Alte Meister

Auch wenn es in Kuba keinen Herbst gibt, bringt diese Jahreszeit dem immer warmen Land doch ein wenig Frische. Es wird auch früher dunkel. Als Silvio Rodríguez am vergangenen Wochenende um 18 Uhr sein Konzert begann, hatte sich schon der Schleier der Nacht über Havanna gesenkt. »Wir spielen jetzt ein Stündchen, nicht länger ...«, hob Rodríguez an und wurde sofort von einem lauten enttäuschten »Oooooh« unterbrochen. Doch der international bekannte Sänger fuhr fort: »... um Platz für die Meister zu machen!« Er hatte den legendären Buena Vista Social Club eingeladen, der vor einem Monat noch im Weißen Haus in Washington spielte und nun ins Barrio Jesús María gekommen war.

Seit 2010 tritt Silvio Rodríguez regelmäßig in den ärmsten Stadtvierteln von Havanna auf, um für die zu singen, die sich eine Karte für eines seiner Konzerte nicht leisten können. Alles begann, als ein Polizist aus dem Vorort La Corbata bei Rodríguez an die Tür klopfte und ihn um etwas Musik für die Nachbarn bat.

Bei solchen Auftritten mischen sich die Besucher aus der Nachbarschaft mit Rodríguez-Fans. Die Menschen drängen sich auf den Balkons, und Eltern tragen ihre Kinder auf den Schultern. Und immer ist da, oben und in der Mitte, die Fahne Kubas. Viele filmen das Geschehen mit ihren Handys, und eine junge Frau ruft »Silvio, ich liebe dich« in die Menge. Andere Größen der kubanischen Musikwelt haben auf der Straße zusammen mit ihm gespielt: Los Papines, Frank Fernández, Omara Portuondo. Und niemand wurde dafür bezahlt. »Aus Liebe zur Kunst«, heißt es hier. Und dabei durfte Buena Vista eben nicht fehlen. Bei »Óleo de una mujer con sombrero« singt die Menge mit, wird zu einem riesigen Chor. Und zum Schluss kommt, tausendfach gefordert, »El Necio«, das wie eine Hymne gesungen wird.

Kaum stehen die alten Musiker auf der Bühne, beginnt man unwillkürlich, die Liste durchzugehen, wer fehlt: Ibrahim Ferrer, Compay Segundo, Rubén González. Es sind zu viele, die fehlen. Auch Eliades Ochoa hat sich von der Gruppe verabschiedet, um mit seinem Cuarteto Patria voranzukommen. Doch sie lassen sich nicht aufhalten und beginnen mit »El cuarto de Tula«. Der Trompeter Manuel »Guajiro« Mirabal spielt im Sitzen, er ist schon 82 Jahre alt. »Das ist ein schönes Lied, das ich gehört habe, als ich ein kleines Mädchen war« – so sagt Omara Portuondo »Veinte años« an. »Denn auch ich war mal ein Mädchen, wusstet ihr das?« Es folgt »La Era«, ein Lied, das sie Silvio nach eigenen Angaben »gestohlen« haben, »weil ich es nie wieder so singen kann, wie früher«. Wenn man Omara mit ihrer nie älter werdenden Stimme hört, weiß man, was er meint.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Eileen Sosin Martínez, Havanna
Junge Welt, 27.11.2015