Kubas Kommunisten kommen in Havanna zu ihrem VII. Parteitag zusammen. Bilanz der bisherigen Reformen und Generationenwechsel im Mittelpunkt.
Fahnenschmuck zum Kongress: Die Banner Kubas und der Bewegung des 26. Juli am Donnerstag vor einem Parteibüro in Havanna |
Am heutigen Sonnabend beginnt in Havanna der VII. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC). Fünf Jahre nach dem letzten wird dieser viertägige Kongress symbolträchtig an dem Tag eröffnet, an dem sich die Proklamation des sozialistischen Charakters der Kubanischen Revolution durch Fidel Castro zum 55. Mal jährt.
Auf der Agenda der 1.000 Delegierten in Havannas Kongresszentrum »Palacio de Convenciones« steht zunächst eine Zwischenbilanz der Umsetzung der 313 »Leitlinien zur Aktualisierung von Wirtschaft und Gesellschaft«, die vor fünf Jahren vom VI. Parteitag beschlossen wurden. Wie die Parteizeitung Granma berichtete, sind von diesen bislang 21 Prozent komplett erfüllt worden, 77 Prozent befänden sich im Prozess ihrer Umsetzung. Nur zwei Prozent (fünf Leitlinien) gelten demnach als nicht realisierbar.
Weitere Schwerpunkte sind die Fortschreibung der »Lineamientos« bis 2021, die Verabschiedung eines Programms zur sozialen und ökonomischen Entwicklung Kubas bis 2030 sowie ein Konzept zur Weiterentwicklung eines kubanischen Modells des Sozialismus. Anders als beim letzten Parteitag, als dessen »Leitlinien« zuvor monatelang in Zigtausenden öffentlichen Versammlungen diskutiert und zu mehr als zwei Dritteln verändert wurden, fanden die Diskussionen diesmal im Dezember 2015 und im Januar 2016 in Plenarsitzungen des Zentralkomitees sowie seit Anfang März in allen Provinzen des Landes unter den gewählten Delegierten statt. Zu diesen Debatten, über die Kubas Medien ausführlich berichteten, wurden außerdem die jeweiligen Abgeordneten der Nationalversammlung, Vertreter der Gewerkschaften, des Jugend- und des Frauenverbandes sowie weiterer sozialer Organisationen, von Religionsgemeinschaften und der Provinzverwaltung eingeladen. Die Diskussionsergebnisse, so hieß es, würden dann in die Dokumente eingearbeitet. Obwohl so einige tausend Parteimitglieder und parteilose Bürger an den Debatten beteiligt waren, wurde die »mangelnde Transparenz« des von den Organisatoren als pragmatisch bezeichneten Verfahrens kritisiert. Neben den politischen Debatten werden vor allem die Wahlen des Zentralkomitees und des Politbüros, bei denen ein Generationenwechsel erfolgen soll, mit Spannung erwartet. Dies werde der letzte Parteitag der historischen Anführer der Revolution sein, hatte der PCC-Generalsekretär Raúl Castro schon im Vorfeld angekündigt. Die meisten der 1.000 Delegierten, deren Durchschnittsalter 48 Jahre beträgt, wurden bereits nach dem Sieg der Revolution im Januar 1959 geboren, doch nur 55 von ihnen sind jünger als 35 Jahre. Unter anderem wird darüber spekuliert, ob der 85jährige Comandante José Ramón Machado Ventura wieder für die Position als Zweiter Sekretär des Zentralkomitees kandidiert. Die Besetzung dieser Schlüsselfunktion, deren Inhaber künftig Raúl Castro als Parteivorsitzenden ablösen könnte, ist eine der spannenden Personalfragen.
In seinem Rechenschaftsbericht kann Castro den 1.000 Delegierten und Gästen des bis zum 19. April – dem 55. Jahrestag des Sieges über die Invasion in der Schweinebucht – angesetzten Parteitags zwar eine beeindruckende außen- und wirtschaftspolitische Bilanz präsentieren, wird aber auch für Kuba ungünstige äußere Umstände und »hausgemachte« Probleme offen ansprechen müssen. Positiv zu Buche schlägt die Streichung des Landes von der US-Liste der »Schurkenstaaten«, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Washington und die damit erfolgte Anerkennung der Regierung als legitimer Vertretung des kubanischen Volkes. Auch die Vereinbarung des Kooperationsabkommens mit der EU und die faktische Aufgabe von deren »Gemeinsamem Standpunkt«, der den »Regime change« in Kuba forderte, sind Erfolge. Castro kann zu Recht darauf hinweisen, dass Kuba in den Verhandlungen mit Washington und Brüssel kein einziges seiner politischen Prinzipien aufgegeben hat. Wirtschaftlich ist vor allem der Schuldenerlass durch Russland, die Mitglieder des Pariser Clubs und andere Gläubigerstaaten hervorzuheben, wodurch das Land wieder zum akzeptierten Partner der internationalen Finanzwelt wurde. Als Pluspunkte dürften ebenfalls die Entwicklung der Sonderwirtschaftszone Mariel und expandierende Bereiche wie die Biotechnologie angeführt werden.
Große Risiken für Kuba liegen in der Entwicklung auf den Weltmärkten. Während die Preise für das Hauptexportgut Nickel fallen, steigen sie für Lebensmittel, von denen viele noch immer importiert werden müssen. Das kostet Devisen, was den finanziellen Spielraum einengt. Als hochgefährlich betrachten kubanische Politiker die von den USA und der lateinamerikanischen Rechten forcierten Angriffe auf Verbündete und wichtige Partner in der Region wie Venezuela und Brasilien. Die kritische Positionierung des in Santiago de Cuba zum Parteitagsdelegierten gewählten Revolutionsführers Fidel Castro zum Auftritt Barack Obamas in Havanna lässt interessante politisch-ideologische Diskussionen erwarten.
Im Vorfeld des Parteitags äußern Delegierte öffentlich ihre Erwartungen, Vorschläge und Kritik. Es sei zwar richtig, dass sich das Land entwickelt habe, aber das habe »auf dem Teller der Leute« noch nichts geändert. Es sei wichtig, die Kaufkraft der Kubaner zu entwickeln, forderte etwa die 42jährige Fachärztin und Delegierte Lissett Sánchez Acosta in der Granma. Löhne, Preise, Arbeitsperspektiven, das Warenangebot und die Frage, »wohin die Jugend geht«, bewegten die Menschen im Land. »Ich hoffe, dass es nicht nur eine Debatte über die Wirtschaft wird, sondern dass wir über alle Themen sprechen können, die das Volk beunruhigen«, meinte deshalb der Delegierte und Direktor des Kindertheaters »La Colmenita«, Carlos Alberto Cremata. Das allgegenwärtige Thema des Generationenwechsels ist für ihn dagegen weniger wichtig: »Ich habe das gleiche Vertrauen in die Jugend wie in die Generation unserer rebellischen Väter und die unserer Großväter.«
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
Junge Welt, 16.04.2016