1. Mai in Havanna: Hunderttausende fordern auf dem Platz der Revolution ein Ende des US-Wirtschaftskriegs.
»Das kubanische Volk wird siegen«, stand auf dem (hier nicht in voller Länge abgebildeten) Transparent der Demonstration in Havanna, |
Unter dem Motto: »Für Kuba: Einheit und Verpflichtung für unseren Sozialismus« fand am Sonntag in Havanna die weltweit größte Maikundgebung statt. Mehr als 600.000 Arbeiter, Schüler und Studenten aus allen Stadtbezirken der Hauptstadt fanden sich auch dieses Jahr wieder in den frühen Morgenstunden bei strahlendem Sonnenschein zur traditionellen Demonstration auf dem Platz der Revolution ein.
Die Kundgebung stand dieses Jahr unter dem Zeichen des 55. Jahrestags der Alphabetisierungskampagne und der Vorbereitung auf den 90. Geburtstag von Revolutionsführer Fidel Castro. Kubas Pädagogen bildeten die Spitze des Demonstrationszugs, mit großen Pappstiften ausgestattet symbolisierten sie den Einzug der Alphabetisierungsaktivisten 1961 in Havanna. Bei der Kampagne wurde damals mehr als 700.000 Kubanern vor allem aus dem ländlichen Raum das Lesen und Schreiben beigebracht.
Zu Beginn des Aufmarschs erklang Kubas Nationalhymne, die »Bayamesa«. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes CTC, Ulises Guilarte de Nacimiento, grüßte in seiner Rede die progressiven Bewegungen der Welt und rief zum Kampf gegen den »parlamentarischen Staatsstreich« in Brasilien auf.
Auf der halbmondförmigen Tribüne vor dem José-Martí-Denkmal fanden sich neben Präsident Raúl Castro, dem Ersten Vizepräsidenten Miguel Díaz-Canel, anderen hochrangigen Politbüromitgliedern und Militärs auch die gut 200 geladenen internationalen Gäste ein, um die vorbeiziehenden Paradeteilnehmer zu grüßen. Ebenso anwesend waren die »Cuban Five«, jene fünf kubanischen Antiterroraufklärer, die nach jahrelanger Haft in den USA inzwischen wieder in ihrer Heimat leben.
Tausende Betriebskollektive brachten auf Transparenten ihren Zuspruch zu anstehenden Transformationen im staatlichen Sektor zum Ausdruck. Auf anderen Plakaten wurde die Rückgabe des US-Marinestützpunktes Guantanamo gefordert. Unübersehbar war auch das Bekenntnis zur antiimperialistischen Solidarität im Demonstrationszug. Die Arbeiter der Zuckerindustrie gaben mit ihren grünen Rohrzuckerstäben der Manifestation weitere Farbtupfer. Die US-Wirtschaftsblockade, unter der die sozialistische Insel seit über einem halben Jahrhundert leidet, wurde mit einer Anspielung auf den Staatsbesuch von Barack Obama Ende März angeprangert. »Qué bola Cuba?« (Was geht, Kuba?) hatte der US-Präsident damals auf Twitter gefragt, und bekam jetzt auf einem Transparent die Gegenfrage: »Obama, qué bola con el bloqueo?« (Obama, was geht mit der Blockade?)
»Wenn ich das hier sehe, kommen mir die Tränen«, sagte die gebürtige Thüringerin Sonja Thormeyer im Gespräch mit jW. Das gelte insbesondere, »wenn ich so sehe, was bei uns los ist«. Die 81jährige war als Mitglied der Solidaritätsorganisation Cuba Sí auf der Tribüne zu Gast und nahm bereits zum zehnten Mal an der Maidemonstration in Havanna teil. Die Parade sei in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden, stellte Thormeyer fest.
Obwohl Fidel Castro zuletzt im Jahr 2006 auf der Maidemonstration anwesend war, prangten zahlreiche seiner jüngsten Zitate an den Wänden der Ministerien am Revolutionsplatz. Der 89jährige hatte zuletzt Ende April eine 20minütige Rede auf dem VII. Parteitag der regierenden kommunistischen Partei (PCC) gehalten. Auf der Parade wurde anlässlich des bevorstehenden 90. Geburtstags des »Comandante en Jefe« am 13. August auch ein Geburtstagsständchen für Castro gespielt, das von »Viva Cuba!«- und »Viva Fidel!«-Rufen begleitet wurde.
Veröffentlichung |
Marcel Kunzmann, Havanna
Junge Welt, 03.05.2016