»Wir wollen Kuba kein Modell aufzwingen«
EU-Vertreter im politischen Dialog mit Havanna / Führung begnadigt vor Papstbesuch über 3500 Häftlinge.
Vor dem Papstbesuchs begnadigt Kuba 3522 Häftlinge. »Anlässlich des Besuchs Seiner Heiligkeit Papst Franziskus hat der Staatsrat der Republik Kuba« dies beschlossen, berichtete die Zeitung »Granma«.
Eine Woche vor dem Papstbesuch läuft Kubas Diplomatie auf Hochtouren. Am Mittwoch und Donnerstag kamen Vertreter der EU und Kubas in Havanna zu Verhandlungen zusammen. Am Freitag tagte, ebenfalls in der kubanischen Hauptstadt, erstmals die bilaterale Kommission Kuba - USA, deren Einrichtung die Außenminister beider Länder, John Kerry und Bruno Rodríguez, vereinbart hatten. Nach den Treffen war jeweils viel von Fortschritten die Rede.
Seit April 2014 verhandeln die EU und Kuba über eine Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen. Das Treffen vor wenigen Tagen war bereits die fünfte Verhandlungsrunde auf dem Weg zu einem Kooperationsabkommen. In dem Kapitel »Handel« habe man praktisch in allen Punkten Einigung erzielt und stehe kurz vor einer Vereinbarung. Auch beim Abschnitt »Kooperation« sei man weitergekommen. »Uns fehlen nur noch Details«, sagte Kubas Verhandlungsführer, Vizeaußenminister Abelardo Moreno.
Schwieriger gestaltet sich das Kapitel »Politischer Dialog«. Es sei kein Geheimnis, dass die EU und Kuba abweichende Auffassungen hätten, etwa bei der Frage der Menschenrechte, sagte der schwedische EU-Chefunterhändler Christian Leffler. Man sei aber bei der Suche nach einer gemeinsamen Basis zur Zusammenarbeit vorangekommen. Die nächste Verhandlungsrunde soll in der zweiten Novemberhälfte in Brüssel stattfinden. Ziel der EU sei es nicht, Kuba ein Modell aufzuzwingen, so Leffler weiter, sondern einen Rahmen zu schaffen, der helfe, die bilateralen Beziehungen zu festigen. »Die Erfahrungen von EU-Staaten mit Transformationsprozessen oder der derzeitigen Finanzkrise können vielleicht auch für Kubas Versuch, seine Wirtschaft zu modernisieren, nützlich sein.«
Am Ende soll ein Rahmenabkommen stehen, dass die nächsten 20, 25 Jahre Bestand habe, sagte Leffler. Bis heute bestimmt die sogenannte »Gemeinsame Position« die Kuba-Politik der EU. Diese war 1996 auf Betreiben der spanischen Regierung unter José María Aznar verabschiedet worden. Sie macht eine Normalisierung der Beziehungen von Fortschritten Kubas bei Demokratie und Menschenrechten abhängig.
Während Leffler die »Gemeinsame Position« als Referenzpunkt bezeichnete, aber eingestand, dass sich die Beziehungen zwischen der EU und Kuba, aber auch zwischen Kuba und den USA verändert hätten, sagte Moreno gegenüber Pressevertretern: »Es ist weder eine Position, noch ist sie gemeinsam. Es ist ein Monster, das überwunden werden muss.«
Derweil einigten sich die neu geschaffene bilaterale Kommission aus kubanischen und US-amerikanischen Diplomaten erstmals auf eine »Road Map« für die anstehenden Verhandlungen über eine vollständige Normalisierung der Beziehungen beider Länder. »Wir haben uns eine objektive Agenda mit Themen gesetzt, an denen wir beide sofort arbeiten können, mit der Idee, Resultate vorzuzeigen und bestimmte Ziele zu erreichen«, sagte Kubas Verhandlungsführerin Josefina Vidal. Dies umfasse Themen »gemeinsamen Interesses« wie Katastrophenschutz, Gesundheit, zivile Luftfahrt, Drogenhandel sowie den Dialog über Angelegenheiten, in denen unterschiedliche Konzeptionen bestehen, etwa in Menschenrechtsfragen.
Man habe vereinbart, sich hier zunächst auf die Diskussion der Entschädigung für die durch die Blockadepolitik gegen Kuba verursachten Schäden sowie die US-Forderungen nach Rückgabe bzw. Entschädigung US-amerikanischen Besitzes, der nach dem Triumph der Revolution in Kuba verstaatlicht wurde, zu konzentrieren. Die Kommission werde laut Vidal jeweils einen Arbeitsplan für eine relativ kurze Zeitspanne von zehn bis 14 Monaten aufstellen; der Prozess einer vollständigen Normalisierung könne sich aber über Jahre hinziehen.
Punkte, die die kubanische Regierung wiederholt zur Voraussetzung für eine vollständige Normalisierung der Beziehungen gemacht hatte, wie die vollständige Aufhebung der US-Blockade, die Rückgabe der US-Militärbasis in Guantánamo oder die Abschaltung der »illegalen, subversiven« Radio- und TV-Programme, sind dagegen nicht Teil der Agenda, da es sich dabei um unilaterale Entscheidungen der USA handele, wie Vidal erklärte. Die »Roadmap« sei dennoch ein »gutes Resultat«. »Es ist das erste Mal, dass wir dies tun zwischen Kuba und den USA: uns selbst eine sehr ernste Agenda für Fortschritte in Richtung Normalisierung zu setzen.«
Am Freitag, also am selben Tag als die bilaterale Kommission in Havanna tagte, hat US-Präsident Barack Obama derweil ein Gesetz (Trading with the Enemy Act) aus dem Jahr 1917 um ein weiteres Jahr verlängert, auf dessen Basis die Wirtschaftsblockade gegen Kuba verhängt wurde. Darauf angesprochen, ob dies kein Widerspruch sei, sagte Vidal: »Auf den ersten Blick mag es als Widerspruch erscheinen (…), vor allem wenn man bedenkt, dass der Präsident selbst erklärt hat, dass die Blockade aufgehoben werden soll und er den Kongress gebeten hat, Schritte in diese Richtung zu unternehmen.« Andererseits erlaube aber dieses Gesetz Obama, weiter von seinen Vollmachten als Präsident Gebrauch zu machen, um einzelne Aspekte der Blockade abzuschwächen. Bisher hat er Beschränkungen im Bereich Telekommunikation und Reise gelockert.
Kubas Regierung wiederum hat über das Wochenende vor dem anstehenden Papstbesuch 3522 Gefängnishäftlinge begnadigt und freigelassen. Dabei handelt es sich vor allem um wegen leichterer Delikte verurteilte Straftäter im Rentenalter, Jugendliche unter 20 Jahren ohne Vorstrafen, chronisch Kranke und Frauen sowie Ausländer, wenn sich deren Herkunftsländer zur Rücknahme bereit erklären. Gewalt- und Sexualstraftäter und wegen Delikten gegen die Sicherheit des Staates Verurteilte fallen nicht unter die Amnestie.
Andreas Knobloch, Havanna
Neues Deutschland, 14.09.2015