Doppelmoral der Contras
Kubanische Migranten in den USA als »politische Flüchtlinge« begrüßt.
Die ersten der rund 8.000 in Mittelamerika gestrandeten Migranten aus Kuba sind am Wochenende in Miami eingetroffen. Das berichtete die spanische Nachrichtenagentur EFE. Nach einer zweimonatigen Odyssee durch mehrere lateinamerikanische Länder war eine aus zwölf Personen bestehende Vorhut bereits Donnerstagnacht mit dem Flugzeug in der mexikanischen Grenzstadt Nuevo Laredo gelandet. Am Freitag kamen die nächsten 47 per Bus nach. Wenig später passierten sie die Brücke über den Rio Bravo, die zugleich die Grenze zur texanischen Stadt Laredo markiert. Owohl sie weder Visa noch die sonstigen zur Einreise in die USA erforderlichen Papiere präsentierten, konnte die Gruppe ihren Weg ohne Probleme fortsetzen. Die Zauberformel dafür lautet: »Ich bin Kubaner und bitte um politisches Asyl.« Dieser Satz reicht, um in »God's own Country« ohne weitere Prüfung den Status eines politischen Flüchtlings zu erhalten. In Laredo wartet bereits eine Transportfirma mit dem Namen »La -Cubaníssima«, um die US-Neubürger in spe für 300 Dollar pro Person mit Bussen ins knapp 2.500 Kilometer entfernte Miami zu bringen.
Grund für die privilegierte Abfertigung, von der andere Einwanderer nicht zu träumen wagen, ist der im November 1966 verabschiedete »Cuban Andjustment Act« (CAA). Nach diesem in der Welt einzigartigen Spezialgesetz, mit dem das Land personell ausgeblutet werden soll. Erhalten kubanische Migranten, die auf dem Landweg in die USA kommen, automatisch ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und zahlreiche weitere Privilegien. Auf hoher See aufgegriffene werden dagegen abgewiesen. Wie die französische Nachrichtenagentur AFP meldete, hatte die US-Küstenwache am Donnerstag 169 Menschen, die auf Flößen Richtung Florida unterwegs waren, aus dem Meer gefischt und sofort nach Kuba zurückgebracht.
In Mexiko haben die Sonderkonditionen mittlerweile polemische Debatten ausgelöst. Die Tageszeitung La Journada berichtete am Donnerstag, dass die Behörden angewiesen worden seien, alle Transitpapiere für die kubanischen Migranten auszustellen; ihre sonstigen Reisekosten hätten das Rote Kreuz und andere Organisationen übernommen. Pater Flor María Rigoni, der eine Flüchtlingsunterkunft in der Ortschaft Tapachula leitet, kritisiert in dem Artikel, dass die »privilegierten kubanischen Auswanderer« für politische Ziele missbraucht würden, während zugleich Tausende andere, die Mexiko in auf besorgniserregendem Zustand durchquerten, von keiner Seite unterstützt, sondern deportiert würden. Den Geistlichen empörte die »doppelte Moral« in seinem und in den Nachbarländern: »Ich empfange Tag für Tag Leute mit Schusswunden am Körper, Migranten, die vor der Gewalt in Zentralamerika fliehen und den Sarg auf dem Rücken tragen und von denen niemand etwas wissen will.« Wie zur Bestätigung zitiert La Journada den 35jährigen Sergei Acosta der dem Blatt zufolge als erster der gestrandeten Kubaner mexikanischen Boden betreten hatte. Er habe sein Land nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, verrät Acosta: »Es ist der Wunsch nach einem besseren Leben.« So viel Offenheit kommt im Norden nicht gut an, denn sie konterkariert die Propaganda der US-Regierung und rechter Exilkubanergruppen, die jeden Migranten von der Insel zum politischen Flüchtling stempeln. Nur wer sich dazu bekennt, gilt als guter Migrant.
Letzen Dienstag präsentierte Marco Rubio, Senator aus Florida und Anwärter als republikanischer Präsidentschaftskandidat, einen Gesetzentwurf, um die automatischen Privilegien kubanischer Migranten zu streichen. Ihm und anderen Contrahardlinern missfällt, dass die Neuankömmlinge Kontakt zu ihren Familien halten, diese finanziell unterstützen und – sobald möglich – auch in Kuba besuchen. Es sei empörend, dass »Individuen, die vorgeben, vor der Unterdrückung in Kuba zu fliehen … nach kurzer Zeit wieder an der Ort zurückkehren, von dem sie angeblich geflohen waren.« Damit würden nicht nur das »Regime der Castros« mit Dollars unterstützt, sondern auch die wirklich politisch Verfolgten unglaubwürdig gemacht, erklärte der von der rechten Tea-Party-Bewegung unterstützte Politiker.
Einige der endlich ans Ziel gelangten Migranten haben die Botschaft schnell verstanden. »Es ist wunderbar, sich frei zu fühlen«, zitierte der Nuevo Herald am Sonntag den 32jährigen Orlando Priede García nach seiner Ankunft in den USA. Er beendete den Satz im Sinne Rubios mit den Worten: »Es ist die Freiheit, die alle von uns Kubanern suchen.«
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 19.01.2016