Obamas Zuckerbrot fordert Havanna heraus
Iroel Sánchez über die Annäherung zwischen Kuba und den USA, Chancen sowie Gefahren für die Revolution.
Iroel Sánchez ist ein kubanischer Ingenieur und Journalist. Er war Präsident des Kubanischen Buchinstituts. Derzeit arbeitet er im Ministerium für Kommunikation in Havanna und betreibt den Internetblog »La pupila insomne«. |
Herr Sánchez, was erleben wir derzeit in den Beziehungen zwischen Kuba und den USA: eine Wiederaufnahme der Beziehungen, eine Annäherung oder gar eine Normalisierung?
Zunächst eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen. Vielleicht einen ersten Schritt in einem langen Prozess zur Normalisierung. Noch gibt es diese Normalisierung nicht, weil es keine normalen Beziehungen zwischen zwei Ländern geben kann, wenn ein Land eine Blockade gegen das andere aufrechterhält, wenn es einen Teil des fremden Territoriums besetzt hält … (Guantánamo, die Red.) Oder wenn es Bestimmungen erlassen hat, die den eigenen Bürgern Reisen in das andere Land verwehren. Solange also all das aufrechterhalten wird und solange von den USA Programme finanziert werden, die auf eine Veränderung der verfassungsmäßigen Ordnung in Kuba abzielen, ist es sehr schwer, von einer Normalisierung zu sprechen.
In einem Interview mit der US-Tageszeitung »The New York Times« Anfang April dieses Jahres hat der US-Präsident in Bezug auf die sogenannte Obama-Doktrin bekräftigt, dass seine Regierung neue Methoden anwenden will, um Kuba zu verändern, Methoden der »soft power«. Stellt diese »weiche Macht« keine Gefahr für Kuba dar?
Nun, es gab da einen Landsmann von Ihnen, Carl von Clausewitz, von dem der Satz stammt, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wir in Kuba stehen vor der Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Obama sagte am 19. Dezember vergangenen Jahres, zwei Tage nach der Bekanntgabe der bevorstehenden Wiederaufnahme der Beziehungen mit Kuba, dass er gegenüber Kuba eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche verfolgen wird. Ich denke, dass er in späteren Äußerungen intelligenter war, diplomatischer. Aber ich denke auch, dass er sich an diesem Tag sehr ehrlich geäußert hat. Natürlich versucht er, mit der Wiederaufnahme der Beziehungen Einfluss auf Kuba auszuüben, auf seine Institutionen und seine politische Führung.
Stellt das eine Gefahr für die kubanische Revolution dar?
Ich würde sagen, es ist eine Herausforderung. Aber natürlich müssen wir mit beiden Beinen auf der Erde stehen, uns muss klar sein, dass sie ihre Ziele haben und wir unsere. Dass wir jetzt auf dem Weg zu einer Beziehung ohne Blockade sind, das ist meiner Meinung nach eine große Chance für Kuba. Unser Land wird in einer besseren Position sein, um sein Projekt zu verteidigen, selbst angesichts der neuen Herausforderungen. Es kann ja nicht sein, dass wir, nachdem wir fünf Jahrzehnte lang gegen diese Blockade mit all ihren Einschränkungen, Zwängen und Schäden für das kubanische Volk gekämpft haben, diese jetzt entstandene realistische Chance auf ihre Abschaffung nicht als etwas Positives, wenn auch etwas uns Forderndes sehen. Außerdem glaube ich auch, dass diese Situation die US-Regierung vor Herausforderungen stellt, denn Kuba hat ja nun auch Möglichkeiten, in den USA und in den internationalen Beziehungen mehr Einfluss auszuüben. Wir stehen also vor einer sehr großen Herausforderung und wir müssen lernen, unsere Idee und unser Projekt unter neuen Rahmenbedingungen zu verteidigen.
Vor einigen Tagen hat die Odepa, die Panamerikanische Sportorganisation, ihr Solidarität mit Kuba erklärt, nachdem sich eine ganze Reihe Spitzensportler Ihres Landes während eines Aufenthaltes in Toronto, Kanada, abgesetzt haben. Zugleich erklärte die Odepa aber, die individuellen Entscheidungen der Sportler zu respektieren. Dabei haben diese Entscheidungen doch auch einiges mit der US-Politik zu tun, oder?
Sicher. Wenn die Politik der USA nicht darin bestehen würde, diejenigen, die das Land verlassen, zu Helden zu erklären und automatisch jeden Kubaner aufzunehmen, dann gäbe es für diese Leute keine Anreize für ihre Entscheidung. Außerdem ist das ein einzigartiges Vorgehen, das nur im Fall von Kuba so stattfindet. Im Fall von anderen Staaten mit sehr viel schwierigeren wirtschaftlichen und sozialen Situationen, aus denen sehr viel mehr Menschen auswandern - von Mexiko bis Haiti - heißt es nicht, dass diese Menschen fliehen. In unserem Fall heißt es, die Kubaner würden »vor dem Sozialismus fliehen«. Aber wovor fliehen dann die Mexikaner oder Haitianer, soweit ich weiß, gibt es dort keinen Sozialismus. Das sind alte Propagandainstrumente, die von den USA über all diese Jahre gegen Kuba verwendet worden sind …
… und die auch die Ärzte betreffen, die im Ausland arbeiten.
Es gibt ein weiteres Programm aus der Präsidentschaft von George W. Bush mit dem Titel »Cuban Medical Professional Parole Program«. Diese Initiative ist geradezu kriminell, weil sie darauf abzielt, Millionen bedürftige Menschen in der Welt die medizinische Versorgung zu entziehen. Denn wenn in vielen Regionen keine kubanischen Ärzte anwesend wären, würde es für die Menschen dort keine medizinische Versorgung geben. Und das ist eben ein Widerspruch im offiziellen Diskurs der USA: Auf der einen Seite sagen sie, sie wollen mit Kuba auf diesem Gebiet kooperieren, auf der anderen Seite versuchen sie, die kubanischen Aktivitäten zu sabotieren.
Harald Neuber
Neues Deutschland, 20.08.2015