Unter Kennern Kubas

Drei hochrangige Vertreter der DDR analysieren die jüngsten Entwicklungen auf der revolutionären Karibikinsel.

Buchvorstellung: Aufbruch oder Abbruch ?

Buchvorstellung war am 19. Januar in der jW-Ladengalerie. Volker Hermsdorf (r.), auf dem Podium mit Hans Modrow (l.) und Fritz Streletz.
Foto: Christian-Ditsch.de

Volker Hermsdorf nimmt den Gesprächsfaden auf. Vor gut einem Jahr erschien sein Buch »Amboss oder Hammer«, das Ergebnis monatelanger Unterhaltungen mit dem früheren DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow. Der linke Gewerkschafter aus dem Westen tauschte sich darin mit dem hohen Funktionär des anderen Deutschland über ihre Erfahrungen mit Kuba aus. Entstanden war damals eine Sammlung von Eindrücken zweier Experten, die ihre Sympathie für die revolutionäre Insel eint. Allerdings wurde dieses Buch in gewisser Weise von der Geschichte überrollt, der Alptraum jedes Verlegers: Wenige Tage, nachdem das Buch in den Druck gegangen war, traten in Washington und Havanna US-Präsident Barack Obama und sein kubanischer Amtskollege Raúl Castro zeitgleich vor die Presse, um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Staaten anzukündigen. Die letzten drei der »Cuban Five« kehrten in ihre Heimat zurück.

Es lag also nahe, das Buch fortzusetzen und die neuen Entwicklungen aufzugreifen. Hermsdorf entschied sich nicht dafür, einfach einen zweiten Band vorzulegen, sondern erweiterte den Kreis der Gesprächspartner. Neben Modrow befragte er diesmal den früheren stellvertretenden Verteidigungsminister der DDR, Fritz Streletz, und den Chefanalytiker des MfS und Spezialisten für die US-Geheimdienste, Klaus Eichner. Entstanden ist ein Kompendium, in dem die vier Experten unter dem Titel »Kuba – Aufbruch oder Abbruch?« die neu entstandene Situation beleuchten.

Die drei in der DDR geschulten Experten analysieren die Lage kompetent und entsprechend ihren eigenen Erfahrungen mit den Machenschaften der europäischen und US-amerikanischen Geheimdienste. Keiner von ihnen gibt sich der Illusion hin, dass Washington mit dem taktischen Kurswechsel das langfristige Ziel aufgegeben haben könnte, den Sozialismus auf Kuba zu beseitigen. Die von der CIA, der NSA, den antikommunistischen Banden in Miami und von anderen Vereinen dazu unternommenen Versuche werden benannt und in ihren historischen Kontext eingeordnet. Dabei sticht zum Beispiel hervor, wie die widerrechtlich von Washington auf kubanischem Territorium betriebene US-Marinebasis Guantanamo Bay und die von ihr gegen Kuba ausgehenden Aggressionen mit der Rolle verglichen werden, die Westberlin über Jahrzehnte als Stachel im Fleisch der DDR gespielt hatte. Das ist die große Stärke des Buches, das wohl als erstes in deutscher Sprache die jüngsten Entwicklungen untersucht.

Schade ist allerdings, dass sich Hermsdorf in diesem zweiten Band auf die Rolle eines Interviewers zurückgezogen hat, der seine Gesprächspartner befragt. Wer seine regelmäßigen Artikel etwa in der jW kennt, weiß, dass er die Antworten auf seine Fragen oft sehr gut kennt. So lesen sich die Aussagen, die er von seinem Gegenüber bekommt, manchmal wie Zitate aus Hermsdorfs eigenen journalistischen Beiträgen. Hier hätte der Gesprächscharakter, wie er im ersten Band gelungen ist, den Analysen gut getan, denn unter den vier Beteiligten ist Volker Hermsdorf zweifellos derjenige, der am unmittelbarsten die tagesaktuellen Entwicklungen in Kuba verfolgt, während die Stärke von Modrow, Streletz und Eichner die historische Einordnung und Bewertung der Fakten ist.

Aber das Buch macht Lust auf mehr davon: Wann, wenn nicht jetzt, könnte eine erste Bilanz von Jahrzehnten revolutionärer Entwicklung in Kuba und internationaler Solidarität gegen die Blockade gezogen werden. So wäre ein Buch über die Entstehung und Entwicklung der Kuba-Solidaritätsbewegung in West und Ost spannend. Es sucht in der bundesdeutschen Linken schließlich seinesgleichen, dass inzwischen zum Beispiel im Netzwerk Cuba Initiativen ganz unterschiedlichen Charakters zusammenarbeiten – von humanitären Hilfsgruppen über die 1974 im Westen gegründete Freundschaftsgesellschaft BRD – Kuba e.V. bis hin zu Cuba Sí, der Arbeitsgemeinschaft der Linkspartei, deren Wurzeln im Protest gegen die Aufkündigung der Kooperation zwischen der DDR und Kuba durch die Bundesregierung nach der »Wiedervereinigung« liegen. Kollege Hermsdorf, übernehmen Sie!

Volker Hermsdorf: Kuba – Aufbruch oder Abbruch?
Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2016, 204 Seiten, 10,00 Euro.


Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

André Scheer
Junge Welt, 15.02.2016