Unter den schlimmsten zehn

»Reporter ohne Grenzen« sieht Journalismus in Kuba schlechter geschützt als in Kriegsgebieten. Eine ver.di-Zeitschrift verbreitet den Unsinn.

Überraschung für Abonnenten von M – Menschen machen Medien, dem medienpolitischen Magazin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Aus der aktuellen Ausgabe flatterte ihnen eine Weltkarte der Pressefreiheit entgegen, die die Lage in den einzelnen Ländern darstellen soll. Aufgeteilt sind die einzelnen Staaten farblich von weiß (»gute Lage«) bis zu schwarz (»sehr ernste Lage«). Als Herausgeber angegeben wird die von M unterstützte Organisation »Reporter ohne Grenzen« (ROG), die jährlich eine »Rangliste der Pressefreiheit« veröffentlicht.

ROG wurde 1985 in Paris unter anderem von Robert Ménard gegründet, der den Verband bis 2008 leitete. Dieser frühere Trotzkist wanderte im Lauf der Jahre immer weiter nach rechts, bis er öffentlich den Front National (FN) unterstützte und sich 2014 mit den Stimmen der Neofaschisten zum Bürgermeister der Stadt Béziers wählen ließ. Seine ehemaligen Mitstreiter von ROG hatten sich da schon von ihm distanziert. Einen echten Kurswechsel hat die Organisation seither jedoch nicht unternommen. Man lässt sich ausweislich des eigenen Rechenschaftsberichts auch heute noch gern von staatlichen Stellen finanzieren. Mittel fließen etwa von der aus dem US-Bundeshaushalt bezahlten Stiftung National Endowment for Democracy (NED) oder französischen Regierungsstellen. Unterstützt wird ROG nach eigenen Angaben unter anderem direkt vom Außen- und vom Verteidigungsministerium in Paris.

Solche Partnerschaften spiegeln sich in den Kriterien wider, nach denen ROG agiert. So gibt es bislang keine Stellungnahme der Organisation zur drohenden Schließung des ukrainischen Fernsehsenders Gamma TV, dem von den Kiewer Behörden zur Last gelegt wird, am 9. Mai 2016 eine Ansprache des Chefs der Kommunistischen Partei, Petro Simonenko, übertragen zu haben. Dagegen erscheinen auf der Startseite der internationalen ROG-Homepage unter anderem die Staatschefs Wladimir Putin (Russland) und Nicolás Maduro (Venezuela) mit erhobenen Sektgläsern, die in der Montage auf ein »Jahr der Zensur« anstoßen.

In ihrer Rangliste und auf der sich auf diese stützenden Weltkarte billigt ROG eine »gute Lage« lediglich den Ländern Skandinaviens, Deutschland, Irland, Estland und Neuseeland zu, die deshalb weiß erscheinen. In der nächsten, »gelben« Kategorie (»zufriedenstellende Lage«) finden sich unter anderem die USA, Frankreich, Spanien und Polen. Ganz schlimm (»sehr ernste Lage«) ist es nach diesen Kriterien unter anderem in Libyen, Syrien, Jemen, Iran, China, Vietnam, Laos und Kuba. Diese Länder wurden auf der Karte schwarz eingefärbt. Besser ist die Lage dagegen demnach in der Türkei, Kolumbien, Mexiko und Honduras.

Zu anderen Ergebnissen kommt etwa die Lateinamerikanische Journalistenföderation (FPL). Sie zählte zwischen Jahresbeginn und Ende April 2016 schon fünf Morde an Medienschaffenden in Mexiko, im ganzen Vorjahr waren es 14 Reporter. In Honduras wurden im vergangenen Jahr zehn Journalisten ermordet, in Brasilien waren es acht. In Kuba müssen Journalisten dagegen maximal damit rechnen, dass sie – so Amnesty International – »willkürlich festgenommen und für kurze Zeit in Haft gehalten« werden. Für Mexiko konstatiert Amnesty dagegen »schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter und andere Misshandlungen, Verschwindenlassen und außergerichtliche Hinrichtungen«. »Menschenrechtsverteidiger und Journalisten wurden nach wie vor bedroht, drangsaliert oder getötet.«.

Trotzdem liegt Kuba auf der ROG-Liste auf Platz 171 von 180 Staaten und damit hinter Saudi-Arabien – wo Blogger ausgepeitscht werden – oder dem Kriegsgebiet Jemen. Mexiko rangiert auf Platz 149.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

André Scheer
Junge Welt, 16.06.2016