Gespräch Mit Gerardo Hernández. Über sein Leben nach der Freilassung aus der US-Gefangenschaft, Umsturzversuche des Westens in Kuba und die Bedeutung internationaler Solidarität für den politischen Kampf.
Standing ovations im Humboldt-Saal des Berliner Urania-Hauses: Gerardo Hernández auf der XXI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 9. Januar |
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Gerardo, Sie sind seit etwas mehr als einem Jahr wieder in Kuba – bei der Familie, den Freunden und Genossen. Wie geht es Ihnen heute, nach einem Jahr in Freiheit?
Uns allen geht es gut. Unser Leben hat sich in kurzer Zeit total verändert. Antonio, Ramón und ich, die wir als letzte zurückgekehrt sind, haben das am drastischsten erlebt. Es dauerte ja nur wenige Stunden von unserer Entlassung aus dem Gefängnis bis zu unserem überwältigenden Empfang in Kuba. Der Kontrast konnte größer kaum sein. Dann folgte ein Jahr mit vielen Aktivitäten. Wir waren im ganzen Land unterwegs, um unserer Bevölkerung für die Solidarität zu danken. Danach gab es viele Einladungen aus dem Ausland. Und natürlich haben wir uns auch mit Familienangehörigen getroffen, von denen wir die jüngeren wegen unserer Inhaftierung ja noch gar nicht hatten kennenlernen können. Für mich persönlich war das glücklichste Ereignis, 20 Tage nach meiner Rückkehr die Geburt unserer Tochter Gema miterleben zu können.
Wie haben Sie Kuba erlebt, als Sie nach über 16 Jahren wieder zurückgekommen sind?
Mein Land hat sich in dieser Zeit in vielerlei Hinsicht verändert. Es wäre ja auch eher ein Grund zur Besorgnis und widerspräche der Dialektik, wenn Kuba in fast 20 Jahren gleichgeblieben wäre. Die meisten Veränderungen empfinde ich als positiv, auch wenn ich durchaus einiges sehe, an dem wir weiterarbeiten müssen. Aber ich habe eine Gesellschaft vorgefunden, in der Probleme nicht verschwiegen, sondern analysiert werden und nach Lösungen zum Wohl der Mehrheit gesucht wird. Es gibt ein klares Konzept und das Bewusstsein darüber, wo wir hin- und was wir nicht wollen. Das war früher nicht immer so ausgeprägt, doch heute haben wir eine klare Vorstellung davon, wo unsere Probleme liegen. Wir befinden uns derzeit mitten in einem langen und schwierigen Prozess, bei dem es darum geht, unser wirtschaftliches und politisches System zu erneuern. Unser Ziel ist der Aufbau eines immer mehr beteiligungsorientierten Sozialismus, der die bekannten Errungenschaften der Revolution verteidigt, aber auch ökonomisch erfolgreich ist.
Welche Veränderungen sind Ihnen besonders aufgefallen?
Als wir Kuba für unsere Mission verließen, begann die Zeit, die wir Spezialperiode nennen. Auch wer Geld hatte, konnte oft nicht einmal das Notwendigste kaufen. Heute hat sich das geändert. In vielen Bereichen gibt es ein wachsendes Warenangebot, es entwickelt sich ein kleiner privater Sektor mit Restaurants, Cafeterias und anderen Dienstleistungen. Im Tourismus nimmt nicht nur die Zahl internationaler Gäste zu. Auch wir Kubaner reisen mehr im eigenen Land, und einige besuchen Familienangehörige oder Freunde im Ausland. Die Medienlandschaft hat sich ebenfalls verändert, Probleme werden offener angegangen. Wir sind – trotz Blockade – zum Beispiel besser in der Lage, die Infrastruktur für den Zugang zum Internet schrittweise auszubauen. Wenn Sie durch Havanna gehen, sehen Sie, dass viele Menschen ihre Häuser und Wohnungen renovieren. Unsere Wirtschaft entwickelt sich Schritt um Schritt vorwärts. Außenpolitisch ist Kuba nicht isoliert, sondern hat eine bedeutende Rolle in der Welt. Es gibt zweifelsohne noch viel zu tun, doch generell hat sich das Land während der Zeit unserer Abwesenheit in fast allen Bereichen enorm weiterentwickelt.
Welche Bedeutung haben die »Cuban Five« heute für die kubanische Gesellschaft?
Die Rückkehr von uns »Fünf« ist ja nicht nur ein Erfolg des kubanischen Volkes, sondern auch einer der internationalen Solidarität. Uns ist bewusst, dass die Zustimmung und die Wärme, die uns überall entgegengebracht werden, nicht nur uns gelten, sondern Kuba und seiner Revolution. Unser Beispiel steht dafür, dass es möglich ist zu gewinnen, wenn man seinen Prinzipien treu bleibt. Wo immer wir hinkommen, kommen Leute zu uns und drücken ihre Bewunderung und ihren Dank aus. Diese Unterstützung hat uns geholfen, standhaft zu bleiben. Wir haben sie übrigens sogar im Gefängnis von Mithäftlingen erfahren, die Angehörige in Kuba hatten und sich bedankten, dass wir auch ihre Familien vor Terroristen geschützt haben.
Sie haben nach Ihrer Rückkehr schon viele Länder besucht. Wie wurden Sie dort aufgenommen, was möchten die Menschen wissen?
Wir haben Einladungen aus vielen Ländern erhalten. Einige haben wir gemeinsam in Begleitung unserer Familien besucht, in anderen Fällen, wie auf dieser Reise nach Deutschland, waren einzelne von uns allein unterwegs. In einigen Ländern wurden wir im Parlament und sogar vom Präsidenten empfangen. Mich bewegt es immer, wenn ich Menschen treffe, die sich mit Aktionen für uns eingesetzt und uns Briefe geschrieben haben. Hier in Deutschland habe ich viele Freunde, die mir in den vielen Jahren Karten und Fotos geschickt hatten, und lerne einige von ihnen jetzt endlich persönlich kennen.
Welche Eindrücke haben Sie von der Rosa-Luxemburg-Konferenz und Ihrem Besuch in der Bundesrepublik?
Die Konferenz hat mich durch ihre Themen, die Referenten, die ausgezeichnete Organisation, den Enthusiasmus vieler Teilnehmer und den solidarischen Geist, der von ihr ausging, beeindruckt. Besonders aufgefallen ist mir, dass viele junge Menschen dort anwesend waren. Ich habe die Hoffnung und bin optimistisch, dass diese jungen Leute unseren gemeinsamen Kampf fortsetzen werden. Die Atmosphäre auf der Konferenz war zudem geprägt vom Austausch der Ideen und Erfahrungen zwischen jüngeren und älteren Teilnehmern. Trotz unterschiedlicher Positionen stand das gemeinsame Ziel im Vordergrund. Ich möchte deshalb die Gelegenheit dieses Gesprächs nutzen, um den Organisatoren der Konferenz für die Einladung zu danken und sie zu deren Erfolg zu beglückwünschen.
Obwohl die großen Medien der westlichen Länder versucht haben, den Fall der Cuban Five zu verschweigen, war er weltweit präsent. Welche Erfahrungen können wir daraus für unsere Arbeit ziehen?
Foto: Gabriele Senft |
Die erste Erfahrung ist natürlich, dass es sich immer lohnt zu kämpfen, selbst dann, wenn es anfangs aussichtslos erscheint. Manche trauen sich nicht oder ermüden dabei, immer gegen den Strom zu schwimmen. Andere glauben den Falschinformationen, erschrecken vor den Angriffen der großen Medien und ergeben sich. Glücklicherweise haben sich in unserem Fall Menschen in aller Welt unermüdlich dafür eingesetzt, die Mauer des Schweigens einzureißen. Am Ende war es nicht mehr möglich, den Protest zu ignorieren, und selbst große US-Zeitungen wie die New York Times und die Washington Post berichteten darüber. Ich weiß, wieviel Arbeit die vielen kleinen Aktionen auch hier in Deutschland gemacht haben. Das war ja wie der Kampf Davids gegen Goliath. Doch das Ergebnis beweist, dass er sich gelohnt hat, und das sollte uns für die Zukunft optimistisch stimmen. Die Schlüssel zum Erfolg sind Solidarität und Einheit im Kampf.
Mit der Freilassung der Fünf wurde der Annäherungsprozess zwischen Kuba und den USA ermöglicht. Wie sehen Sie den Normalisierungsprozess: eher als Chance, als Herausforderung oder auch teilweise als Bedrohung?
Darin steckt ein bisschen von allem. Ich möchte zunächst darauf eingehen, dass einige Freunde mir ihre Skepsis über die Entwicklung dieses Prozesses gestanden haben. Sie fragen sich, ob die Revolution gegenüber ihren Gegnern Zugeständnisse macht. Bei solchen Überlegungen möchte ich zunächst daran erinnern, dass viele Vertreter der USA jahrzehntelang die Position vertreten haben, dass es mit Kuba keinerlei Vereinbarungen geben kann, solange die Castros, wie sie abfällig sagen, ohne die Volksmacht anzuerkennen, das Land regieren. Solange Kuba an den Prinzipien der Revolution festhält, wollten sie nichts mit uns zu tun haben. Doch jetzt verhandeln sie auf allen Ebenen mit uns, obwohl Raúl Castro unserer Präsident ist und wir den Sozialismus nicht abschaffen, sondern stärken. Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu begreifen, wem die Geschichte in dieser Auseinandersetzung bisher recht gegeben hat. Trotzdem ist sie natürlich nicht beendet. Es gibt mächtige Interessengruppen in den USA, die jede Gelegenheit ergreifen werden, um zu versuchen, unsere Gesellschaftsordnung zu zerstören. Sie haben das seit mehr als 50 Jahren zwar nicht geschafft, aber uns Kubanern ist völlig klar, dass sie darin auch in Zukunft nicht nachlassen werden. Der Imperialismus verliert ja nicht seinen aggressiven Charakter, nur weil sie ein Papier zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Kuba unterschrieben haben. Das zerstörerische Wesen des Imperialismus bleibt bestehen, und seine Aggressivität zeigt sich an vielen Orten. Sie ändern vielleicht ihre Methoden, aber nicht ihre Ziele. Deshalb bleibt die kubanische Revolution wachsam und ist bereit, sich zu verteidigen. Wir sind nicht naiv. Uns ist sehr bewusst, wer unsere Freunde und wer unsere Gegner sind.
Durch ihre Aufklärungsarbeit haben die Fünf dazu beigetragen, Anschläge zu verhindern und Menschen vor Schaden zu bewahren. Ist die von den Terrorgruppen in Miami ausgehende Gefahr heute geringer?
Meiner Meinung nach ist diese Gefahr für Kuba seit dem 11. September 2001, als die USA selbst vom Terror getroffen wurden, etwas zurückgegangen. Bis zum Anschlag auf das World Trade Center haben die Anführer der Terrorgruppen in Miami ganz offen mit ihren Gewalttaten geprahlt. Aber nach diesem Tag mussten sie ihre Rhetorik ändern und vorsichtiger werden. Man kann nicht sagen, dass die Bedrohung verschwunden ist. Schließlich sind in den letzten Jahren ja auch weitere Terroristen in Kuba gefasst worden, die alle aus Miami kamen. Auch eine Reiseagentur in Florida, die Touren zum Besuch von Papst Benedikt XVI. in Kuba anbot, wurde mit einem Molotowcocktail angegriffen.
Das zeigt, dass die Terroristen weiter aktiv sind. Der Massenmörder Luis Posada Carriles, der sich mit einem Bombenattentat auf ein kubanisches Flugzeug brüstet, darf dort unbehelligt herumlaufen. Es ist doch absurd, dass die USA überall in der Welt im Namen des Kampfes gegen den Terror Menschen töten und gleichzeitig zu Hause Terroristen wie Carriles gewähren lassen. Für uns gibt es deshalb keinen Grund zur Entwarnung.
Vertreter der USA sagen ja auch selbst, dass sie weiterhin einen Systemwechsel in Kuba herbeiführen wollen. Sie versuchen vor allem, die Jugend zu beeinflussen. Wie können junge Menschen, für die alle Erfolge der Revolution heute selbstverständlich sind, für ihre Verteidigung gewonnen werden?
Die USA geben jedes Jahr viele Millionen Dollar aus, um die sozialistische Gesellschaftsordnung in Kuba zu beseitigen. Sie haben dabei jahrzehntelang vor allem auf die Blockade, auf die Isolierung unseres Landes sowie auf Sabotage und Terror gesetzt. Das hat ihnen nichts gebracht. Sie haben daraus gelernt und den Schluss gezogen, dass sie ihre Methoden ändern müssen. Sie glauben, dass sie ihr Ziel leichter erreichen, sobald die jungen Kubaner die Verantwortung dafür tragen, dass die Revolution weiter vorankommt. Deshalb geben sie viel Geld zur Beeinflussung der jungen Leute aus. Es gibt dafür zahlreiche US-Programme, einige sind geheim, andere bekannt.
Die USA und ihre Helfer arbeiten systematisch und mit großer Geduld zielstrebig in Sektoren unserer Gesellschaft, in denen sie sich eine größere Anfälligkeit für ihre Beeinflussungsversuche erhoffen. Uns kubanischen Revolutionären ist die Situation der heutigen Jugendlichen bewusst. Die Mehrheit der Kubaner ist nach dem Sieg der Revolution geboren und kennt das vorangegangene kapitalistische Regime nicht aus eigener Erfahrung. Unsere Jugendlichen kennen nichts anderes als ihre kostenlosen Schulen und Universitäten, die kostenlose Gesundheitsversorgung und eine Gesellschaft, in der niemand Angst vor Gewalt von Banden oder Schwerkriminalität haben muss. Wenn man in einer solchen Gesellschaft geboren wird und aufwächst, dann erscheint einem all das normal. Man musste es sich nicht erkämpfen.
Es gibt einen Spruch: Man schätzt etwas erst, wenn man es verloren hat. Ich will nicht sagen, dass die heutige Jugend in Kuba diese Vorteile nicht würdigt, aber es fehlt ihnen doch oft die Vorstellung davon, wie schwer es für unsere Eltern und Großeltern war, all dies zu erkämpfen. Ich bin aber trotzdem nicht pessimistisch und habe großes Vertrauen in die kubanische Jugend. Denken Sie nur an die vielen jungen Ärzte, Schwestern und Pfleger, die in Afrika gegen den Ebola-Virus im Einsatz waren. Viele unserer jungen Leute erfüllen in den Missionen in aller Welt selbstlos und mit großem Engagement schwierige Aufgaben. Das sind auch die kubanischen Jugendlichen. In Kuba selbst widmen sich Zigtausende hochmotiviert ihrem Studium oder ihrer Ausbildung. Man darf die Herausforderungen und Gefahren sicher nicht ignorieren, doch ich bin in Bezug auf unsere Jugend optimistisch.
Was halten Sie von Angeboten wie dem »Proyecto Tamara Bunke«, bei dem Jugendliche aus Deutschland mehrere Monate an der polytechnischen Universität von Havanna (CUJAE) Kurse belegen können und sich dabei mit kubanischen Jugendlichen austauschen?
Das scheint mir eine sehr gute Initiative zu sein, von der beide Seiten etwas haben können. Wir leben alle in einer globalisierten Welt, die viele zu Opfern von Desinformation macht. Die meisten Filme, die Jugendliche sich ansehen, kommen aus den USA, aber sie zeigen nicht die Realität der dortigen kapitalistischen Gesellschaft.
Die Möglichkeit, ohne große Formalitäten in andere Länder reisen zu können, wenn man es sich finanziell erlauben kann, ist natürlich positiv. Ich kenne Personen, die aus Kuba in der Hoffnung auf ein leichteres Leben ausgewandert sind und später enttäuscht wieder zurückkamen, nachdem sie mit der Realität im Kapitalismus konfrontiert wurden. Deshalb ist der direkte Austausch mit Gleichaltrigen, die nicht in der privilegierten Position von Touristen sind, eine große Chance, etwas über die wirklichen Zustände im jeweils anderen Gesellschaftssystem zu erfahren.
Was sind Ihrer Meinung nach – angesichts der rechten Gegenoffensive in Lateinamerika und der Welt – die wichtigsten Aufgaben der Solidaritätsbewegung?
Der Imperialismus wird den Versuch, die Welt zu beherrschen, nicht aufgeben. Deshalb dürfen die progressiven und revolutionären Kräfte in der Welt in ihrem Engagement nicht nachlassen. Wir sollten den Vertretern imperialistischer Mächte niemals trauen und müssen immer auf die Auseinandersetzung mit ihnen vorbereitet sein.
Was Kuba angeht, zählen wir weiter auf die Solidarität unserer Freunde in aller Welt, denn die Blockade besteht noch immer, die USA halten unser Territorium in der Bucht von Guantánamo weiter besetzt, und der »Cuban Adjustment Act«, mit dessen Hilfe die USA unser Land ausbluten wollen, ist unverändert in Kraft – um nur einige Beispiele zu nennen. Unsere Solidarität sollte darüber hinaus politischen Gefangenen gelten, wie Mumia Abu-Jamal, dem puertoricanischen Unabhängigkeitskämpfer Oscar López Riviera, dem indianischen Aktivisten Leonard Peltier und anderen Genossinnen und Genossen, die in den USA und anderswo eingekerkert sind. Wir müssen unseren Widerstand gegen Rassismus, Kolonialismus und imperialistische Kriege verstärken und die Völker Venezuelas, Argentiniens und Brasiliens angesichts der neuen reaktionären Gegenoffensive unterstützen. All das sind wichtige Aufgaben der internationalen Solidaritätsbewegung. Wir können uns ihnen aber nur dann erfolgreich stellen, wenn die Revolutionäre in aller Welt ihre Reihen schließen und einig sind. Der Imperialismus herrscht dank seiner Waffen, seiner Lakaien und der Desinformation durch die großen Medien. Deshalb sind Zeitungen wie die junge Welt wichtige Säulen der internationalen Solidarität.
Veröffentlichung |
Interview: Volker Hermsdorf
Junge Welt, 16.01.2016