»Ich glaube, es geht gut«

Gerardo Alfonso geht auf »Viva Cuba«-Tour«. Ein Gespräch über seine Musik, die Rolling Stones und die Zukunft der Insel.

Gerardo Alfonso geht auf »Viva Cuba«-Tour«

Die Nueva Trova hat also Nachwuchs: Vater und Sohn Alfonso sind gemeinsam unterwegs
Foto: Dietmar Koschmieder

Waren Sie Ende März beim ersten Rolling-Stones-Konzert in Havanna?

Ja, es war toll. Die Tatsache, dass die in Havanna spielten, mit riesiger Lightshow für 1,3 Millionen Leute. Für die jüngeren war das einfach ein schönes Spektakel, aber für die Leute meiner Generation war das eine alte Rechnung, die endlich beglichen wurde. Endlich waren sie mal da! Da öffnete sich eine Tür zur Welt. Und Mick Jagger war auf der Bühne sehr freundlich, er sprach sein Publikum auf spanisch an und benutzte sogar kubanische Ausdrücke und Zeichen! Was war das erste Lied?

»Jumping Jack Flash«. Wann haben Sie zum ersten Mal die Band gehört?

Als Kind Mitte der 60er Jahre. Seitdem bin ich Fan. Meine ältere Schwester hatte einen Freund, dessen Vater war Pilot der staatlichen Fluggesellschaft. Der brachte die neuen Platten aus London mit. Im kubanischen Radio gab es damals nicht viele Informationen über diese Musik, nur einige Vorurteile. Aber in einer Sendung wurde sie ab und zu gespielt. Die hieß »Nocturno« (Nacht), und die gibt es heute noch. Und da wurden diese Platten gespielt.

Haben Sie sich wie Keith Richards Gitarrespielen selbst beigebracht?

Ja, ich bin auch autodidaktischer Musiker. Und ich bin Liedermacher. Da konzentriere ich mich mehr auf die Komposition, auf Text und Musik. Doch wenn man sich die Gitarrenriffs von Keith Richards anhört, merkt man, dass sie sehr lateinamerikanisch und afrikanisch beeinflusst sind. Darüber legt dann der Dummer Charlie Watts seinen geraden Rhythmus. Was Keith Richards entwickelt hat, hat keinen Namen. Das ist gewaltig und einzigartig.

Verglichen mit den Stones ist Ihre Musik eher kontemplativ.

Das hängt von der Siuation ab. Ich bin sehr eklektisch, ich empfange die Einflüsse aus vielen Musikrichtungen, ich mag und spiele das Harte wie das Melodische. Denn beides ist wichtig.

Ist das eine Musik, die auch junge Leute auf Kuba hören?

Ja, aber nicht so viele. Daran muss man arbeiten. Es reicht nicht, einen gewissen künstlerischen Standard zu haben, man muss sich auch vermarkten. Ich spiele Lieder, die universal sind, und solche, die sehr kubanisch sind. Deshalb werden meine Lieder dort auch von jüngeren Bands interpretiert.

Ihre Musikrichtung Nueva Trova hat also Nachwuchs?

Auf jeden Fall. Und der jüngste dieser Trovadores ist mein Sohn Tobías, der mit mir in Deutschland auftritt. Er ist 16.

Sie sind zu dritt mit drei Gitarren. Tobías Alfonso, der Berliner Musiker Tobias Thiele und Sie. Wie ist der Plan für die Konzerte?

Wenn ein Klavier auf der Bühne ist, fange ich an. Sonst spielen wir erst zu dritt, dann singe ich ein paar Lieder allein und stelle meinen Sohn vor. Dann spielt Tobias Thiele ein paar eigene Songs, und schließlich spielen wir wieder zu dritt Lieder von mir. Es wird politische Lieder, sozialkritische Lieder und Liebeslieder geben.

Aber nicht alle verstehen Spanisch.

Das macht nichts, ich wähle Lieder aus, die man schon allein über die Musik verstehen kann. Als ich als Kind die Beatles und die Stones hörte, habe ich nichts von dem verstanden, was die da gesungen haben, aber ich fand die Musik geil.

Nervt es Sie als kubanischer Musiker, dass immer wieder vom Buena Vista Social Club geredet wird?

Ja, das kann passieren. Ich weiß, dass der Buena Vista Club ein wichtiges internationales Exportprodukt ist, medial sehr wirksam. Auf Kuba hat uns das nicht so fasziniert, denn es ist traditionelle Musik, die dort viele machen. Der Buena Vista spielt sie nicht besser als die anderen Musiker vor Ort, aber sie wurde exportiert. Meine Musik ist völlig anders, aber sie gefällt den Leuten im Ausland trotzdem.

Sie planen ein Konzeptalbum über die Geschichte der Sklaverei.

Ja, eine solche CD möchte ich gerne aufnehmen. Doch die Finanzierung steht noch aus. Ich habe 18 Songs vorbereitet. Die UNESCO hat ein Projekt, das die Wege der Sklaven nachzeichnen soll. Daran möchte ich mich beteiligen. Mir schwebt eine CD mit drei Themenblöcken vor: 1. die Wege der Sklaven nach Kuba, 2. Rassismus heute, 3. Geschichten der afrokubanischen Mythologie, über den Güje oder die kubanische Gottheit Eleggvá.

Und jetzt kommen die US-Amerikaner und stellen Kuba auf den Kopf?

Die kommen mit ihren Geschäften. Aber es kommen auch die Chinesen, die Russen, die Afrikaner, besonders die Angolaner und – nicht ganz so bedeutend – die Europäer der EU. Nicht zu vergessen, die Länder Lateinamerikas. Durch den Bau des neuen Kanals durch Nicaragua und die Verbreiterung des alten Kanals durch Panama bekommt der neue Hafen in Havanna eine geostrategische Bedeutung für den maritimen Markt. Was ich sagen will: Die Vereinigten Staaten werden nicht den ganzen Kuchen alleine essen. Es hängt von der Fähigkeit der kubanischen Regierung ab, all diese Beziehungen zu managen.

Wenn es gut läuft, was würden Sie sich wünschen?

Ich glaube, es wird gutgehen. Unsere Regierung hat sehr viel geleistet, vielleicht hat sie soviel für ihr Volk getan wie keine andere Regierung der Welt. Und trotzdem ist all das, was getan wurde, nicht ausreichend, die ökonomische Situation der Bevölkerung bleibt verbesserungsbedürftig. Das Individuum in Kuba jetzt mehr im Zentrum als früher.

Was wird mit der Musik passieren?

Ich hoffe sehr, dass die Institutionen, die mit der Musik zu tun haben, erhalten bleiben. Natürlich muss viel Bürokratie abgebaut werden, aber man muss auch viele Sachen schützen. Ein Symphonieorchester kann sich nicht selbst finanzieren, der Staat muss es subventionieren.

Haben Sie schon ein Lied über die neue Zeit verfasst?

Ich hab’ eins in der Mache, das fängt so an: »Ich war pleite in Havanna nach der Show der Rolling Stones ...« Die war zwar kostenlos, aber ich hab’ mich so gefreut und das sehr gefeiert.

Ich hoffe, die kubanische Revolution wird die Rolling Stones überleben.

Na klar.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Interview: Christof Meueler
Junge Welt, 02.07.2016