Mit Fahrplan zum Endziel Normalisierung
Der kubanische und US-amerikanische Außenminister einigen sich bei allen Differenzen auf gemeinsamen Ansatz.
Nach der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen wollen die USA und Kuba die nötigen Schritte für eine weitere Annäherung beider Länder unternehmen. Eine Roadmap soll dabei helfen.
Sie waren sich nicht in allem einig: Kubas Außenminister Bruno Rodríguez und sein US-amerikanischer Konterpart John Kerry bei ihrem Treffen am Freitag in Havanna. Doch es gab durchaus Übereinstimmung darin, die Annäherung beider Länder im gegenseitigen Einvernehmen voranzutreiben. Man sei übereingekommen, eine bilaterale Kommission zu bilden, die zu verhandelnde Themenfelder auf dem Weg hin zu einer Normalisierung der Beziehungen benennen und regelmäßige Zusammenkünfte koordinieren soll. Dazu werde Anfang September eine US-Delegation nach Havanna reisen. Dies erklärten Rodríguez und Kerry auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in freundschaftlicher Atmosphäre im Anschluss an ihr Treffen in Havanna.
Seit US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro im vergangenen Dezember überraschend ein neues Kapitel in den Beziehungen beider Länder aufschlugen, hat es eine Reihe bilateraler Treffen gegeben, bei denen Themen von gemeinsamem Interesse behandelt wurden, wie Migration, die Ausweitung der Zusammenarbeit bei der Luftverkehrssicherheit, bei der Bekämpfung von Epidemien, im Kampf gegen Terrorismus und Drogenhandel, Umweltschutz und andere Fragen.
Eine Normalisierung der Beziehungen, das hat Havanna wiederholt klargemacht und wurde erneut von Rodríguez unterstrichen, könne es nur nach einer vollständigen Aufhebung der US-Blockade gegen Kuba, der Rückgabe der US-Militärbasis in Guantanamo, der Entschädigung für die durch die Blockadepolitik und Terrorakte gegen Kuba verursachten Schäden sowie bei Anerkennung der Souveränität Kubas geben. Von USA-Seite werden unter anderem Forderungen nach Rückgabe beziehungsweise Entschädigung US-amerikanischen Besitzes, der nach dem Triumph der Revolution verstaatlicht wurde, erhoben. Schon allein diese Aufzählung macht klar: Es wird ein schwieriger und zeitraubender Prozess. Beide Seiten räumten tiefe Differenzen bei vielen Themen ein, darunter bei den Menschenrechten.
Rodríguez hob hervor, dass Kuba »sehr stolz ist, auf seine Gewährleistung untrennbarer Menschenrechte, ziviler Rechte und Freiheiten und gleicher Bedingungen für alle Kubaner und Kubanerinnen«. Sein Land sei ebenso wegen der Menschenrechte in den USA besorgt, so der kubanische Außenminister. Nicht Kuba sei das Land mit Rassendiskriminierung und Polizeibrutalität, und - mit Blick auf Guantanamo - genauso wenig befinde sich unter kubanischer Rechtsprechung ein Gebiet, in dem gefoltert wird. »Wir sind bereit, jedes Thema zu diskutieren«, so Rodríguez weiter, »und akzeptieren, dass es bei einigen sehr schwierig werden wird, Einigung zu erzielen.« Der zu vereinbarende Fahrplan soll daher helfen, Fortschritte zunächst bei weniger kontroversen Themen zu erreichen, darin waren sich beide Politiker einig.
Kerry unterstrich den Willen seiner Regierung für einen Neuanfang in den Beziehungen zu Kuba. »Wenn du merkst, dass du dir selbst ein Grab schaufelst, solltest du als Erstes aufhören zu schaufeln«, sagte er in Anspielung auf das Scheitern der auf Konfrontation zielenden US-Kuba-Politik der Vergangenheit. Die Blockadepolitik habe nicht Kuba, sondern die USA selbst isoliert, so Kerry. Seine Regierung trete für eine Aufhebung der Blockade ein und habe entsprechende Schritte eingeleitet. Beobachter halten die dafür nötige Zustimmung des US-Kongresses - zumal im Wahljahr - allerdings für unwahrscheinlich.
Führende Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, die die Mehrheit im Kongress stellen, wie Marco Rubio oder Jeb Bush, haben sich gegen eine Aufhebung der Blockade ausgesprochen und angedroht, die Annäherung an Kuba nach einem Wahlsieg rückgängig zu machen. Darauf angesprochen sagte Kerry: »Ich kann mir keinen Präsidenten vorstellen, der das alles zum Fenster hinauswirft.« Angesichts des baldigen Endes von Obamas Präsidentschaft sowie dem für 2018 angekündigten Regierungsende von Präsident Raúl Castro in Kuba ist davon auszugehen, dass der Faktor Zeit noch eine wichtige Rolle bei der Annäherung spielen wird; Rückschläge nicht ausgeschlossen. Umso bedeutender wird es sein, in absehbarer Zeit substanzielle Fortschritte zu erzielen. Kerry zeigte sich überzeugt, dass dies möglich sei.
Die Rückgabe Guantanamos »ist derzeit nicht auf dem Tisch«, so Kerry auf eine entsprechende Frage. Ebenso wenig sei derzeit eine Änderung der US-Migrationspolitik gegenüber Kuba geplant. Diese umfasst im Wesentlichen den seit 1966 geltende Cuban Adjustment Act, der kubanischen Flüchtlingen eine automatische Aufenthaltsgenehmigung gewährt, und die später hinzugefügte, sogenannte wet-foot-dry-foot-policy, nach der Kubaner dafür »trockenen Fußes« die USA erreichen müssen und nicht über das Meer.
Vor seinem Treffen mit Rodríguez war der US-Außenminister kurz mit Kardinal Jaime Ortega zusammengekommen. Die katholische Kirche hatte eine wichtige Rolle bei der Annäherung zwischen den USA und Kuba gespielt. Papst Franziskus wird Ende September beide Länder besuchen. Zudem traf Kerry während seiner Visite mit kubanischen Systemoppositionellen zusammen. Diese waren allerdings zur Flaggenzeremonie in der US-Botschaft nicht eingeladen worden, weshalb einige das Treffen mit Kerry boykottierten.
Andreas Knobloch, Havanna
Neues Deutschland, 17.08.2015