Macri dreht Uhr zurück
TV-Kanal Telesur wird in Argentinien blockiert. Präsident und Neoliberale machen Front gegen linke Medien.
Der größte argentinische Kabelfernseh- und Internetanbieter Cablevisión hat am Dienstag vergangener Woche ohne Vorwarnung die Übertragung von Sendungen des lateinamerikanischen Fernsehkanals Telesur eingestellt. Das Tochterunternehmen des Multimedienkonzerns Clarín treibt damit die von Präsident Mauricio Macri kurz nach seinem Amtsantritt am 10. Dezember 2015 angekündigte »Kurskorrektur in der Medienpolitik« voran. Der neue Staatschef ist darauf versessen, die einst auf Initiative von Fidel Castro und Hugo Chávez gegründete »Stimme des Südens« zum Schweigen zu bringen.
Während Telesur-Präsidentin Patricia Villegas von einer »diskriminierenden und überfallartigen Entscheidung« spricht und zur »Solidarität« sowie der »Mobilisierung« der Zuschauer aufruft, bejubeln Konservative den Eingriff in die Medienfreiheit. Die rechtskonservative argentinische Tageszeitung La Nación bezeichnete den boykottierten multistaatlichen Sender, an dem zur Zeit noch Argentinien, Bolivien, Ecuador, Kuba, Nicaragua, Uruguay und Venezuela beteiligt sind, am Freitag als »TV-Kanal der Chavisten«. Das von Brasilien aus betriebene, ebenfalls zum rechten Spektrum zählende deutschsprachige Nachrichtenportal Latina Press titelte zustimmend: »Argentinien wirft Propagandasender Telesur aus dem Programm«. Während bürgerliche Medien in aller Welt applaudieren, schweigen die sonst um die »Pressefreiheit« besorgten Kreise Deutschlands und der EU betreten zu dem Vorgang. Dabei hatte der dem neuen Präsidenten politisch nahestehende Medienkonzern die Zensurmaßnahme mit einer offensichtlichen Lüge begründet. Cablevisión behauptete, künftig keine internationalen Sender mehr im »Basispaket« anbieten zu wollen. Telesur-Chefin Villegas hielt dem entgegen, dass dort an Stelle des linksalternativen Nachrichtensenders jetzt Programme von Televisión Española und CNN Español verbreitet würden. Die zustimmenden Kommentare rechtskonservativer Medien sprechen indes dafür, dass es nicht um Formalien, sondern um die Inhalte von Telesur und die Zustimmung zu Macris Politik geht.
Der Umbau der nationalen und regionalen Medienlandschaft ist ein zentraler Punkt auf der Agenda des neoliberalen Präsidenten, der seit drei Monaten mit knapper Mehrheit regiert. Sein Minister für öffentliche Medien, der Unternehmer und Politiker Hernán Lombardi, hatte bereits zwei Wochen vor Macris Amtsübernahme angekündigt, die »Beteiligung am lateinamerikanischen Fernsehkanal Telesur zu überprüfen«. Cabelvisión liefert ihm mit dem Rausschmiss nun Argumente. Warum sollte sich eine Regierung auch an einem Sender beteiligen, der im Land rückläufige Zuschauerzahlen hat. Ein Ausstieg Argentiniens, das neben Venezuela derzeit der finanzkräftigste Partner bei Telesur ist, wäre ein Erfolg der privaten Medienunternehmer und der politischen Rechten des gesamten Kontinents. Auch Washington käme es gelegen, wenn der »linke Störsender« geschwächt würde. Das im Juli 2005 zum ersten Mal ausgestrahlte »Fernsehen des Südens« (»Televisión del Sur«) versteht sich als Gegengewicht zu den US-amerikanischen Mediengiganten CNN und Univisión sowie zur britischen BBC. Anders als private Konkurrenten verfolgt der Sender keine Gewinnabsicht, sondern fühlt sich dem »Einigungsprozess der Völker des Südens, ihrem Kampf um Frieden, Selbstbestimmung und Achtung der Menschenrechte sowie der sozialen Gerechtigkeit« verpflichtet. In den letzten zehn Jahren hat der alternative Kanal damit ständig an Akzeptanz und Einfluss gewonnen und sich zu einem bedeutenden Teil der lateinamerikanischen Medienszene entwickelt. Und genau das macht ihn gefährlich.
Außer gegen Telesur stemmt sich Macri vor allem gegen ein 2013 in Kraft getretenes Gesetz, das die Monopolstellung der privaten Medienkonzerne des Landes eingeschränkt hat. Unmittelbar nach seiner Machtübernahme ordnete er per Dekret dessen Revision an. Lombardis Ministerium wurde für diese und andere Aufgaben ein Jahresbudget von umgerechnet 350 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt. Der Stein des Anstoßes, das vom Senat mit 44 gegen 24 Stimmen beschlossene Gesetz, hatte ein von Diktator Jorge Videla im Jahr 1980 erlassenes Dekret abgelöst. Der damalige Chef der Militärregierung hatte angeordnet, dass TV- und Radiostationen ausschließlich von privaten Unternehmen betrieben werden durften. Die revanchierten sich dafür mit Wohlverhalten gegenüber der Junta. Größter Profiteur war die Clarín-Gruppe, die sich zu einem der mächtigsten Multimediakonzerne des Kontinents entwickelte. Das nach jahrelangem Rechtsstreit zwischen Regierung und Clarín im Oktober 2013 vom Obersten Gerichtshof als verfassungskonform bestätigte Gesetz schränkte nicht nur das Monopol der Medienmogule wieder ein, sondern hatte auch die Förderung kleinerer und mittlerer Anbieter zum Ziel. Erstmals konnten dadurch auch soziale Organisationen, Vertreter der indigenen Gruppen, gewerkschaftliche und studentische Aktivisten ihre Informationen über Radio und Fernsehen verbreiten. Gemeinsam mit Telesur bestand in Argentinien zum ersten Mal die Chance, dem Informationsmonopol der großen Medienkonzerne etwas entgegenzusetzen. Macris erklärtes Ziel ist es, die mediale Allmacht der Konzerne wieder herzustellen.
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 10.03.2016