Das Maß ist voll
Trotz Annäherung der USA an Kuba: Die Propagandasender machen unbeirrt weiter. Die Kritik daran nimmt zu
US-Präsident Barack Obama geht es wie Goethes Zauberlehrling, der die gerufenen Geister nicht mehr los wird. Die auch während seiner Präsidentschaft mit Millionen Dollar an Steuergeldern ausgestatteten Einrichtungen zur Destabilisierung der Regierung in Havanna torpedieren seine neue Kuba-Politik.
Ein Beispiel dafür lieferte in der vergangenen Woche der staatliche US-Propagandasender Radio und TV Martí. Dessen Aufsichtsbehörde, das regierungseigene »Office of Cuba Broadcasting« (OCB) in Miami, bescherte Obama – ausgerechnet zum Auftakt der Papstreise nach Kuba und in die USA – negative Schlagzeilen. Mit Bewerbungsfrist bis zum 18. September, einen Tag vor der Ankunft von Papst Franziskus in Havanna, schrieb das OCB Stellen für Komiker und ein Produktionsteam zur Herstellung von zehn jeweils 30minütigen Fernsehsketchen aus. Die Interessenten müssen laut Anforderungsprofil in der Lage sein, »Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Politiker, Regierungsvertreter und Repräsentanten der (prorevolutionären) Zivilgesellschaft in Kuba zu parodieren«. Die Sketche sollen über TV Martí nach Kuba ausgestrahlt und dort außerdem von Systemgegnern per DVD und USB-Sticks verbreitet werden.
In US-Medien wurde das ungewöhnliche Jobangebot, das der Journalist Tracey Eaton am 7. September auf seinem Blog »Along the Malecón« veröffentlicht hatte, mit Unverständnis und Kritik kommentiert. »Warum in aller Welt sollte die Obama-Administration Steuergelder ausgeben, um kubanische Politiker lächerlich zu machen, während die beiden Länder beginnen, ihre Beziehungen zu normalisieren?« fragte Redaktionsleitungsmitglied Ernesto Londoño am 15. September in der New York Times. Die Steuerzahler der USA hätten allein im letzten Jahr 27 Millionen Dollar für das OCB gezahlt, kritisiert Lodoño und hat für das OCB-Projekt der Anti-Kuba-Sketche nur einen Vorschlag: »Kill it!« Unsere Politik gegenüber Kuba, endet sein Artikel, »war lange genug ein Witz«. Auf der sozialistischen Karibikinsel informierte der Journalist Iroel Sánchez einen Tag später in seinem Blog »La pupila insomne« über die bizarren Pläne der staatlichen US-Hetzer. Blogleser »Joseito« und andere forderten daraufhin, »den Propagandasender Radio und TV Martí zu schließen«; und zwar »nicht deswegen, weil Steuergelder der US-Bürger verschwendet werden, sondern weil er eine Beleidigung für unser Land ist«. Die USA sollten sich endlich an die internationalen Vorschriften über Radioemissionen halten, fordert der empörte Autor. Das sieht die Regierung genauso. Die Einstellung subversiver Programme ist für Havanna eine Voraussetzung für die Normalisierung der Beziehungen. Bisher wird diese Forderung von der US-Seite allerdings noch ignoriert.
Eine Position, die in den USA selbst zunehmend kritisch kommentiert wird. Das Jobangebot für Komiker macht das Maß nun offenbar voll. Der Analyst, Buchautor und Kuba-Experte William M. LeoGrande, Professor der American University in Washington, warf dem OCB am Wochenende vor, »die Beleidigung von offiziellen Vertretern Kubas vorzubereiten, mit denen wir versuchen Vereinbarungen auszuhandeln«. Dies sei »so offensichtlich kontraproduktiv«, dass es nach einer Sabotage der Politik des Präsidenten aussehe, schrieb LeoGrande am Sonnabend in dem Onlineportal The World Post. Es sei nicht der erste derartige Versuch von »Bürokraten, deren Programme und Arbeitsplätze von einer Fortsetzung der Feindschaft zwischen den USA und Kuba abhängen«.
Mit seiner Kritik an dem antikommunistischen Sprachrohr der Contras steht der Professor nicht alleine da. Die demokratische Kongressabgeordnete Betty McCollum aus Minnesota brachte am 28. Januar einen Gesetzentwurf ein, um die staatliche Finanzierung zu beenden. Sie bezeichnete die Propagandasender als »nutzlose Relikte des Kalten Krieges« und kritisierte, dass verschiedene US-Regierungen dafür in den vergangenen 30 Jahren über 770 Millionen Dollar ausgegeben haben. Radio Martí war 1985 von US-Präsident Ronald Reagan nach dem Vorbild von Radio Free Europe und Radio Liberty ins Leben gerufen worden. Unter George H. W. Bush kam 1990 der Fernsehkanal TV Martí dazu. Die zuständige Aufsichtsbehörde, das OCB, untersteht wiederum dem »Broadcasting Board of Governors« (BBG). Diese Bundesbehörde mit Sitz in Washington, ist für alle internationalen Hörfunk- und Fernsehprogramme der Regierung verantwortlich. Das BBG wird von einem neunköpfigen Aufsichtsrat geleitet, dem von Amts wegen auch der Außenminister angehört.
In dieser Funktion erhielt John Kerry jetzt einen Brief von der Organisation »Center for Democracy in the Americas« (CDA), die sich für einen Ausgleich mit Kuba und die Beendigung der Blockade einsetzt. Die CDA-Vorsitzende Sarah Stephens fordert den Außenminister auf, die von Radio und TV Martí geplante Provokation zu unterbinden. Schließlich müsse die US-Regierung über die Ziele ihrer Kuba-Politik »mit einer Stimme sprechen«. Eine Aktion des BBG, die – beabsichtigt oder unbewusst – den Normalisierungsprozess gefährde, müsse »sehr ernst genommen werden«.
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 24.09.2015