Franziskus sucht Dialog mit der Jugend
Der Papst hält sich in Kuba mit politischen Statements zurück und drängt auf mehr Freiheit für die Kirche.
Nach einer großen Messe in Havanna hat sich Papst Franziskus am Montag in die Stadt Holguín im Südosten der Insel begeben.
Bisher hält sich Papst Franziskus auf seiner Amerika-Reise mit politischen Aussagen zurück. Bei seinem Besuchsprogramm am Sonntag in Havanna vermied er direkte politische Kommentare. Während der recht kurzen Heiligen Messe vor rund 200.000 Menschen auf der zentralen Plaza de la Revolución im symbolischen Herzen der kubanischen Hauptstadt, rief Franziskus stattdessen zu Nächstenliebe und Solidarität auf. »Wer groß sein will, soll den anderen dienen und sich nicht der anderen bedienen.« Das authentische Leben werde im konkreten Engagement für den Nächsten gelebt. Es gelte, die Schwachen und Gebrechlichen zu schützen.
Der Dienst sei niemals ideologisch, »man dient nicht Ideen, sondern man dient dem Menschen«, so der Papst. Die Botschaft: die Kirche leiste Dienst am Menschen, hält sich aus dem Politischen aber heraus. Dem von Systemoppositionellen geforderten Treffen kam der Papst nicht nach. Ihm geht es vor allem darum, mehr Freiraum für die Kirche in Kuba zu erreichen; sie will wieder eigene Bildungs- und karitative Einrichtungen betreiben. Das soll über einen Dialog mit der Regierung erreicht werden. Ein Treffen mit Dissidenten wäre da nicht hilfreich.
Die kubanische Bevölkerung ist zwar durchaus religiös, aber weniger als zwei Prozent der Kubaner sind regelmäßige Kirchengänger. Vor allem afrokubanische Kulte sind verbreitet, viele Kubaner bezeichnen sich aber auch als Atheisten. Dies erklärt die keineswegs enthusiastische Stimmung während der Papstmesse.
Nach der Messe, der unter anderem Kubas Präsident Raúl Castro und Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner sowie zahlreiche Pilger aus amerikanischen Ländern beiwohnten, besuchte Papst Franziskus den historischen Führer der Revolution, Fidel Castro, in dessen Residenz. Die beiden tauschten sich rund eine halbe Stunde in einem familiären, informellen Rahmen aus, sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi. Später traf der Papst auch mit Kubas Präsidenten Raúl Castro zu einem privaten Gespräch zusammen. Inhalte der Unterhaltung wurden nicht bekannt.
Am Sonntagnachmittag besuchte Franziskus schließlich die frisch restaurierte Kathedrale, in der er mit Priestern und anderen Geistlichen zusammenkam. Erstmals wich er hier vom vorbereiteten Redetext ab. Er bat die Priester und Nonnen, nicht der Versuchung des Reichtums zu verfallen. »Unsere heilige Mutter Kirche ist arm. Gott will sie arm, ebenso wie er unsere Heilige Mutter Maria arm wollte«, sagte er.
Im Anschluss kam es im von der Erzdiözese Havanna betriebenen Kulturzentrum Felix Varela zu einem Treffen mit der kubanischen Jugend. Der 21-jährige kubanische Student Leonardo Fernández aus Sancti Spritius richtete dabei Begrüßungsworte an den Papst: »Helfen Sie uns, junge Menschen zu sein, die Andersdenkende aufnehmen und akzeptieren, uns nicht einzuschließen in den Mietskasernen der Ideologien oder Religionen, dass wir über uns hinauswachsen angesichts des Individualismus und der Gleichgültigkeit, den großen Übeln der kubanischen Routine«, sagte der junge Mann.
Er selbst ist ein gutes Beispiel für die sich verändernden Einstellungen in Kuba. Sein Vater ist Mitglied der Kommunistischen Partei, seine Mutter gläubige Katholikin. Nach vielen Jahren habe der Vater eingewilligt, sich auch kirchlich trauen zu lassen. Trotz aller Schwierigkeiten sei das, was die kubanische Jugend verbindet, so Fernández, »die Hoffnung auf eine Zukunft tief greifenden Wandels, in der Kuba ein Ort für alle seine Kinder ist, was immer auch sie denken mögen, wo immer sie auch seien«.
Franziskus blühte inmitten der Jugendlichen in Havannas Altstadt sichtlich auf. Er rief sie zum Dialog mit Andersdenkenden auf. »Wenn du anders denkst als ich, warum sollen wir nicht miteinander sprechen?« Er kritisierte die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa und die »Ausschluss-Mentalität« der Konsumgesellschaft. Am Ende seines zweiten Besuchstages in Kuba rief er die Jugend des Landes zum Träumen auf: »Träume, dass die Welt mit Dir anders sein kann, träume davon, dass, wenn Du das Beste gibst, helfen kannst, dass diese Welt eine andere wird.«
Andreas Knobloch
Neues Deutschland, 22.09.2015