Alte Zöpfe abschneiden

Kubas Zentrum für Sexualerziehung kämpft gegen Diskriminierung und Vorurteile. An seiner Spitze steht Mariela Castro.

Jugendliche in Kuba

Foto: Claudia Schröppel

Kubas Nationales Zentrum für Sexualerziehung (Centro Nacional de Educación Sexual, Cenesex) ist in einer frisch renovierten Villa in Havannas besserem Stadtteil Vedado untergebracht. Der Name der Institution steht groß über dem Portal, und auf der Terrasse warten Besucher in bequemen Stühlen darauf, an die Reihe zu kommen. An einem Tag im Februar 2016 werden wir von Mayelín González empfangen, die im Zentrum zusammen mit zwei Mitarbeitern für Öffentlichkeitsarbeit und internationale Kontakte zuständig ist. Sie schildert den alltäglichen Kampf, den auch ihre Institution mit der Bürokratie ausfechten muss. Dabei steht an der Spitze des Cenesex eine bekannte Persönlichkeit: Mariela Castro, die Tochter von Staatspräsident Raúl Castro. Leichter wird die Arbeit des Cenesex dadurch jedoch nicht. Der Vater mische sich in die Arbeit seiner Tochter nicht ein, berichtet González: »Er hat von ihr verlangt, sie solle eine Kämpferin sein und sich selbst durchsetzen.« Das müssen auch Klienten feststellen, die zu den Beratungsterminen des Cenesex kommen, obwohl ihre juristischen oder gesundheitlichen Anliegen nicht in dessen Aufgabenbereich fallen: »Sie hoffen, dass sie über die Tochter des Präsidenten einer Lösung ihrer Probleme näher kommen, aber wir können ihnen auch nur die Stellen nennen, an die sie sich wenden müssen.«

Engagierte Präsidententochter

Das Ansehen von Mariela Castro kann ohnehin niemand auf ihre Verwandtschaft mit dem Präsidenten reduzieren. In Kuba und international hat sie sich längst einen Namen als unermüdliche Kämpferin gegen die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen gemacht. 2010 nahm sie auf Einladung des damaligen Präsidenten des FC St. Pauli, Corny Littmann, am Christopher Street Day (CSD) in dem Hamburger Stadtbezirk teil. Auch in Havanna gibt es seit einigen Jahren solche Demonstrationen. Sie sind bislang zwar deutlich kleiner als in Metropolen wie Berlin. So zogen im vergangenen Jahr 300 bis 400 Menschen über die 23. Straße Havannas. Dafür sind die Kundgebungen dort aber breiter angelegt. »Unser Marsch ist wie ein Gay Pride anderswo«, erzählt Mayelín González, »aber es ist doch eine andere Veranstaltung, deshalb nennen wir sie nicht Gay Pride.« Es gehe nicht nur um den Stolz von Lesben und Schwulen auf ihre Identität, sondern um die Gleichberechtigung aller in allen Bereichen, unabhängig von ihrer Orientierung oder Identität. Deshalb spricht man im Cenesex nicht nur von der Gemeinschaft der »LGBT« – der Lesben, Schwulen, Bi- und Transexuellen –, sondern fügt dem Kürzel noch das »H« für Heteros an. Und auch der geschichtliche Hintergrund ist für die Kubaner ein anderer: Während die CSD-Demonstrationen in Europa und den USA an eine Polizeirazzia im New Yorker Schwulenklub »Stonewall Inn« im Juni 1969 erinnern, finden sie in Havanna um den 17. Mai herum statt. An diesem Tag hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erst 1990 entschieden, Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten zu streichen.

In ihrem täglichen Einsatz gegen Diskriminierung haben die kubanischen Aktiven keine Scheu, alte Zöpfe abzuschneiden. So votierte Mariela Castro Ende 2013 im Parlament gegen die Neufassung des Arbeitsgesetzes, weil darin nicht alle ihre Forderungen nach umfassenden Diskriminierungsverboten aufgegriffen worden waren – ein in der Geschichte des Hauses seit dem Sieg der Revolution einmaliger Vorgang. Im neuen Gesetz wird zwar jede Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der sexuellen Orientierung verboten. Außen vor blieb jedoch das Verbot von Nachteilen aufgrund der »sexuellen Identität«, wie Mayelín González berichtet. »Viele Abgeordnete haben offenbar nicht verstanden, was das bedeutet, und worin der Unterschied zwischen Orientierung und Identität besteht«, räumt sie ein. Vor dem Zentrum liege also noch eine Menge Arbeit. Dabei werde es aktiv vom kubanischen Gewerkschaftsbund CTC unterstützt, betont sie.

Gleiche Rechte und Pflichten

Das 1988 in seiner heutigen Form gegründete Cenesex hat bereits eine Menge erreicht. Hervorgegangen ist das Zentrum aus einer 1972 im Umfeld des Frauenverbandes Federación de Mujeres Cubanas (FMC) entstandenen Studiengruppe zu Fragen der Sexualkunde, GENTES. Damals war die Revolution fast ausschließlich männlich geprägt: Fidel, Raúl, Che Guevara. Wieviel auch Kämpferinnen in der Guerilla und im Widerstand gegen die Diktatur von Fulgencio Batista geleistet haben, rückte erst später mehr in den Blickpunkt der kubanischen Geschichtsschreibung. Eine wichtige Rolle spielte dabei Vilma Espín. Die 2007 verstorbene Mutter von Mariela Castro hatte im Untergrundkampf der »Bewegung 26. Juli« eine wichtige Rolle gespielt und stand später an der Spitze des FMC.

»Auch heute noch ist Kuba männlich geprägt, aber es hat sich verändert«, sagt Mayelín González. Die eigenständige Rolle der Kubanerinnen werde gefördert, so dass inzwischen viele Frauen besser ausgebildet seien als ihre Ehemänner oder ihre Eltern. Nun gehe es darum, die Gleichberechtigung auch im Alltag durchzusetzen. So müsse den Männern klargemacht werden, dass etwa bei der Kindererziehung beide Elternteile die gleichen Rechte und Pflichten haben. Und es geht um die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. »Zwei gleiche sind ein Paar«, heißt es auf den aktuellen Plakaten des Cenesex. Zu sehen sind darauf zum Beispiel zwei Rasierpinsel oder zwei Tangas.

Obwohl das Cenesex dem kubanischen Gesundheitsministerium zugeordnet ist, bauen die Mitarbeiter auf den Einsatz Freiwilliger. Vor allem außerhalb von Havanna sei die Arbeit diverser Netzwerke wichtig, berichtet González. Dabei handle es sich weniger um Internetcommunitys, sondern um vor Ort aktive Zusammenschlüsse, vor allem von Studierenden. So bieten angehende Juristen Rechtsberatung an, Medizinstudenten informieren über gesundheitliche Themen. In »Transcuba« zum Beispiel haben sich Trans- und Intersexuelle zusammengeschlossen. Es gibt auch Vereinigungen von Schwulen und Lesben, die überall auf der Insel für ihre Rechte eintreten.

Alternative zur »Homoehe«

Eine aktuelle Forderung ist, im derzeit diskutierten neuen Familiengesetz alle dauerhaften Lebensgemeinschaften gleichberechtigt anzuerkennen. Dabei geht es dem Zentrum nicht um eine »Homoehe« nach europäischem Muster, wie González betont. Vielmehr sei das Ziel, dass jede Gemeinschaft von zwei Menschen vor dem Gesetz die gleichen Rechte und Pflichten hat, ob beide nun Hochzeit gefeiert haben oder nicht. Das sei in Kuba jedoch eine Herausforderung, denn Familie habe auf der Insel einen hohen Stellenwert, überall stünden die Kinder im Mittelpunkt. Für gleichgeschlechtliche Paare sei es schwer, Zugang zu den üblichen Netzwerken zu bekommen. Andererseits biete der karibische Lebensstil gute Chancen, um zum Beispiel Gewalt gegen Frauen zu verhindern. »Bei uns leben die Menschen nicht isoliert nebeneinander her«, erzählt González. »Hier wissen die Nachbarn genau, was nebenan passiert. Deshalb kümmern sich die Nachbarn, der Frauenverband oder die Komitees zur Verteidigung der Revolution sehr schnell darum, wenn ein Mann seine Frau schlägt oder Kinder misshandelt werden.«

Aufregen kann sich González aber, wenn sie manche Plakate der kubanischen Tourismuswerbung sieht. Viel zu oft werde dort, aber auch in der Reklame für kubanischen Rum, mit Fotos leichtbekleideter Mulattinnen um Kundschaft gerungen. »Wir bieten Workshops mit Behördenvertretern und anderen Entscheidern an, aber direkten Einfluss auf deren Beschlüsse haben wir nicht«, bedauert die junge Frau.


Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

André Scheer
Junge Welt, 08.04.2016