Gerufen und nicht willkommen
Kubanischer Migrant stirbt an Schweinegrippe. USA zeigen sich unwillig, Ankömmlinge aufzunehmen.
Die ursprünglich für den gestrigen Freitag geplante Weiterreise einer ersten Gruppe von 180 der in Mittelamerika gestrandeten kubanischen Migranten verzögert sich bis kommenden Dienstag. Als Grund dafür gab El Salvadors Außenminister Hugo Martínez am Dienstag in einem Fernsehinterview »logistische Probleme der Fluggesellschaft« an. Am gleichen Tag verstarb in einem Krankenhaus der panamaischen Provinzstadt San José ein Kubaner an der Schweinegrippe. Der 53jährige ist einer von über 1.000 Auswanderern, die in Panama festsitzen, nachdem Costa Rica am 18. Dezember seine Grenze schloss.
Am 28. Dezember hatten sich Vertreter von Costa Rica, Mexiko, Guatemala, El Salvador, Belize, Panama und Honduras während eines außerordentlichen Treffens des Zentralamerikanischen Integrationssystems (SICA) in Guatemala-Stadt auf eine »Luftbrücke« geeinigt. Knapp 8.000 Männer, Frauen und Kinder aus Kuba, die seit Mitte November von der Regierung Costa Ricas auf 38 Notunterkünfte verteilt wurden, sollen in Gruppen zunächst nach El Salvador ausgeflogen werden und dann mit Bussen durch Guatemala und Mexiko Richtung US-Grenze weiterreisen. Für die später in Panama eingetroffenen Nachzügler gilt dieses Angebot allerdings nicht.
Seit dem Auftreten des »Influenza AH1N1«-Virus in einem Behelfslager der Grenzstadt El Progreso hat sich der Druck verstärkt. Zuletzt hat sich das Virus im April 2009 von Mexiko aus in wenigen Wochen weltweit ausgebreitet, zwei Monate später musste die Weltgesundheitsorganisation WHO die Schweinegrippe zur Pandemie erklären, also zu einer globalen Epidemie.
Auslöser der neuen Auswanderungswelle aus Kuba ist die Befürchtung einiger Inselbewohner, die USA könnten in absehbarer Zeit die für sie vorteilhaften Einwanderungsgesetze ändern. Noch lockt der Norden außer mit dem »American Way of Life« auch mit dem im November 1966 vom Kongress verabschiedeten »Cuban Adjustemnt Act«. Nach diesem Gesetz, mit dem ein Massenexodus provoziert und der sozialistische Staat personell ausgeblutet werden soll, erhalten kubanische Einwanderer in den USA automatisch ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und zahlreiche Privilegien.
Obwohl das in der Welt einzigartige Spezialgesetz, die aktuelle Migrationskrise verursacht hat, hat Washington sich bisher nicht an den Bemühungen zu deren Lösung beteiligt. Statt die Länder Mittelamerikas zu unterstützen, streiten sich Politiker im wohlhabenden Norden schon jetzt wegen der zu erwartenden Kosten, wenn die angelockten Kubaner eines Tages bei ihnen eintreffen. »Unsere örtlichen Behörden sind darauf überhaupt nicht vorbereitet«, gestand Miamis Bürgermeister Tomás Regalado Anfang der Woche in der Onlineausgabe der Tageszeitung Nuevo Herald. Der in Havanna geborene Politiker warnt vor einer heraufziehenden Krise. Wegen der schon jetzt immens hohen Zahl von Armen und Obdachlosen könne die Stadt pro Tag bestenfalls 30 zusätzliche Personen unterbringen und verpflegen, klagt er. Auch sein Amtskollege Carlos Hernández, der ebenfalls aus Kuba stammende Bürgermeister der benachbarten Stadt Hialeah, fühlt sich wie Goethes Zauberlehrling: In Südflorida gebe es weder Geld noch Arbeit oder ausreichenden Wohnraum für die politisch gern gesehenen Migranten von der sozialistischen Karibikinsel.
Die Provinzpolitiker geben den schwarzen Peter an die Zentralregierung in Washington weiter. Die habe »diese Situation durch die Aufnahme von Verhandlungen mit Havanna herbeigeführt«, meint Regalado. Und Hernández sekundiert, er erwarte, dass Washington sich jetzt der Sache annehme und einen Plan zu Lösung der Krise vorlege. Die Herausgeber der New York Times hatten dazu in einem Leitartikel am 21. Dezember bereits einen Vorschlag gemacht. Die in Costa Rica gestrandeten Kubaner offenbarten »die Absurdität« der US-amerikanischen Politik, schrieben sie. Als Lösungsvorschlag forderten sie die Abschaffung des »Cuban Adjustment Act«, den sie als Relikt aus dem »Kalten Krieg« bezeichneten.
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 09.01.2016