Kerry kommt zum Fahnenappell
Die Wiedereröffnung der US-Botschaft in Kuba ist der bisherige Höhepunkt der Tauperiode.
USA-Außenminister John Kerry will die US-Botschaft in Havanna an diesem Freitag offiziell wiedereröffnen. Es ist der erste Kuba-Besuch eines US-Außenministers seit 1945.
Acht Monate nach der von Präsident Barack Obama verkündeten Neuausrichtung der US-amerikanischen Kuba-Politik strömen Reisende, Politiker und Unternehmer aus den Vereinigten Staaten auf die lange Zeit »verbotene« Insel. An diesem Freitag nun kommt John Kerry als erster US-Außenminister seit 70 Jahren nach Kuba, um die Botschaft seines Staates in Havanna feierlich wiederzueröffnen. Nach mehr als 50 Jahren wird dann die US-Flagge als sichtbares Zeichen der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen beider Staaten wieder in der kubanischen Hauptstadt wehen.
Vor allem Kubas Wirtschaft profitiert von der Annäherung; insbesondere der Tourismus hat spektakulär zugelegt. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres gingen die Besucherzahlen um 15 Prozent nach oben; US-Amerikaner kamen sogar ein Drittel mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Insgesamt wuchs Kubas Volkswirtschaft im ersten Halbjahr 2015 um 4,7 Prozent, nach bescheidenen 1,3 Prozent im vergangenen Jahr. Ein neues »Singapur der Karibik« ist Kuba aber noch nicht. Probleme bereitet weiterhin die Landwirtschaft. Daran hat auch die Zulassung unabhängiger Kleinbauern und Kooperativen wenig geändert. Ein Großteil der Lebensmittel muss immer noch importiert werden.
Auch benötigt Kubas Wirtschaft dringend ausländisches Kapital. In der Sonderwirtschaftszone Mariel, östlich von Havanna, werden gerade die ersten Unternehmen angesiedelt. Das vor einem Jahr in Kraft getretene Gesetz zu Auslandsinvestitionen und der 8,7 Milliarden US-Dollar schwere Investitionskatalog bilden den Rahmen.
Im Moment profitieren vor allem Europäer und Chinesen von der Annäherung zwischen USA und Kuba. Bestehende Verbindungen werden gestärkt und neue Projekte angestoßen. Spanische Touristikkonzerne wie Melía Globalia, Barceló und Iberostar - ohnehin stark in Kuba engagiert - haben angekündigt, ihr Kuba-Geschäft auszubauen; chinesische und britische Unternehmen erhielten den Zuschlag für den Bau von Golfanlagen; und als Frankreichs Präsident François Hollande im Mai Kuba besuchte, wurde er von einer starken Wirtschaftsdelegation begleitet. Deutschland hinkt eher hinterher - trotz der Visite von Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Juli.
In der US-Wirtschaft dagegen wächst die Unruhe. Ausländische Firmen drängten auf den kubanischen Markt und »lassen US-amerikanischen Unternehmen so wenig wie möglich übrig, wenn die Beschränkungen gänzlich aufgehoben werden«, so der Chef der Hotelkette Marriott, Arne Sorensen, der kürzlich erstmals Kuba besuchte. Doch die Stimmen für eine Aufhebung der Sanktionen werden auch in den USA lauter. Zuletzt hatten »New York Times« und »Boston Globe« in Leitartikeln die Aufhebung der seit 1962 geltenden US-Blockade gefordert. Auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton sprach sich für die Aufhebung aus. Beobachter gehen allerdings davon aus, dass eine Aufhebung durch den Kongress in absehbarer Zeit eher unwahrscheinlich ist, zumal der Wahlkampf begonnen hat.
Präsident Obama wird wohl weiter mit Exekutivvollmachen bestehende Handels- und Reiserestriktionen lockern. Seit einigen Monaten können US-Reisende über das Onlineportal Airbnb Privatunterkünfte auf Kuba mieten. Das Unternehmen aus San Francisco kapitalisiert erfolgreich die seit Längerem bestehende Tradition in Kuba, Privatunterkünfte an Touristen zu vermieten. »Ich glaube nicht, dass wir jemals einen Markt hatten, der so schnell wächst wie Kuba«, so Airbnb-Chef Brian Chesky.
In anderen Bereichen läuft es weniger reibungslos. So hat Washington zwar US-Fährunternehmen Lizenzen für Verbindungen nach Kuba erteilt; die Genehmigungen von kubanischer Seite stehen allerdings noch aus. US-Banken dürfen künftig Konten in Kuba eröffnen, aber die kubanische Regierung hat dies noch nicht konkretisiert. Kreditkarten aus den USA sind erlaubt, aber niemand kann sie benutzen, da Kuba diese bisher noch nicht autorisiert hat. Gleichzeitig darf Kuba wegen der US-Blockade keine Transaktionen in Dollar tätigen. Das Streamingportal Netflix ist seit Kurzem auf Kuba, aber der Internetzugang ist teuer, langsam und die meisten Privathaushalte sind davon ausgeschlossen.
Es gibt also noch zahlreiche Hindernisse aus dem Weg zu räumen, bevor US-Unternehmen in Kuba ihren Geschäfte nachgehen können. Erst im Juni riet ein Bericht des Investmentunternehmens JLL (Jones Lang LaSalle) US-Investoren zur Vorsicht, sich ohne Weiteres in Kuba zu engagieren. »Was wir festgestellt haben, ist, dass noch viel Risiko im Spiel ist. Es gibt kein solides Bankensystem, die physische Infrastruktur des Landes ist eine Herausforderung, und mit dem aktuellen Embargo ist es US-Unternehmen nicht gestattet, einen Vertrag mit der (kubanischen) Regierung einzugehen«, so Steve Medwin von JLL. Die kubanische Regierung dagegen hat kein Interesse an einer »Schocktherapie« und ist darauf bedacht, die wirtschaftliche Öffnung sozial abzufedern.
Zwar weht künftig wieder die US-Flagge über der US-Botschaft in Havanna - bis zu einer Normalisierung der Beziehungen beider Länder ist es aber weiter ein langer Weg. Ohne Aufhebung der Blockade und Rückgabe der US-Militärbasis in Guantanamo wird es ohnehin keine vollständige Normalisierung geben, das hat die kubanische Regierung wiederholt klargemacht.
Andreas Knobloch, Havanna
Neues Deutschland, 14.08.2015