Ein eigener Weg
Aus der Geschichte und den Zielen der Revolution erklärt Volker Hermsdorf aktuelle Entwicklungen in Kuba.
Wer epische Erzählungen über die mühevollen Märsche der kubanischen Revolutionäre durch die Sierra Maestra oder eine genaue Rekonstruktion der Befreiung der Karibikinsel erwartet, wird enttäuscht sein: In dem gerade beim Papyrossa-Verlag erschienenen Band von Volker Hermsdorf zur Kubanischen Revolution werden den Geschehnissen von der Landung der Guerilleros an der Südküste am 25. November 1956 bis zu ihrem Einzug in die Stadt Havanna nicht einmal zwei Seiten gewidmet. Eine Themaverfehlung? Nicht, wenn man den Kubanern selbst glauben will.
»Revolution bedeutet, alles zu ändern, was zu ändern ist«, lässt Hermsdorf dazu Fidel Castro sprechen und erläutert, auf der Karibikinsel verstehe man unter Revolution keinen einmaligen Akt, sondern einen bis heute anhaltenden Prozess. Ihr Sieg bezeichne keinen »Endzustand, sondern den Zeitpunkt, an dem Kuba erstmals frei vom Einfluss fremder Mächte« sei. Dementsprechend setzt der Autor auch nicht erst bei der aufkeimenden Protestbewegung gegen die Batista-Diktatur ein, sondern bereits viel früher. Ein Überblick über den Widerstand in der Kolonialzeit führt zu einer Auseinandersetzung mit den beiden Unabhängigkeitskriegen im 19. Jahrhundert, die nicht losgelöst vom Kampf gegen das Elend der Bevölkerung zu betrachten sind, während die Befreiung von der Fremdherrschaft der USA das zentrale Ziel der Kubanischen Revolution war, die erst 1961 zur sozialistischen erklärt wurde. Mit dem Aufbau des Sozialismus blieb und bleibt das Einstehen für die eigene Souveränität ausschlaggebend – nicht nur bezüglich der USA. Als etwa 1962 der Inselstaat in der hierzulande als »Kuba-Krise« bekannten Auseinandersetzung um die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen der UdSSR bei den diplomatischen Gesprächen ins Hintertreffen geriet, scheute Castro nicht die Kritik an dem erst kurz zuvor gewonnenen Verbündeten, der rasch zum wichtigsten Handelspartner wurde und die wirtschaftliche, politische und soziale Umgestaltung auf der Insel unterstützte.
Wer epische Erzählungen über die mühevollen Märsche der kubanischen Revolutionäre durch die Sierra Maestra oder eine genaue Rekonstruktion der Befreiung der Karibikinsel erwartet, wird enttäuscht sein: In dem gerade beim Papyrossa-Verlag erschienenen Band von Volker Hermsdorf zur Kubanischen Revolution werden den Geschehnissen von der Landung der Guerilleros an der Südküste am 25. November 1956 bis zu ihrem Einzug in die Stadt Havanna nicht einmal zwei Seiten gewidmet. Eine Themaverfehlung? Nicht, wenn man den Kubanern selbst glauben will.
»Revolution bedeutet, alles zu ändern, was zu ändern ist«, lässt Hermsdorf dazu Fidel Castro sprechen und erläutert, auf der Karibikinsel verstehe man unter Revolution keinen einmaligen Akt, sondern einen bis heute anhaltenden Prozess. Ihr Sieg bezeichne keinen »Endzustand, sondern den Zeitpunkt, an dem Kuba erstmals frei vom Einfluss fremder Mächte« sei. Dementsprechend setzt der Autor auch nicht erst bei der aufkeimenden Protestbewegung gegen die Batista-Diktatur ein, sondern bereits viel früher. Ein Überblick über den Widerstand in der Kolonialzeit führt zu einer Auseinandersetzung mit den beiden Unabhängigkeitskriegen im 19. Jahrhundert, die nicht losgelöst vom Kampf gegen das Elend der Bevölkerung zu betrachten sind, während die Befreiung von der Fremdherrschaft der USA das zentrale Ziel der Kubanischen Revolution war, die erst 1961 zur sozialistischen erklärt wurde. Mit dem Aufbau des Sozialismus blieb und bleibt das Einstehen für die eigene Souveränität ausschlaggebend – nicht nur bezüglich der USA. Als etwa 1962 der Inselstaat in der hierzulande als »Kuba-Krise« bekannten Auseinandersetzung um die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen der UdSSR bei den diplomatischen Gesprächen ins Hintertreffen geriet, scheute Castro nicht die Kritik an dem erst kurz zuvor gewonnenen Verbündeten, der rasch zum wichtigsten Handelspartner wurde und die wirtschaftliche, politische und soziale Umgestaltung auf der Insel unterstützte.
Dieser Aufbauprozess ist der beste Beleg für die kubanische Sicht auf die Revolution. Rasch entstanden Massenorganisationen, die bis heute die Staatsspitze offen kritisieren und Diskussionen in die gesamte Bevölkerung tragen. Reformen führten zu einer weiteren Vergesellschaftung von Boden und ganzen Wirtschaftszweigen. Immer wieder wurden neue Mittel ausprobiert, bereits etablierte Ansätze in Frage gestellt. Für den eigenen Weg, den der Inselstaat wählt, ist der revolutionäre Denker José Martí eine wesentliche Inspirationsquelle, der im zweiten Unabhängigkeitskrieg gegen die spanische Kolonialherrschaft, aber auch den wachsenden Einfluss des »Kolosses des Nordens« USA kämpfte. Das Ziel der Souveränität verband er mit der Perspektive eines geeinten Lateinamerikas und konkreten Verbesserungen für die Masse der Bevölkerung. Internationalismus ist seit dem Sieg der Revolution eine Grundkonstante kubanischer Außenpolitik, selbst in Notzeiten.
An diesem revolutionären Anspruch hat sich bis heute nichts geändert. Dies entgegnet Hermsdorf im letzten Abschnitt seines Buches den Zweiflern, die Kuba heute eine Annäherung an die USA vorwerfen und die Veränderungen in der ökonomischen Struktur des Landes kritisieren. Die Notwendigkeit der Wirtschaftsaktualisierungen leitet er aus der veränderten Bündnislage nach dem Ende der Sowjetunion, aus internen Problemen wie Ineffizienz und aus der weltweiten Krise seit 2007 her.
Gleichzeitig zeigt er auf, dass von der hiesigen Linken oft verteufelte und von Kuba-Gegnern bejubelte Maßnahmen wie die »Arbeit auf eigene Rechnung« nicht erst seit den Beschlüssen der Kommunistischen Partei von 2008 existieren und trotz Einsicht in die Notwendigkeit dieser Schritte auch im Land selbst kritisch beäugt werden. Hermsdorf belegt, dass die Gespräche über die Normalisierung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten kein Einknicken, sondern ein diplomatischer Erfolg Kubas sind, während die USA ihre bisherige offen aggressive Politik für gescheitert erklären mussten. Daran, dass sie ihre Annexionspläne nicht aufgegeben haben, lässt Hermsdorf aber keinen Zweifel.
Damit ist das Buch in erster Linie eine Verteidigungsschrift, die Wissen und Argumente gegen genau diese Angriffe auf die kubanische Entwicklung liefert. Die warnenden Worte überlässt Hermsdorf Fidel Castro selbst mit einem Zitat aus dessen Rede an der Universität von Havanna 2005: »Diese Revolution kann sich zerstören. Die Vereinigten Staaten können es heute nicht mehr. Aber wir ja, wir können sie zerstören.« Gleichzeitig macht Hermsdorf klar: Wer meint, von hier aus die Kubaner für ihre Entscheidungen kritisieren zu können, kennt sie schlecht. Er schreibt in der Einleitung: »Wer Kubas gegenwärtige und künftige Rolle in Lateinamerika und der Welt verstehen will, muss sich mit der Geschichte und den Zielen seiner Revolution beschäftigen.« Dieses Verständnis herzustellen ist das Verdienst dieses Buchs.
Volker Hermsdorf: Die Kubanische Revolution,
Papyrossa-Verlag, Köln 2015, 131 S., 9,90 Euro.
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Lena Kreymann
Junge Welt, 19.10.2015