Der 7. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) fand – wie im Statut vorgesehen im Fünf-Jahres-Rhythmus – vom 16. bis zum 19. April 2016 in Havanna statt.
Wiederum waren keine internationalen Bruderparteien eingeladen worden, was unter anderem mit dem nahezu komplett auf die Innenpolitik ausgerichteten Parteitagsprogramm zu begründen ist.
Zu Beginn des Parteitages wurde von Raúl Castro, der seit Fidel Castros Erkrankung 2006 als Erster Sekretär des Zentralkomitees fungiert und auf dem 6. Parteitag 2011 formal gewählt wurde, der Rechenschaftsbericht vorgetragen, der einstimmig angenommen wurde (nachzulesen bei Zentraler Bericht an den 7. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas ). Die vom Parteitag bearbeiteten Vorlagen behandelten vier wesentliche Elemente, die jeweils in Kommissionen von den etwa tausend Delegierten bearbeitet wurden: 1) Die Prüfung der bisherigen Ergebnisse der vor fünf Jahren begonnenen »Aktualisierung des kubanischen Sozialismus« sowie ein Ausblick auf die Leitlinien für den Zeitraum bis zum nächsten Parteitag; 2) einen Entwicklungsplan der kubanischen Gesellschaft bis zum Jahr 2030 mit der Festlegung strategischer Achsen zu seiner Umsetzung; 3) ein eigenständiges kubanisches Sozialismusmodell mit dem Arbeitstitel »Konzeptualisierung des kubanischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells zur sozialistischen Entwicklung«; 4) die Parteiarbeit zur Zielverwirklichung der Vorgaben der Nationalkonferenz im Jahr 2012.
Die Vorschläge zum Sozialismusmodell und zum Entwicklungsplan sollen die Parteimitglieder, der Jugendverband (UJC) und die Massenorganisationen noch in diesem Jahr debattieren und die Ergebnisse in das Zentralkomitee der Partei zurückgeben, sodass dort nach Einfügung der Debattenergebnisse eine endgültige Beschlussfassung vorgenommen werden kann. Anders als beim 6. Parteitag 2011, als mehrere Millionen Menschen in die Diskussion der Leitlinien einbezogen waren, wurden die anstehenden Dokumente dem Volk nicht vorab vorgelegt, sondern im Rahmen der in den Provinzen durchgeführten Delegiertenversammlungen vor insgesamt 3.500 Gästen aus den verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren besprochen. Das geänderte Verfahren wurde von Raúl Castro mit der Tatsache begründet, dass es »nun um die Bestätigung und Weiterführung der vor fünf Jahren vereinbarten Linie geht«, bezogen auf die damals beschlossene Aktualisierung des kubanischen Sozialismusmodells.
Diese Aktualisierung hat in fünf Jahren noch nicht die erhofften Ergebnisse gezeitigt; nur ein gutes Fünftel der 313 vom 6. Parteitag beschlossenen Leitlinien wurde voll umgesetzt. Deshalb und aus anderen Gründen, die teils inneren, teils äußeren Faktoren geschuldet sind, ist die wirtschaftliche Entwicklung nicht befriedigend, woraus auf dem 7. Parteitag bei der Formulierung der neuen bzw. modifizierten Leitlinien Konsequenzen gezogen wurden. Zum einen ist die Zahl der Menschen in Selbständigkeit oder im erweiterten Genossenschaftswesen geringer als geplant; zum anderen sind die für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung benötigten Daten bei Wachstum und Kaufkraft immer noch ungünstig. Im Zeitraum seit 2011 wuchs die kubanische Wirtschaft mit durchschnittlich 2,8 Prozent zwar stärker als im regionalen und überregionalen Vergleich, aber der Kaufkraftzuwachs reichte nicht, um vor allem den Konsum anzukurbeln. Gleichzeitig stieg die Importtätigkeit des Landes nach Angaben des Wirtschaftsministers Marino Murillo um durchschnittlich 4,7 Prozent. Allein diese Diskrepanz machte eine verstärkte Kreditaufnahme nötig, die angesichts der unverändert geltenden Finanzblockade nicht einfach zu bewerkstelligen ist. Grund für Kreditaufnahmen ist die Begleichung von Altschulden, bei der Kuba einige Schritte nach vorn machen konnte. Relativ erfolgreich eingeleitet wurden dagegen Anreize für ausländische Investitionen auf Kuba, auch aus den USA, mit denen eine weitere Entspannung der Beziehungen angestrebt wird, wenn auch von einer Normalisierung zwischen zwei Ländern, von denen das eine das andere mit einer Blockade und Störsenden überzieht, einen Militärstützpunkt okkupiert und unverhohlen mit dem Sturz von dessen Regierung droht und dafür aktiv ist, nach lange nicht die Rede sein kann. Aber die Investitionen gerade auch aus dem »Imperium«, wie die USA bis dato genannt werden, sind neben solchen aus Brasilien – im neu entstehenden Containerterminal Mariel – oder der VR China als wichtig eingeschätzt worden. Konkretes Ergebnis der Vereinbarungen mit den USA ist die Errichtung einer Traktorenfabrik durch ein US-Unternehmen. Daneben sind die Kooperativengründungen nun auch jenseits der Landwirtschaft begünstigt worden. Sie sollen zur selbstverwalteten Initiative in den nicht zentralen Sektoren anreizen. Stützpfeiler der Wirtschaft bleibt aber der staatliche Sektor, der dem Prinzip, niemanden im Stich zu lassen und den Sozialismus als Garantie für eine unabhängige Zukunft Kubas zu erhalten, die Grundlage gibt.
Manches Problem ist dabei der Weltwirtschaftslage geschuldet, anderes internen Faktoren, wozu auch die doppelte Währung gehört. Da es nicht ausreichend gelingt, die Güterproduktion in relativen Einklang zu bringen, sind gleich nach dem Parteitag erhebliche Preissenkungen von etwa zwanzig Prozent bei Nahrungsmitteln umgesetzt worden, um dem kubanischen Peso mehr Kaufkraft zu verleihen; Mitte Mai traten dann weitere Preissenkungen in Kraft, vor allem für Milchpulver, Reis und Konserven. Das ist deswegen von vorrangiger Wichtigkeit, weil immer noch ein Teil der elf Millionen Kubanerinnen und Kubaner allein auf Einnahmen in kubanischem Peso angewiesen ist; vor allem jene 3,5 Millionen, die in Staatsbetrieben arbeiten. Denn nach wie vor gelten im Land zwei Währungen – ein Problem, von dem mittelfristig die Zustimmung des Volkes zum Sozialismus abhängen kann, Deshalb wird der 1994 eingeführte CUC, der konvertible kubanische Peso, so schnell wie möglich abgeschafft; um Spekulation zu vermeiden, wird diese Entscheidung gewiss unangekündigt kommen. Im Rechenschaftsbericht sprach Raúl Castro darüber deshalb nur im Zusammenhang mit der Benachteiligung staatliche Unternehmen gegenüber dem nichtstaatlichen Sektor, der »vom 125-Wechelkurs profitiert, während für die Staatsunternehmen die Parität des CUC mit dem Peso gilt«.
Hemmnisse sieht die PCC auch in der schleichenden juristischen Umsetzung der neuen Vorgaben, wobei immerhin bereits 344 Gesetze geändert wurden, abgeändert wurden 55. Zur Analyse der bisherigen Umsetzung der Leitlinien gehört auch die Erkenntnis, daß jede Art von Reform – die in der einen oder anderen Weise natürlich auch »Sozialabbau« bedeuten kann – behutsam durchgeführt werden muss und ihre geschickte Kommunikation entscheidend ist, wenn die relevanten Teile gerade die Arbeiterklasse nicht verunsichert werden sollen. Raúl Castro sieht dabei Disziplin, Strenge, aber auch eine angemessene Kontrolle des Veränderungsprozesses als Grundlagen. Er wies in seiner Rede aber auch auf ein Mentalitätsproblem hin, dass die Umsetzung der beschlossenen Politik erschwere.
In den verschiedenen Problemkomplexen, sowohl bei der Umgestaltung als auch beim »normalen Gang« der sozialistischen Wirtschaft, liegt ein wichtiger Grund, dass ein längerfristiger Plan zur Entwicklung Kubas vonnöten ist, der erstmals eine Zeitspanne von nahezu fünfzehn Jahren bis 2030 umfasst. Dadurch soll geklärt werden, wohin die Reise konzeptionell geht und welche Wirtschaftsbereiche Priorität haben müssen. Wie erwähnt, ist die erste Umsetzung des Plans nach einer intensiven Debatte zu seiner Verfeinerung erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen. Nach den Meinungsäußerungen der Partei und der Massenorganisationen geht die Diskussion in das Volk; 2017 soll es ein konkretes Ergebnis geben. Bisherige Überlegungen signalisieren die weitere Vergrößerung des Tourismussektors (wobei 2015 die neue Rekordzahl von 3,5 Millionen Menschen Kuba besuchten), dringende Maßnahmen im Wohnungsbau sowie die Fortführung des Augenmerks auf strategische Bereiche der Produktion, zu denen Wissenschaft und neue Technologien gehören, aber auch eine selbstversorgende landwirtschaftliche Produktion und ein funktionierender Binnenmarkt.
Das kubanische Sozialismusmodell hat sein theoretisches Fundament in den Ideen des Nationalhelden José Martí, im Gedankenwerk Fidel Castros, im Marxismus-Leninismus und den Erfahrungen der Kubanischen Revolution – auch zukünftig ist demnach nicht an die Abschaffung des sozialistischen Systems gedacht. Aber eine Aussage in den Leitlinien, wonach die Konzentration von Privateigentum in den nichtstaatlichen Betrieben und Genossenschaften verboten sein soll, weist auf Befürchtungen hin, in welche Richtung sich Kubas Gesellschaft verändern könnte. Raúl Castro sagte dazu, dass »das Privatunternehmen nur in definierten Grenzen handeln können wird« und im Wirtschaftssystem eine Ergänzung darstellt. Keinesfalls dürfe es zu einem Bruch mit den Idealen der Gleichheit und Gerechtigkeit kommen. Andererseits ist die Bemerkung, wonach das Prinzip von Angebot und Nachfrage nicht unvereinbar mit der Planwirtschaft sei, in diesem Zusammenhang durchaus weitere Reflexionen wert. Der Markt und seine Rolle innerhalb des Sozialismus ist also ebenfalls Teil der Diskussion zum Sozialismusmodell, die in den nächsten Monaten stimuliert wird um dann im nächsten Jahr zum Abschluss zu kommen. Die Bewahrung der Werte der Revolution auf sozialem Gebiet und ebenso die politische Teilhabe der Menschen an Entscheidungsprozessen gehören mit in den Komplex der Theorieforschungen zum kubanischen Weg zum Sozialismus.
Die Parteienentwicklung ist nicht frei von Widersprüchen, aber auch damit kann ein Land, das seit Jahrzehnten souverän mit einer derartigen Vielzahl von Problemen umgeht, leben. Die Mitgliederzahl sank – auch geschuldet der demographischen Entwicklung – auf 670.000, aber die Partei sei in ihrer Arbeitsmethodik besser geworden, sagte Raúl Castro. Augenmerk gilt der Rolle der PCC als moralische Instanz innerhalb der Gesellschaft, die dadurch verbessert werden kann, dass es zu einem engeren Meinungsaustausch mit den in den Massenorganisationen organisierten Menschen kommt. Die Partei selbst ist laut Verfaßung die führende Einheit in Staat und Gesellschaft, und es deutet nichts auf eine Änderung dieses Artikels hin.
Mit dem Ende dieses Parteitages hat eine Herausforderungsperiode begonnen, wie sie schon so oft vor dem kubanischen Volk und der Kommunistischen Partei stand. Die kurze, aber von den Medien international umso mehr beachtete Rede Fidel Castros vor den Delegierten zeigt, welche Herausforderung zu allen Schwierigkeiten in Ökonomie und Gesellschaft hinzukommen: wahrscheinlich sei es »das letzte Mal, dass ich bei einem Parteitag zu euch sprechen werde«, sagte der bald neunzigjährige Comandante.
Als Erster und Zweiter Sekretär der PCC wurden Raúl Castro und José Ramón Machado wiedergewählt. Gleichzeitig wurde für die Zukunft eine Altersbegrenzung von 60 Jahren für das Zentralkomitee festgelegt, dem jetzt 142 statt 116 Mitglieder angehören, davon ein abermals gestiegener Anteil von jetzt 63 Genossinnen. Für das nun 17-köpfige Politbüro gilt eine Altersbegrenzung von 70 Jahren. Damit soll für die Zukunft ein weiteres Zeichen für die Verjüngung gesetzt werden; zudem ist Raúl Castro nur noch bis 2018 Staatspräsident und maximal bis zum 8. Parteitag Erster Sekretär der PCC. Eine Zukunft hat der Sozialismus auf Kuba gewiss nur mit der Jugend. Wahrscheinlich ist, dass es immer wieder gelingt, der nachfolgenden Generation die Wichtigkeit des Sozialismus klarzumachen. Erheblich schwieriger ist jedoch derzeit, zu verdeutlichen, dass dazu organisiertes Handeln notwendig ist. Vor der Union Junger Kommunisten (UJC), die durchaus mit Nachwuchssorgen kämpft, stehen also nicht minder große Aufgaben. Unübersehbar sind dabei natürlich die Herausforderungen, die sich mit den elektronischen Medien ergeben haben, wobei die Regierung auch hier mit einer vergleichsweise souveränen Gelassenheit agiert. Gleichzeitig bleibt die Bedrohung durch einen von außen aufgezwungenen »s Change« nicht nur durch die geographische Nähe zu den USA; dessen ist sich die kubanische Führung äußerst bewußt und braucht gewiss keine gut gemeinten Ratschläge.
Vieles deutet auf eine Lösung hin, wie sie in China und Vietnam vor dreißig Jahren gestartet wurde. Jedenfalls scheint Raúl Castro optimistisch zu sein, was diese Vorbilder angeht: die Koexistenz von Markt und Plan sei möglich, wie die »erfolgreichen Prozesse in China und Vietnam gezeigt haben«. Das »Doi Moi« in Vietnam, das zu einer Marktwirtschaft mit sozialistischer Orientierung führte, hat unzweifelhaft eine Hebung des Lebensstandards und diverser makroökonomischer Daten nach sich gezogen, aber auch zu einer gewissen Vernachlässigung des sozialen Bereichs geführt. Kuba hat demgegenüber mehrere Vorteile: im internationalen Maßstab erstklassig gebildete Menschen, eine weitaus geringere Bevölkerungszahl, eine erfolgreiche Diplomatie und nicht zuletzt eine hohe internationale Anerkennung vor allem bei der größten UN-Gruppe, den Blockfreien. Vor allem aber hat Kuba den Vorteil des »Rückstands« bei dieser Entwicklung: denn man kann Fehlentwicklungen, wie sie in Vietnam von der dortigen KP auf offen als Problemlage eingestanden werden, in die jetzigen Planungen einbeziehen. Deshalb wird die Lösung nicht zwangsläufig das genau gleiche Ergebnis zeigen. Die seit Jahren stattfindenden Konsultationen der vietnamesisch-kubanischen Wirtschaftskommission können dabei helfen.
Günter Pohl
Marxistische Blätter, 4-2016