»Ist mir egal«

Nach Havanna darf jeder kommen, auch Barack Obama. Große Illusionen machen sich die Kubaner vor dem Besuch des US-Staatschefs allerdings nicht.


Hintergrund

Normalisierung


Der erste Besuch eines US-Präsidenten auf Kuba seit 88 Jahren ist der bisherige Höhepunkt eines Normalisierungsprozesses, den Barack Obama und sein kubanischer Amtskollege Raúl Castro am 17. Dezember 2014 mit zeitgleich ausgestrahlten Fernseh­ansprachen eingeleitet hatten. Am selben Tag waren die letzten drei Mitglieder der in den USA mehr als 16 Jahre lang inhaftierten Kundschaftergruppe »Cuban Five« im Austausch gegen einige US-Spione freigelassen worden und nach Kuba zurückgekehrt.

Im Januar 2015 wurden in Havanna die Gespräche zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern aufgenommen. Erste Ergebnisse der Verhandlungen waren die Streichung Kubas von der US-Liste der den Terrorismus fördernden Staaten (zum 1. Juni 2015) sowie die Wiederaufnahme der am 3. Januar 1961 von den USA einseitig abgebrochenen diplomatischen Beziehungen. Am 20. Juli 2015 wurde die kubanische Botschaft in Washington eröffnet, am 14. August die der USA in Havanna. Obwohl Präsident Obama einige Sanktionen gegen Kuba lockerte sowie Handels- und Reiseerleichterungen auf den Weg brachte, ist die seit über 50 Jahren gegen die sozialistische Insel verhängte Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade weiterhin in Kraft und wird sogar verschärft angewendet.

Kuba macht deren vollständige Aufhebung, die allerdings vom Kongress der USA beschlossen werden muss, zur Voraussetzung für die Normalisierung der Beziehungen. Außerdem besteht Havanna auf der Rückgabe des von den USA besetzen Gebietes in der Bucht von Guantánamo, der Einstellung der subversiven US-Programme zur Herbeiführung eines Systemwechsels und einer Wiedergutmachung der durch die Blockade verursachten materiellen Schäden.

Die Präsidenten Castro und Obama sind sich bereits mehrfach begegnet. Ein erstes persönliches Gespräch unter vier Augen hatten sie beim 7. Amerikagipfel in Panama am 11. April 2015 geführt. (vh)

US-Präsident Barack Obama, der mit Ehefrau Michelle auf dem Weg nach Argentinien am 21. und 22. März einen Abstecher nach Havanna machen will, ist im sozialistischen Kuba willkommen. Die im dortigen Außenministerium für die Beziehungen zu den USA zuständige Abteilungsleiterin Josefina Vidal erklärte Ende vergangener Woche, dass ihr Land an Gesprächen über jedwedes Thema, einschließlich der Menschenrechte, interessiert sei. Die Diplomatin drückte zugleich ihre Besorgnis über die Menschenrechtslage in den USA aus. Darüber werde von kubanischer Seite mit Obama gesprochen werden, kündigte sie an. Zugleich betonte sie die Auffassung ihrer Regierung, dass der Dialog von beiden Seiten auf der Basis des gegenseitigen Respekts, der Gleichberechtigung und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten geführt werden müsse.

Obama, auf dessen Besuchsprogramm unter anderem ein Treffen mit dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro steht, hat das Thema Menschenrechte ebenfalls auf dem Zettel. Der US-Präsident kündigte an, sich deshalb in Havanna auch mit Gegnern des kubanischen Systems treffen zu wollen. »Wenn ich Kuba einen Besuch abstatte, dann ist ein Teil des Deals, dass ich mit jedem sprechen kann«, hatte Obama bereits im Dezember 2015 gesagt, als er erstmals die Möglichkeit eines Kuba-Besuchs erwähnte. Dort sieht man dem entspannt entgegen. »Hier kann jeder herkommen, aber er muss unser Land respektieren«, sagte der ehemalige Präsident der kubanischen Nationalversammlung, Ricardo Alarcón, am Donnerstag gegenüber junge Welt. Obama, der ja Verfassungsrechtler sei und sich mit dem Recht auskenne, müsse wissen, »dass er einen souveränen und unabhängigen Staat und keine Kolonie oder ein von den USA unterworfenes Land besucht«, fügte Alarcón hinzu.

In den Straßen der kubanischen Hauptstadt, wo sich mittlerweile Regierungschefs aus aller Welt, Staats- und Kirchenoberhäupter sowie Prominente fast täglich die Klinke in die Hand geben, war die Nachricht vom Obama-Besuch mit großer Gelassenheit aufgenommen worden. Im »Pabellón Cuba« in Havannas Stadtteil Vedado, dem größten Außenposten der Buchmesse und zugleich Treffpunkt und Veranstaltungsort junger Schriftsteller und Künstler, waren die Besucher am Wochenende mehr daran interessiert, eines der neuaufgelegten Bücher zu ergattern. Humberto Guijamo Ramos, der 33jährige Schlagzeuger einer Band, die gerade ihren Auftritt vorbereitete, sieht den Besuch grundsätzlich positiv. »Man sollte jetzt aber nicht nur jubeln, sondern sich auch an die Probleme erinnern, die uns die US-Politik bereitet hat«, schränkt er im Gespräch mit junge Welt ein. Zu Obamas Plänen meint der Musiker: »Wenn er sich hier mit Dissidenten trifft, ist mir das egal. Die US-Diplomaten in Kuba wissen ganz genau, dass diese Leute keinerlei Einfluss in der Gesellschaft haben. Ob Obamas Besuch am Ende positiv verläuft, hängt davon ab, welche Intention er hat. Für uns ist der Nutzen vermutlich größer als der Schaden.«

Die wissenschaftliche Assistentin Iris Rosales (29) teilt diesen Optimismus nur eingeschränkt: »Es ist Zeit, dass die USA ihre Haltung uns gegenüber verändern. Sie sollten endlich respektieren, dass wir unsere Angelegenheiten selbst regeln können und wollen. Wenn sie das tun, könnte der Besuch zum Symbol für eine bessere Zukunft werden«, glaubt sie. Der Buchhalter Liván Vega (36) hat ähnliche Erwartungen an den Besuch: »Ich hoffe, dass dadurch die Beziehungen zwischen unseren Ländern besser werden, und erwarte, dass Obama unsere Unabhängigkeit und Souveränität respektiert. Wenn die Politiker der USA sich mit unserer Geschichte beschäftigten, würden sie vielleicht merken, wie wichtig das für uns ist«, antwortet er und erläutert dann: »Die Generation unserer Väter und Großväter hat hart kämpfen müssen für das, was wir hier heute – trotz aller Probleme – an sozialen Errungenschaften haben. Wenn Obama meint, sich mit den Gegnern unseres Systems treffen zu müssen, macht er das vermutlich vor allem aus innenpolitischer Rücksichtnahme auf seine Kontrahenten in den USA.« Esther Chuco (75), eine rüstige und resolute Rentnerin, äußert sich zunächst zurückhaltend und höflich, redet dann aber Klartext: »Ich bin, ehrlich gesagt, nicht so glücklich darüber, dass der US-Präsident hierherkommt.« Sie sei zwiegespalten, sagt sie: »Einerseits hoffe ich natürlich, dass sein Besuch zur Verbesserung der Beziehungen beiträgt. Andererseits habe ich auch Befürchtungen. Wenn die Politiker im Norden von Veränderungen reden, heißt das immer, dass wir uns ändern sollen und nicht sie. Ich habe die Zeit vor der Revolution erlebt und kenne diesen Tonfall. Und ich möchte nicht, dass hier wieder Zustände wie vor 1959 herrschen, aber genau das wollen mächtige Gruppen in den USA. Deshalb bin ich eher skeptisch, was diesen Besuch betrifft.«

Von prominenten Gegnern des kubanischen Systems wird Obamas Einsatz für sie nicht gewürdigt. José Basulto etwa, Gründer der von Miami aus operierenden exilkubanischen Terrorgruppe »Hermanos al Rescate«, nannte die Reisepläne des Präsidenten der Tageszeitung Nuevo Herald zufolge einen »Schurkenstreich«. Obamas Besuch in Havanna ist für Basulto eine »Beleidigung« für die Demokratie. Auch Berta Soler, die Chefin der in Kuba agierenden Dissidentengruppe »Damas de Blanco«, der aus den eigenen Reihen Unterschlagung und Korruption vorgeworfen werden, kritisierte die geplante Reise. Wie das mit US-Geldern in Madrid publizierte Onlineportal Diario de Cuba berichtete, wirft die von der EU mit dem Sacharow-Preis und 50.000 Euro beschenkte Systemgegnerin Obama vor, sich mit dem »Diktator« eines Landes zu treffen, das »keinerlei Fortschritte bei den Menschenrechten« mache.


Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf, Havanna
Junge Welt, 22.02.2016