Deutsch-kubanische Beziehungen: Chance auf Neubeginn
BRD-Außenminister Frank-Walter Steinmeiers Besuch in Havanna kommt spät und ist vor allem auf den Druck deutscher Wirtschaftsvertreter zurückzuführen.
Im April stellte die dem Bundeswirtschaftsministerium untergeordnete Gesellschaft für Außenwirtschaft fest, dass die aktuelle Projektliste der kubanischen Regierung 246 Investitionsvorhaben im Wert von 8,7 Milliarden US-Dollar umfasst. Die Modernisierung bedeutender Schlüsselbereiche wie der Energiegewinnung, der Wasser- und Abfalltechnologie, des Transportwesens und der Telekommunikation bedürfe »hochentwickelter Technologien, die Deutschland auf den erwähnten Feldern stellt«, hieß es. Hiesige Unternehmen fürchten, im Kuba-Geschäft abgehängt zu werden.
Denn während sich europäische Außenminister selbst stockkonservativer Regierungen in Havanna die Klinke in die Hand gaben, kam die Außenpolitik Berlins nicht aus der selbstgestellten Falle heraus. Dabei ist die Bundesrepublik – neben Spanien – das Land in der EU, das am deutlichsten an historisch gewachsene Beziehungen zu Kuba hätte anknüpfen können. Doch die einst guten Kontakte der DDR wurden ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass über 40.000 Kubaner, die dort studiert haben oder ausgebildet wurden, deutsch sprechen.
Statt dessen wurde die Bundesrepublik – gemeinsam mit Polen und Tschechien – zur Speerspitze des ideologischen Kampfes gegen die Normalisierung der Beziehungen zwischen der EU und Kuba. Berlin machte noch in Antikommunismus, als andere – einschließlich der USA – sich längst ihren Geschäften zuwandten. Vermutlich ist es zuviel verlangt, von Steinmeier und Merkel zu erwarten, dass sie wie Barack Obama das Scheitern ihrer bisherigen Kuba-Politik öffentlich eingestehen. Faktisch haben sie es längst getan. Der auch von Berlin offiziell noch vertretene »gemeinsame Standpunkt der EU«, der den Systemwechsel auf Kuba zur Voraussetzung einer Normalisierung der Beziehungen macht, ist seit Donnerstag endgültig, wo er hingehört: auf dem Müllhaufen der Geschichte.
Steinmeiers späte Reise eröffnet die Chance für einen Neubeginn der Beziehungen. Sie ist ein erster Schritt zur Normalisierung, für die allerdings – wie im Verhältnis zwischen Havanna und Washington – weitere Hürden ausgeräumt werden müssen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Verhandlungen auf der Basis des gegenseitigen Respekts, der Souveränität und der Unabhängigkeit beider Staaten stattfinden.
Wer über Menschenrechte in Kuba reden will, darf den Dialog über Menschenrechtsverletzungen in Deutschland nicht verweigern. Zudem muss sich Berlin jetzt – im eigenen Interesse – deutlicher als bisher gegen die noch immer bestehende völkerrechtswidrige Wirtschaftsblockade der USA gegen Kuba positionieren. Entsprechende gemeinsame Interventionen mit anderen europäischen Regierungen beim US-Kongress würden nicht nur Obama den Rücken stärken, sondern auch beweisen, dass Steinmeiers wohlklingenden Worten in Havanna tatsächlich eine neue Berliner Kuba-Politik folgen soll.
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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 18.07.2015