Migration als politische Waffe

In kubanischen Blogs nimmt die Situation der gestrandeten Migranten breiten Raum ein. Viele Autoren teilen die Aussage des Außenministeriums, dass die in Costa Rica festsitzenden Kubaner beim Versuch, in die USA zu gelangen, »zu Opfern von kriminellen Banden geworden sind«. Die Ankündigung der kubanischen Behörden, sich zusammen mit den Regierungen der betroffenen Länder um eine schnelle Lösung zum Wohle der Gestrandeten zu bemühen, und die Bekräftigung, dass sie das Recht hätten, »nach Kuba zurückzukehren, wenn sie dies wünschen«, werden positiv kommentiert. Doch es gibt auch irritierte Stimmen.

»Ich weiß nicht, was zu tun ist, aber ich bin sicher, dass wir etwas tun müssen«, schreibt der Sänger Silvio Rodríguez in seinem Blog »Segunda cita«. Ihn beunruhigen die Bilder von Eltern, die ihren Kindern dieses »bittere Abenteuer« zumuten. Neben Kritik an Politikern und Medien der Region sowie an deren gegen Kuba gerichteten »Manipulationen« beschäftigen Rodríguez vor allem die »unschuldigen Kinder«, deren Eltern beschlossen hätten, sich dem Menschenhandel zu unterwerfen.

In »La joven Cuba«, einem der meistgelesenen Blogs der Insel, schreibt Osmany Sánchez: »Ich bedauere es, wenn Jugendliche ihre Zukunft nicht in Kuba sehen und das Land verlassen, um sie woanders zu suchen.« Aber zugleich bedauere er auch, dass die Migration als eine politische Waffe eingesetzt wird, fährt der Autor fort. Niemand, der gerecht denke, könne dagegen sein, dass Landsleute eine Arbeitserlaubnis und Unterstützung erhielten, sobald sie ihren Fuß auf den Boden der USA gesetzt hätten, und nach einem Jahr eine Aufenthaltsgenehmigung, schreibt der junge Blogger. Er gibt aber zu bedenken, dass »diese Privilegien die Realität der kubanischen Migration verfälschen«. Kuba sei das einzige Land der Welt, in das »politische Flüchtlinge« in ihren Ferien zurückkehrten, um mit den Nachbarn Domino zu spielen und gefahrlos in den Straßen spazierenzugehen.

Der Journalist Iroel Sánchez geht in seinem Blog »La pupila insomne« der Frage nach, warum die Contras und die Presse in Miami einen »humanitären Korridor« durch acht Länder der Region für kubanische Migranten fordern und darüber spekulieren, die Gestrandeten per Schiff an Nicaragua vorbei nach Honduras zu transportieren. »Wäre es nicht sicherer und legaler, statt das Leben dieser Menschen weiter zu gefährden und den Menschenhandel sowie die Mafia weiter zu fördern, wenn das erwähnte Schiff die Opfer dieser Krise direkt ans Ziel ihrer Wünsche bringt: in die USA?« fragt Sánchez.

Selbstkritisch äußert sich Luis Ernesto Ruiz Martínez, ein Professor der Universität von Holguín, in seinem Blog »Visión desde Cuba«. Er sieht in der US-Politik und dem »Cuban Adjustment Act« die Hauptverantwortlichen der Krise, kritisiert aber auch die zu späte Information durch die Medien seines Landes. »Wenn wir nicht rechtzeitig die Wahrheit veröffentlichen, auch wenn es schmerzt, kommen Opportunisten, die sie in ihrem Interesse verdrehen. Ist das nicht schlimmer?« gibt Ruiz Martínez zu bedenken.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf
Junge Welt, 23.11.2015