US-Regierung könnte bei UN-Abstimmung über Kuba-Blockade erstmals zugunsten Havannas votieren. Doch selbst das hätte zunächst keine Folgen.
Am morgigen Dienstag steht in der UN-Generalversammlung in New York zum 24. Mal in Folge der Antrag Kubas zur Beendigung der von den USA seit 1962 aufrechterhaltenen Blockade des sozialistischen Landes zur Debatte. Anders als in den Vorjahren, als Washington und Israel erwartungsgemäß allein gegen den Rest der Welt standen und sich lediglich drei kleine Pazifikstaaten der Stimme enthielten, verspricht das diesjährige Votum spannend zu werden.
Ende September hatte die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf vier namentlich nicht genannte Mitarbeiter der Obama-Administration berichtet, dass intern über eine Enthaltung Washingtons diskutiert werde. Am vergangenen Mittwoch meldete AP dann jedoch, dass ein Beamter, der ebenfalls anonym bleiben wolle, dies für unwahrscheinlich halte, da der von Kuba vorgelegte Text Formulierungen enthalte, die für die USA inakzeptabel seien. Zugleich hielt sich der Informant jedoch eine Hintertür offen: Falls Kuba in Abstimmung mit der US-Administration einige Textpassagen verändere, sei eine Enthaltung Washingtons möglich. Auch in Israel, dessen Regierung in den vergangenen Jahren den USA stets in Vasallentreue folgte, regt sich Widerstand. »Wir haben keinen Konflikt mit Kuba«, schrieb das einflussreiche Onlinemagazin The Times of Israel bereits am 25. August und bezeichnete die blinde Gefolgschaft als »unnatürlich«. Die israelische Regierung sei verärgert, weil Obama den Kurswechsel gegenüber Kuba Ende 2014 ohne vorherige Konsultation oder auch nur Information angekündigt habe. Als Reaktion auf den Alleingang, so spekuliert das Magazin, könne Israel sich der Stimme enthalten oder sogar zugunsten Kubas votieren. Auch die drei Pazifikstaaten, Mikronesien, Palau und die Marshallinseln, überprüfen derzeit ihre Position. Die beiden letztgenannten hatten erst Ende September in New York in Anwesenheit des kubanischen Präsidenten Raúl Castro mit feierlichen Zeremonien die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Havanna vollzogen. Die Zustimmung der restlichen 188 Länder zur kubanischen Resolution gilt wie im Vorjahr als sicher.
Die USA haben den Beschluss der UN-Generalversammlung seit der ersten Abstimmung im Jahr 1992 ignoriert. Damals war die Blockade von 59 Staaten bei drei Gegenstimmen und 71 Enthaltungen verurteilt worden. Von Jahr zu Jahr wurde Washingtons Position schwächer. Am 17. Dezember 2014 gestand US-Präsident Barack Obama schließlich das Scheitern der seit 1962 mehrfach verschärften Blockade ein. Allerdings erkannte er nicht deren völkerrechtswidrigen Charakter an, sondern räumte lediglich ein, dass die Maßnahmen nicht zum gewünschten Ziel des Systemwechsels geführt haben. Seit Anfang des Jahres verhandeln Washington und Havanna über eine Normalisierung ihrer Beziehungen. Sie nahmen die 1961 von den USA einseitig abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder auf. »Das Wichtigste«, erklärte Kubas Präsident Raúl Castro jedoch mehrfach, sei: »Die Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, die unserem Land enorme menschliche und ökonomische Schäden zufügt, muss enden.« Vorher könne von normalen Beziehungen keine Rede sein.
Bisher haben die USA jedoch außer unverbindlichen Absichtserklärungen von Obama und Außenminister John Kerry keine Anstalten zur Aufhebung der Blockade gemacht. Deren Beseitigung kann nur vom Kongress beschlossen werden, in dem die Republikaner die Mehrheit haben. Derweil dehnen die USA ihre Blockade gegen Kuba auch weiterhin illegal auf Dritte aus. Erst in der vergangenen Woche musste die zweitgrößte französische Bank, Crédit Agricole, einer Strafzahlung von mehr als 1,1 Milliarden US-Dollar (eine Milliarde Euro) an die US-Behörden zustimmen, weil diese ihr die Abwicklung von Geschäften mit Kuba vorwarfen. Bereits im Juni vergangenen Jahres war die größte Bank Frankreichs, BNP Paribas, mit der Rekordstrafe von 8,9 Milliarden Dollar (8,1 Milliarden Euro) belegt worden. Danach war der Risikoaufschlag der Kreditinstitute für Geschäfte mit Kuba um ein Vielfaches gestiegen. Im März 2015 hatte die Commerzbank, unter anderem wegen Verstoßes gegen die Kuba-Blockade, einem Vergleich mit der US-Justiz zugestimmt, in dem sich das Unternehmen verpflichtete, 1,45 Milliarden Dollar Strafe zu zahlen. Gegen die Deutsche Bank wird derzeit ermittelt. Trotz Obamas beschwichtigender Worte wird die Blockade in der Realität also nicht nur aufrechterhalten, sondern ständig weiter verschärft.
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 26.10.2015