Kein Zurück in die 90er

Sitzung des kubanischen Parlaments in Havanna: Präsident Castro kündigt Sparmaßnahmen an.

Raúl Castro und sein Stellvertreter Miguel Díaz-Canel

Kubas Präsident Raúl Castro und sein Stellvertreter Miguel Díaz-Canel am Freitag in Havanna
Foto: Ismael Francisco / Cubadebate



In Havanna ist am Freitag (Ortszeit) die diesjährige Sommersitzung der Nationalversammlung der Volksmacht Kubas zu Ende gegangen. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die geplanten Sparmaßnahmen, die aufgrund einer akuten Liquiditäts- und Energiekrise notwendig wurden. In seiner Abschlussrede nahm Staatspräsident Raúl Castro dazu Stellung. Da das Wirtschaftswachstum niedriger ausgefallen sei als erwartet sowie wegen der »durch die niedrigen Rohstoffpreise verursachten Probleme einiger Verbündeter« und eines damit einhergehenden »gewissen Einbruchs der mit Venezuela vereinbarten Treibstofflieferungen« sei Kuba gezwungen, Einsparungen vorzunehmen, sagte Castro.


Schon vor einigen Wochen hatten zahlreiche Stimmen aus Kuba über Sparmaßnahmen im Staatssektor berichtet. Arbeiter wurden demnach schon zur Mittagszeit nach Hause geschickt, Klimaanlagen sollten lediglich wenige Stunden am Tag laufen, und die staatlichen Kinos reduzierten ihr Programm. Zusammen mit mehrstündigen Stromausfällen, die in letzter Zeit Havanna plagten, weckte das bei vielen Erinnerungen an die Sonderperiode der 1990er Jahre, als Kuba durch den Wegfall der sozialistischen Handelspartner in Europa in eine tiefe Rezession gestürzt war.

Solche Spekulationen wies Castro in seiner Rede zurück. »Wir leugnen nicht, dass Beeinträchtigungen, vielleicht auch noch stärkere als bisher, auftreten können. Aber wir sind vorbereitet und verfügen über bessere Ausgangsbedingungen als damals«, betonte der Staatschef gegenüber den Abgeordneten. Die anhaltende US-Blockade trage zur Verschärfung der Situation bei. Obwohl Kuba formell seit dem 15. März Transaktionen in US-Dollar abwickeln könne, sei aus Angst vor Sanktionen bisher noch keine Bank bereit, Geschäfte mit der Insel einzugehen. »Es gibt keinen Platz für Improvisation oder Defätismus«, betonte Castro.

Vor allem mit Blick auf den wichtigsten Handelspartner Venezuela ist die Lage ernst. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge gingen die Lieferungen von Rohöl- und Ölprodukten aus dem südamerikanischen Land im ersten Halbjahr 2016 um 20 Prozent zurück, die reinen Rohölexporte nach Kuba nahmen um 40 Prozent ab. In den vergangenen Jahren hatte Caracas etwa die Hälfte des kubanischen Erdölbedarfs gedeckt, Havanna revanchierte sich mit der Arbeit von rund 30.000 kubanischen Ärzten, die in Venezuela eingesetzt werden. Dieser für beide Seiten vorteilhafte Austausch wird durch die politische und wirtschaftliche Krise in Venezuela gefährdet. Zudem wurde die Qualität des Rohöls aus Venezuela laut Reuters schlechter. Bisher hatte Kuba einen gewissen Teil der venezolanischen Lieferungen in eigenen Raffinerien zu Benzin und Kerosin weiterverarbeitet und damit wichtige Deviseneinnahmen im dreistelligen Millionenbereich erzielt. Diese Möglichkeit fällt nun weg, da der aktuell vom südlichen Verbündete gelieferte Brennstoff schlechter zu verarbeiten ist.

Der einzige Weg, der der vom internationalen Kreditmarkt ausgeschlossenen Insel bleibt, heißt deshalb sparen. Marino Murillo, Vizepräsident des Ministerrates, erläuterte den Abgeordneten das Programm für die zweite Jahreshälfte: Der Öl- und Kraftstoffverbrauch des Landes soll um insgesamt 28 Prozent reduziert werden. Der Stromverbrauch soll um sechs Prozent sinken, die Importe werden um 15 Prozent reduziert. Auch die staatlichen Investitionen werden im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent zurückgehen, ausgenommen sind lediglich strategische Devisenbringer wie Tourismus und Nickelbergbau. Wie genau die Kürzungen umgesetzt werden, soll offenbar den Unternehmen selbst überlassen bleiben. Rückgänge beim Personentransport und bei den Benzinzuteilungen für Dienstwagen sind ebenso zu erwarten wie eine Beschränkung der öffentlichen Beleuchtung. Die Wohngebiete sollen von den Einsparungen verschont werden, und auch die jüngsten Preissenkungen für Lebensmittel sollen in Kraft bleiben.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Marcel Kunzmann
Junge Welt, 11.07.2016