sein.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahm die weltweite Nachfrage nach Zucker rasant zu. Um 1850 war Kuba zum weltgrößten Produzenten des »weißen Goldes« aufgestiegen. Die Plantagen und Zuckerfabriken im heutigen Touristenziel »Valle de los Ingenios« (Tal der Zuckermühlen) bei Trinidad, in den Regionen um Matanzas, Havanna und anderen Teilen des Landes galten als die modernsten Agrikulturbetriebe der Welt. Mit Zunahme der Produktion wuchs auch der Bedarf an Arbeitskräften, vornehmlich Sklaven, die für die Besitzer rentabler waren als freie Lohnarbeiter. Denn während jene ihre Arbeitskraft als Ware verkauften, die den Gesetzen des Marktes unterlag, waren die Sklaven selbst die Ware. Einmal bezahlt wurden sie zum Eigentum ihrer Herren. Die Kosten für ihre Erhaltung waren unabhängig von der Dauer ihrer Arbeitszeit. Das verschaffte Kubas Unternehmen im Produktionswettlauf Vorteile gegenüber den Konkurrenten in Ländern, in denen die Sklaverei bereits abgeschafft war. Jahrzehnte später kehrte sich dieser Vorteil allerdings um, da Sklaven auch bei sinkender Nachfrage und fallenden Preisen für Agrarerzeugnisse das ganze Jahr über am Leben erhalten werden mussten, obwohl die Ernte nur wenige Monate dauerte.

Außer in der Zuckerproduktion wurden Sklaven auch auf Kaffee- und Tabakplantagen sowie anderen Bereichen der Landwirtschaft und zur Hausarbeit eingesetzt. Obwohl die Abolitionsbewegung in Europa und Nordamerika bereits erste Erfolge verzeichnete, erlebte der Menschenhandel in der Karibik im 19. Jahrhundert einen erneuten Boom. Havanna, Santiago de Cuba und Cienfuegos waren die Zentren des Sklavenhandels in der Karibik. Von den rund zehn Millionen Afrikanern, die ihre Verschleppung auf den amerikanischen Kontinent überlebten, wurden über die Jahrhunderte knapp eine Million nach Kuba geschafft.(1) Im Jahr 181 lebten insgesamt rund eine Million Menschen auf der Insel, davon waren mehr als 3 Prozent Sklaven. Ihnen verdankte Kuba, das bis zum Jahr 1868 zur reichsten Kolonie der Welt geworden war, seine Stellung. Heute dürfte es auf der Insel kaum eine Familie geben, zu der nicht Nachkommen früherer Sklaven gehören.

Afrikaner auf Kuba

Nachdem sie mit der Fahrt über den Atlantik in den Augen ihrer »Besitzer« endgültig in eine Ware verwandelt worden waren, verhalfen die aus Afrika geraubten Menschen der kubanischen Oligarchie, europäischen Geschäftsleuten und nordamerikanischen Eignern der Zuckerfabriken zu Reichtum und Macht. Sie selbst aber mussten unter erbärmlichen Bedingungen leben. Die kubanischen Ethnologen Fernando Ortiz (1881–1969) und der 190 in Havanna geborene Miguel Barnet, derzeit Vorsitzender des Schriftsteller- und Künstlerverbandes UNEAC, haben die damalige Lage der afrokubanischen Bevölkerung aus der Perspektive der Betroffenen beschrieben. In seinem 1966 veröffentlichten Werk »Der Cimarrón« zeichnete Barnet die Lebensgeschichte des entflohenen Sklaven Esteban Montejo (1860–1965) auf, die dieser dem Autor im Alter von 10 Jahren anvertraut hatte. Montejo beschrieb die ­entwürdigenden ­Zustände auf den Plantagen, seine Flucht, seine Verstecke in Wäldern (wo die entlaufenen Sklaven, die sogenannten Cimarrones, befestigte Siedlungen, die Palenques, anlegten) und wie er schließlich als Guerillakämpfer, als »Mambi«, am Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier teilgenommen hatte.

Auch im Ausland wurden die Zustände zum Thema. Ein junger Deutscher beobachtete mit Entsetzen, wie Plantagenbesitzer ein Feld anzünden ließen, in dem sich ein entflohener Sklave versteckt hatte. »Er zog den Tod gegenüber der Gefahr vor, sich fangen zu lassen«, notierte der damals 35jährige Forscher Alexander von Humboldt (1769–1859), dessen umfangreiches »Tagebuch Havanna 180« erst kürzlich von kubanischen und deutschen Wissenschaftlern entdeckt und Ende des vergangenen Monats in Berlin präsentiert worden ist. Auch Kubas Nationalheld, der Pädagoge und Schriftsteller José Martí (1853–1895), beschrieb die Greuel der Sklaverei. »In endlosen Reihen hetzten die nackten Sklaven dahin«, beginnt in seinem Zyklus »Einfache Verse« die Schilderung einer Szene, die er als kleiner Junge mit ansehen musste. Dazu schrieb Martí: »Als die Sonne am Himmel so rot / wie in der Wüste aufging, / traf ihr Strahl einen Sklaven, der tot / an einem Ceiba-Baum hing.« Das Gedicht endet: »So sah ihn ein Kind – und voll Schauer / schwor es vor ihm, das Verbrechen / für alle, in Tränen und Trauer, / mit seinem Blute zu rächen.«

Die über das Meer verschleppten Sklaven und ihre Nachkommen haben die Gesellschaften der Karibik verändert und nachhaltig geprägt. Eine der bedeutendsten Säulen der kubanischen Kultur geht auf die aus Afrika stammenden, von Sklaven eingeführten Mythen zurück. »Der unglückliche Sklave wurde nackt nach Kuba verschleppt. Er musste alles dort, wo er geboren worden war, zurücklassen und konnte nichts Materielles mitnehmen. Das einzige, was er mitbrachte, war in seinem Inneren«, schrieb Fernando Ortiz. In ihrem, nur in der Vorstellung existierenden, Gepäck konnten die Afrikaner allein ihre Erinnerungen, Rituale, Tänze, Gesänge und Musik, ihre Sprachen und Religionen mit auf die Inseln im Karibischen Meer nehmen, wo sie für immer ansässig wurden. Neben ihrer religiösen Bedeutung finden die Mythen bis heute in großen Teilen des Volkes praktische Anwendung. Kubabesuchern werden die afrikanischen religiösen Traditionen und deren Vermischung mit dem Christentum oft folkloristisch und vereinfachend als »Santería« nahegebracht. Der Schriftsteller Miguel Barnet beschreibt die Santería, die »Regla de Ocha« und die »Regla de Palo Monte«, umfassender als »Transkulturation von Elementen, die ihre Pflanzstätte in Kuba fanden und die uns mit einem kraftvollen Lebenssaft genährt haben, welcher der kubanischen Kultur eine ganz besondere Würze verleiht (…) und sie zu immer neuer Blüte bringt.«(2) Die Rituale, Zeremonien, Symbole und die Spiritualität einer für Außenstehende oft geheimnisvollen Welt, die der Synkretismus erschuf, sind auch im heutigen Kuba allgegenwärtig.

Aufstände und Krieg

Ende 183 waren in der Region Matanzas von der Zuckerplantage »Triunvirato« täglich die Klänge von Trommeln, der von den Weißen nicht kontrollierbaren Kommunikation, zu hören. Bald ertönten sie auch auf anderen Plantagen. Am 5. November 183 führte Carlota, eine Sklavin vom Stamm der Lukumí aus dem westafrikanischen Volk der Yoruba, den Aufstand gegen den Besitzer und seine Aufseher an. Auf anderen Pflanzungen, den Kaffeeplantagen und in den Zuckerfabriken rebellierten die Sklaven ebenfalls. Der Aufstand wurde unterdrückt, Carlota ein Jahr später im Kampf getötet. In Kuba wird sie bis heute als Heldin verehrt und gilt als Identifikationsfigur im Kampf gegen den Rassismus. Als Fidel Castro 1975 Angola die Unterstützung Kubas bei der Verteidigung gegen das südafrikanische Apartheidregime zusagte, legte er den Beginn der Aktion symbolträchtig auf den 5. November fest und gab ihr den Namen »Operation Carlota«. In Kuba steht »Carlota« für die zweite, massive Revolte der Sklaven auf der Insel. Am Ort der früheren Zuckerplantage »Triunvirato« in Matanzas erinnert heute ein Museum an die Sklavenaufstände und die Mission in Angola.

Erste größere Aufstände hatte es auf Kuba bereits nach dem Erfolg der Haitianischen Revolution gegeben. Im Jahr 1791 kursierten in den Unterkünften und Palenques Gerüchte, dass die Sklaven auf der Nachbarinsel Hispaniola sich erhoben hätten. Drei Jahre später verkündete deren Anführer François-Dominique Toussaint Louverture die Abschaffung der Sklaverei. Am 1. Januar 180 wurde die erste von Schwarzen geführte Republik mit dem Namen Haiti ausgerufen. In den folgenden Jahren rebellierte auch eine große Zahl der Sklaven auf Kuba. Ihr Widerstand blieb letzten Endes aber erfolglos. Doch dann rief der Gutsbesitzer Carlos Manuel de Céspedes am 10. Oktober 1868, von seiner Zuckerhacienda in Yara aus, zum Kampf gegen die spanische Kolonialmacht auf. Er verlangte zudem die Abschaffung der Sklaverei und erklärte die Unabhängigkeit Kubas. Mit dem »Grito de Yara« (Ruf von Yara) begann der kubanische Unabhängigkeitskampf und der erste, zehn Jahre dauernde, Befreiungskrieg. Céspedes ließ seine eigenen Sklaven frei und ermutigte sie, sich am Kampf zu beteiligen. Die Aufgerufenen schlossen sich massenhaft der ­Unabhängigkeitsbewegung an. Die »Mambises« genannten, meist nur mit Macheten bewaffneten, Kämpfer wurden zur Triebkraft der Rebellion und – aus unterschiedlichen Gründen – sogar von einigen Plantagenbesitzern unterstützt. Die Pflanzer revoltierten gegen das sogenannte Mutterland, die Sklaven gegen ihre Ketten.

Als die Führung der Bewegung nach zehn Jahren keine Chance für einen militärischen Erfolg sah und einen Friedensvertrag (Pacto de Zanjón) mit Spanien schloss, ­widersetzte sich der General Antonio Maceo, ein Mulatte, unter anderem deswegen, weil er den Kampf bis zur Abschaffung der Sklaverei fortsetzen wollte. In Mangos de Baraguá bei Santiago erklärte Maceo, dass er den Vertrag von Zanjón nicht akzeptiere und den Krieg fortsetzen werde. Davon wollten die kreolischen Großgrundbesitzer jedoch nichts wissen. Sie fürchteten, dass die Fortsetzung des Befreiungskrieges ihre Geschäfte stören würde. Die Sklaven hatten andere Interessen. »Der Krieg musste sein. Die Toten wären auch so gestorben, und dann ohne Nutzen für irgendwen«, erklärte der Cimarrón Esteban Montejo seinem Interviewer Miguel Barnet. »Es war nicht gerecht, dass so viele Posten und Privilegien allein den Spaniern zufielen. (…) Man sah keinen schwarzen Rechtsanwalt, weil sie sagten, die Neger taugten nur für den Wald. Man sah keinen schwarzen Lehrer. Alles war für die weißen Spanier.« Über das Engagement der Sklaven im Krieg berichtet der Zeitzeuge: »Die Afrikaner kämpften wie die Teufel. (…) Um ihr Leben zu verteidigen, natürlich. Wenn einer sie fragte, zu wem sie hielten, sagten sie: ›Cuba libre‹. Niemand wollte unter der spanischen Herrschaft weiterleben. Niemand wollte noch einmal die Fußschellen spüren, Dörrfleisch essen oder im Morgengrauen Zuckerrohr schneiden. Deshalb zogen sie in den Krieg.«(4) Doch der Versuch, den Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien zu neuem Leben zu erwecken, blieb vorerst erfolglos. Auch das Geschäft mit der Sklaverei ging weiter.

Marktfreiheit als Rechtfertigung

Der Sklavenhandel, meint der Historiker Michael Zeuske, sei ein zentrales Element im Prozess einer frühen Globalisierung im 19. Jahrhundert, jenseits aller damals vorherrschenden nationalen Grenzen. »Die Akteure des Atlantiks«, schreibt er, »kamen von all seinen Küsten«.(5) Die Profiteure auf den drei Kontinenten beriefen sich gegenüber den Gegnern der Sklaverei auf die »Freiheit der Meere«, die »Freiheit des Marktes« und die »Freiheit des Handels«. Das reichte ihnen, um sich über alle zwischenstaatlichen und internationalen Vereinbarungen hinwegzusetzen. Spanien gehörte 1815 zu den Unterzeichnerstaaten der Schlussakte des Wiener Kongresses, die den Handel mit Sklaven ächtete. »Schon 1814 gingen Großbritannien und Spanien einen allgemeinen Vertrag ein, in dem Spanien den Sklavenhandel verurteilte«, schrieb Karl Marx 1858 in einem Zeitungsartikel zum Thema. »1817 wurde ein besonderer Vertrag geschlossen, durch den Spanien die Abschaffung des Sklavenhandels, soweit ihn seine eigenen Untertanen betrieben, für das Jahr 1820 festlegte (…). Im Jahre 1835 wurde ein neuer Vertrag eingegangen, durch den Spanien sich förmlich verpflichtete, ein genügend scharfes Strafgesetz zu schaffen, um es seinen Untertanen unmöglich zu machen, den Handel fortzusetzen. Wiederum hielt man es mit dem spanischen Sprichwort: A la mañana«.(6) Über die Folgen des von der Welt geduldeten, permanenten Rechtsbruchs bemerkt Zeuske: »Mittels des illegalen Handels mit menschlichen Körpern und der illegalen Gewinne der Menschenhändler wurde die Modernisierung der Zuckerproduktion auf den großen Plantagen im Westen Kubas finanziert, wo der effizienteste und profitabelste Plantagen-Zucker-Sklavenkomplex der gesamten Weltgeschichte entstand«.(7) Als durch wachsenden internationalen Druck und nach der Niederlage der Südstaaten von 1865 im Sezessionskrieg der USA das Ende der Sklaverei auch in Kuba immer wahrscheinlicher wurde, begannen Plantagenbesitzer über die Bedingungen einer Transformation zur freien Arbeit nachzudenken. So waren sie vorbereitet, als die Sklaverei am 7. Oktober 1886 auf der Insel per Gesetz abgeschafft wurde.

Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einem Einbruch der Zuckerproduktion in Kuba. Mit der Abschaffung der Sklaverei hatte das aber nichts zu tun. Der Grund lag vielmehr in der neuentstandenen Konkurrenz durch den billigeren europäischen Rübenzucker. Obwohl der Preis auf dem Weltmarkt auf einen zuvor nie für möglich gehaltenen Stand sank, entspannte sich die Situation für die kubanischen Anbieter nach einiger Zeit wieder. Durch Modernisierung der Maschinen und Optimierung der technischen Abläufe konnten sie die Produktivität steigern und sich im internationalen Konkurrenzkampf erfolgreich behaupten. Die Situation der ehemaligen Sklaven hatte sich dagegen nur unwesentlich verbessert. Da Großgrundbesitz und Plantagenwirtschaft weiterhin bestanden, hatten sie kaum Chancen, ihren Lebensstandard zu verbessern, ihre Einkünfte zu steigern oder eigenes Land zu erwerben. Die »befreiten« Sklaven hatten meist keine andere Wahl, als sich bei ihren ehemaligen Herren als Lohnarbeiter zu verdingen. Sie wurden, wie Karl Marx im ersten Band des Kapitals formulierte, »durch grotesk-terroristische Gesetze in eine dem System der Lohnarbeit notwendige Disziplin hineingepeitscht, -gebrandmarkt, -gefoltert«.(8) Als Lohn dafür erhielten sie zudem oft nicht mehr als eine Unterkunft und freie Verpflegung.

Dennoch fühlten sich viele ehemalige Sklaven jetzt als Kubaner, deren Wut auf die spanische Kolonialherrschaft zunahm. Nachdem José Martí im Exil die Generäle Máximo Gómez, Antonio Maceo und Calixto García für eine Neuaufnahme des bewaffneten Kampfes um die Unabhängigkeit Kubas gewinnen konnte, organisierten Mambises Aufstände im ganzen Land. Am 24. Februar 1895 sammelten sie sich in der ostkubanischen Ortschaft Baire um den schwarzen Anführer José Guillermó Moncada, und mit dem »Grito de Baire« begann der zweite Unabhängigkeitskrieg. Martí, Gómez und Maceo sorgten dafür, dass Schwarze, die den größten Teil der Kämpfer ausmachten, in der Rebellenarmee die gleichen Rechte wie ihre weißen Kameraden hatten. Martí ernannte Moncada zum Oberbefehlshaber der Provinz Oriente. Später wurde die Kaserne in Santiago de Cuba nach ihm benannt. Als die Spanier schon fast geschlagen waren, traten die USA in den Krieg ein. Den Vorwand dafür lieferte die Explosion des US-Kriegsschiffes »Maine« im Hafen von Havanna, den die kriegstreiberischen Medienmogule William R. Hearst und Joseph Pulitzer den Spaniern anlasteten. Nach einem Friedensvertrag zwischen Madrid und Washington wurde Kuba von 1899 bis 1902 unter US-Militärbesatzung gestellt und danach zu einer scheindemokratischen Pseudorepublik, die bis zum Sieg der Revolution im Jahr 1959 unter dem Einfluss der nördlichen Großmacht stand.

Anhaltender Rassismus

Doch auch nach dem Ende der spanischen Kolonialherrschaft wurden die ehemaligen Sklaven in der Praxis nicht zu Staatsbürgern mit gleichen Rechten. Auf der Zuckerinsel folgten der Sklaverei andere Formen des Rassismus. Zwar gab es in Kuba seit seiner formalen Selbständigkeit nie eine staatlich verordnete und legitimierte Rassentrennung wie noch bis 1964 in den USA, doch prägten Stigmatisierung und Ausgrenzung der schwarzen Bevölkerung die weiterhin von der weißen Elite dominierte kubanische Gesellschaft. Viele Bereiche blieben dem schwarzen Teil der Bevölkerung weiterhin verwehrt. Mit den US-Besatzern war auch deren Rassismus nach Kuba gekommen, den Esteban Montejo als schlimmer bezeichnet als die Arroganz der Spanier. Der Zeitzeuge beschrieb, wie die Soldaten aus dem Norden versuchten, die Schwarzen zu provozieren. »Sie nannten sie ›Nigger, Nigger‹. Und dann lachten sie. (…) In Cienfuegos musste eine Gruppe von Mambises sich mit der Machete ein paar amerikanische Soldaten vornehmen, die alle Criollas nehmen wollten, als ob sie Fleisch vom Markt wären.«(9) An anderer Stelle sagt Montejo über die Zeit der US-Besatzung: »Es gab nicht einen einzigen Kubaner, der nicht schrie: Viva Cuba libre!« Allerdings dürfe man den Nordamerikanern nicht die ganze Schuld geben: »Die Kubaner, die ihnen gehorchten, das waren die wahren Schuldigen.«(10)

Montejo und einige andere ehemalige Sklaven erlebten nach ihrer formalen »Befreiung« am 7. Oktober 1886 auch noch die tatsächliche – mit dem Sieg der Revolution am 1. Januar 1959. Die Verfassung des sozialistischen Kuba enthält nicht nur das Verbot jeglicher Rassendiskriminierung, sondern erklärt Rassismus auch zum Offizialdelikt und zur Straftat (Artikel 42). Soziale Menschenrechte wie das Diskriminierungsverbot in der Arbeitswelt oder das Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« haben Verfassungsrang (Artikel 43). Das ist noch keine Garantie, schafft aber eine Basis dafür, dass die noch immer vorhandenen Nachwirkungen der Sklaven- und Rassistengesellschaft weiter eingehegt werden können.

Anmerkungen 1 Michael Zeuske: Kleine Geschichte Kubas, 3. Aufl., München 2007, S. 73
2 Miguel Barnet, Afrokubanische Kulte, Frankfurt a. M. 2000, S. 8
3 Miguel Barnet: Der Cimarrón. Die Lebensgeschichte eines entflohenden Negersklaven aus Cuba, Frankfurt a. M. 1999, S. 175 f.
4 Ebd., S. 173 f.
5 Michael Zeuske: Die Geschichte der Amistad. Sklavenhandel und Menschenschmuggel auf dem Atlantik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2012, S. 8
6 MEW, Bd. 12, S. 507
7 Zeuske: Die Geschichte der Amistad, S. 9
8 MEW, Bd. 23, S. 765
9 Barnet: Der Cimarrón, S. 220 ff.
10 Ebd., S. 224

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf
Junge Welt, 07.10.2016