Führungsrolle - Barack Obama in Kuba

Als erstes US-Staatsoberhaupt seit fast 90 Jahren besucht Barack Obama ab Sonntag ein Land, das sein Vorgänger George W. Bush noch als »Schurkenstaat« bezeichnete.

Während US-Präsident Calvin Coolidge 1928 noch mit einem Kriegsschiff anreiste, wird der heutige Amtsinhaber mit Frau und Töchtern kommen, durch die Altstadt von Havanna bummeln und mit Vertretern der »Zivilgesellschaft« plaudern. Westliche Politiker und Medien sehen in diesem »Wandel durch Annäherung« den Beginn einer neuen Ära in den Beziehungen Washingtons nicht nur zu Kuba, sondern zur gesamten Region. Sie haben recht.

In bezug auf den sozialistischen Inselstaat erklärte Barack Obama am 17. Dezember 2014: »Heute erneuern wir unsere Führungsrolle auf dem gesamtamerikanischen Kontinent«. Gemeint war die Einmischung und Subversion in den progressiv regierten Ländern der Region. In Honduras, Paraguay und Argentinien waren die Regime-Changes schon zuvor gelungen. In Venezuela und Brasilien wird die Destabilisierung der vom Volk legitimierten Politiker und Regierungen mit Gewalt vorangetrieben. Repräsentanten wie Nicolás Maduro, Dilma Rousseff und Luiz Inácio Lula da Silva stören die Durchsetzung von Washingtons Interessen in der Region. Bolivien, Ecuador und Nicaragua stehen auf der Abschussliste. Mit Unterstützung der USA attackieren Rechtskräfte und Konzerne die unerwünschten Regierungen. Die Medien des weltweiten Mainstreams sekundieren und diffamieren fortschrittliche Präsidenten als »Machthaber« oder »Diktatoren«. Das ist der Humus für die Konterrevolution.

Einzig Kuba, die härteste Nuss, verteidigt seit 1959 erfolgreich seine Unabhängigkeit. Obama musste deshalb das Scheitern des bisherigen US-Vorgehens offen eingestehen. Doch zugleich erklärte das Weiße Haus im Dezember 2014 auch, dass alle Maßnahmen der »neuen Politik« gegenüber Havanna darauf abzielten, »in Kuba effektiver einen Wandel zu fördern, der mit den amerikanischen Sicherheitsinteressen im Einklang steht«.

Zum Ende der Amtszeit des »sozialdemokratischen« Präsidenten sind die USA in Lateinamerika militärisch, wirtschaftlich und politisch präsenter als in den acht Jahren der Regierung seines Vorgängers George W. Bush. Der Kontinent ist heute mit über 70 US-Militärbasen gespickt, Obama stationierte unter anderem im Mai 2015 neue Einheiten der »Marines« in Honduras, Guatemala, El Salvador und Belize. Argentinien will Obama ab Dienstag besuchen – 40 Jahre, nachdem sich dort die letzte Diktatur mit Hilfe der USA an die Macht putschte. Der seit Dezember in Buenos Aires amtierende Staatspräsident Mauricio Macri hat keine Einwände gegen die Erneuerung der US-Führungsrolle auf dem Kontinent. Deshalb erinnerte der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel an einen Satz des in Lateinamerika als Befreier von der Kolonialherrschaft verehrten Simón Bolívar: »Die Vereinigten Staaten scheinen von der Vorsehung dazu bestimmt zu sein, die Völker Amerikas im Namen der Freiheit mit Elend zu überziehen.«


Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf
Junge Welt, 19.03.2016