Im 25. Jahr sind erstmals die USA mit einer großen Delegation dabei, und viele Signale stehen auf Veränderung. Aber das Hauptaugenmerk gilt der lateinamerikanischen Tradition und der eigenen Kultur.
Seit 25 Jahren existiert sie schon, die internationale Buchmesse in Havanna. Und dieses Jahr weht ein frischer Wind durch die alten Gemäuer der Festung San Carlos de la Cabaña, dem Hauptsitz der Messe. Etwas verändert sich im Land. Ein Zeichen dafür: Unter den 380 teilnehmenden Verlagen aus 37 Ländern sind erstmals auch die USA - mit einer offiziellen Delegation aus 40 Schriftstellern, Verlegern, Übersetzern und Literaturagenten.
Wobei natürlich auch die eigene Kultur nicht zu kurz kommt. Gewidmet ist die diesjährige Messe der wortgewaltigen Poetin Lina de Feria (geboren 1945 in Santiago de Cuba) und dem Romancier und Ethnologen Rogelio Martínez Furé, der mit seiner afrokubanischen Literatur gleichzeitig die Brücke schlägt zu den Veranstaltungen über die Abschaffung der Sklaverei im kolonialen Kuba 1886.
Uruguay ist Ehrengast. »Während der schwierigen Jahre in unserem Land war Kuba für Tausende von Uruguayern Fluchtraum«, so Raúl Fernando Sendic, uruguayischer Vizepräsident, der in seiner Eröffnungsrede zur Buchmesse am 11. Februar an die Militärdiktaturen erinnerte, die den Süden des Kontinents in den 1970er und 80er Jahren knebelten. Bis heute beschäftigt das Thema der »Desaparecidos«, der Verschwundenen, viele Schriftsteller.
»Die offenen Adern Lateinamerikas« nannte Eduardo Galeano 1971 sein Buch, in dem er sich mit den Kolonialherrschaften alter und neuer Prägung auseinandersetzte und das in Uruguay, Argentinien und Chile verboten war. In einer dreistündigen Veranstaltung widmeten sich zahlreiche Schriftsteller und Literaturkritiker dem im vorigen Jahr Verstorbenen, der wohl der international bekannteste Autor Kubas war - und das ganz in seinem Sinne, denn er war für seinen ironischen, ja fast sarkastischen Habitus bekannt.
Mit der Teilnahme der USA an der Buchmesse ist die Hoffnung verbunden, dass »es mit der Intensivierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern eine größere Öffnung für die Zirkulation von ausländischen Titeln in Kuba und kubanischen Titeln im Ausland geben wird«, wie die kubanische Schriftstellerin Aida Bahr feststellte. Die ehemalige Verlegerin dämpft allerdings allzu hohe Erwartungen: Der kubanische Buchmarkt habe sich zwar im Zuge der Erneuerung des Wirtschaftsmodels verändert. Einige Verlage, die dem staatlichen Buchinstitut ICL unterstanden, wurden zu autonomen Unternehmen. Dennoch sei der hiesige Buchmarkt nicht für das Ausland vorbereitet. Sieht man von einigen Ausnahmen à la Leonardo Padura ab, ist es für die Schriftsteller und Verleger, die vom ICL abhängen, in der Tat schwierig, im Ausland Fuß zu fassen. Ungeklärt bleibt auch, ob die ohnehin schon steigenden Buchpreise im Zuge der Veränderungen für den Durchschnittsverdiener erschwinglich bleiben können.
Erfreulicherweise wird der Debatte über den internationalen Buchmarkt erstmalig eine besondere Plattform eingeräumt. Von der staatlichen Literaturagentur ALL organisiert, werden eine Woche lang Themen wie »Kommerzialisierung spanischsprachiger Literatur in den USA« oder »Das gedruckte Buch: Herausforderung an die Verlagsproduktion« von Fachleuten aus verschiedenen Ländern erörtert. Ja, es sind anregende Debatten, in denen Vertreter des ICL oder der ALL indes mehr aktive Präsenz zeigen sollten, um etwa die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Denn die kritischen Gespräche zwischen Referenten und Publikum sind anregend.
Bezüglich des offiziellen Deutschland zeigt man dieses Jahr wieder mehr Interesse am kubanischen Buchmarkt. »Es ist spannend, bei diesen Veränderungen in Kuba dabei zu sein. Es gab schon auf der mexikanischen Buchmesse in Guadalajara vergangenes Jahr Gespräche zwischen beiden Institutionen. Dann kam die Einladung an uns, die Frankfurter Buchmesse (FBM) in Havanna vorzustellen«, so Marifé Boix García, Vizepräsidentin der FBM, auf Anfrage. Ziel sei es, Kuba wieder mit einem eigenen Stand nach Frankfurt zu holen.
Und wie sieht es außerhalb der Cabaña, auf den Straßen von Havanna aus? Sie sind ganz in der Hand der zahlreichen Cabriolets, in den schrillsten Farben: pink, rot, grün, lila, salmon. Sie fahren historische und weniger historische Schauplätze der Stadt ab, wo der Verfall einer Stadt und die oft schwierige Lage ihrer Bewohner einem jeden ins Gesicht zu brüllen scheint: Wo sind sie denn nun, die viel gerühmten Veränderungen?
Die Gäste der herrschaftlich anmutenden Oldtimer stört dies wenig. Schließlich kamen sie ja deswegen nach Kuba. »Wir wollen uns das noch einmal ansehen, bevor es vorbei ist«, konnte man bereits beim Hinflug von vielen hören. So halten sie ihre Digitalkameras oder Smartphones in den Wind und filmen die Requisiten einer glorreichen vergangenen Epoche und ihre lebenden Insassen, davon überzeugt, dass der Traum vom karibischen Sozialismus ja wohl bald ausgeträumt sei. Ob sie Recht behalten werden? Bevor ich mir ernsthafte Gedanken darüber mache, stecke ich meine Nase lieber wieder ins Buchmessenprogramm, rufe ein Taxi und fahre schleunigst zur Cabaña hoch.
Noch bis zum 21. Februar ist die Internationale Buchmesse mit ihren spannenden Veranstaltungen zu erleben. Dann wird die Verkaufsmesse ab Anfang März bis Ende April durch 15 weitere Städte der Insel ziehen.
Ute Evers
Neues Deutschland, 16.02.2016