Kubanische Migranten versuchen, über Lateinamerika in die USA zu gelangen.
Die Regierungen von Nicaragua, Costa Rica und Panama beschuldigen sich gegenseitig, die jüngste lateinamerikanische Migrationskrise zu verschärfen. Am Sonntag war die Situation eskaliert, als rund 1.600 kubanische Auswanderer unter den Augen der Ordnungskräfte Costa Ricas gewaltsam einen Grenzposten im benachbarten Nicaragua gestürmt hatten. Dessen Präsident Daniel Ortega verurteilte das Verhalten der Autoritäten als »unverantwortlich« und warf der Regierung in San José vor, »eine humanitäre Krise mit ernsthaften Folgen für die Region« zu provozieren. Mehr als 2.000 Migranten aus Kuba sind auf der Landroute Richtung US-Grenze bereits in Zentralamerika gestrandet, nachdem die Behörden Costa Ricas kürzlich einen Schleuserring aufgelöst hatten.
Unterschiedlichen Agenturmeldungen zufolge berichten mehrere Länder der Region seit einigen Wochen über die verstärkte Ankunft von Migranten aus Kuba ohne gültige Einreisevisa. Diese hätten sich auf den Weg in die USA gemacht, weil sie eine Änderung der dortigen Einwanderungsgesetze befürchteten, die Kubanern bisher Privilegien gegenüber anderen Migranten einräumen.
Grundlage dafür ist der im November 1966 vom Kongress verabschiedete »Cuban Adjustment Act«, mit dem ein Massenexodus aus Kuba provoziert und das Land personell »ausgeblutet« werden sollte. Nach diesem – 1976 noch einmal verschärften – Gesetz hat jeder kubanische Bürger, der sich ein Jahr im Land aufhält einen Rechtsanspruch auf dauerhaften Aufenthalt in den USA. Der Anspruch besteht unabhängig von Art und Weg der Einreise und auch für solche Antragsteller, die dem US-Staat – noch dortiger Diktion – als Sozialhilfeempfänger »zur Last fallen«.
Diese Vorzüge, die einzig Kubanern eingeräumt werden, könnten im Verlauf des Normalisierungsprozesses zwischen Kuba und den USA gestrichen werden, fürchten nun viele, die sich ihre Privilegien noch sichern wollen. Das ist umso reizvoller, als Kuba im Januar 2013 neue Reisegesetze verabschiedet hat, die Staatsbürgern der sozialistischen Insel einen Auslandsaufenthalt bis zu 24 Monaten gestatten, ohne auf Vorteile im eigenen Land verzichten zu müssen. Kehren sie innerhalb dieser Frist zurück, bleibt etwa der Anspruch auf kostenlose Gesundheitsversorgung, staatlich subventionierte Lebensmittel oder das Wohneigentum uneingeschränkt erhalten.
Konservativen Politikern in den USA ist seit längerem ein Dorn im Auge, dass kubanische Einwanderer nach Erhalt ihrer Aufenthaltserlaubnis auf »Heimaturlaub« fahren. Die ultrarechte Kongressabgeordnete Ileana Ros-Lethinen wies kürzlich darauf hin, dass die US-Sozialbehörden jedes Jahr rund 680 Millionen US-Dollar (634 Millionen Euro) für kubanische Migranten aufwenden und warf ihnen vor, den »Cuban Adjustment Act« zu missbrauchen.
Kubaner, die sich kurz vor dem befürchteten Toresschluss noch die US-Privilegien sichern wollen, wählen zunehmend die als beschwerlich aber bislang als sicher geltende »Landroute«. Mit ihrem Reisepass fliegen sie zunächst nach Ecuador, wo die Einreise ohne Visum erlaubt ist. Danach geht es mit Hilfe von Schleusern, die in der Region »Kojoten« genannt werden, durch sieben mittelamerikanische Länder bis zur US-Grenze. Der spanischen Tageszeitung El País zufolge werden für den »Transport« pro Person bis zu 15.000 US-Dollar verlangt.
Nach offiziellen Angaben der Behörden Costa Ricas hat sich die Zahl der kubanischen Migranten auf dieser Route von 5.114 im vergangenen Jahr auf über 12.000 bis September 2015 erhöht. Viele von ihnen fürchten, in den USA künftig ebenso behandelt zu werden wie die dort lebenden elf Millionen Einwanderer »ohne Papiere«.
Allein im Jahr 2014 waren, nach Angaben des US-Heimatschutzministeriums, 315.000 von ihnen in ihre Herkunftsländer abgeschoben worden. Und der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump führt seinen Wahlkampf mit dem Versprechen, nach einem Sieg alle elf Millionen »Papierlose« zu deportieren sowie an der Grenze zu Mexiko eine Mauer zu errichten, um die weitere »illegale Einwanderung« zu verhindern.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
Junge Welt, 18.11.2015