»Annäherung heißt nicht Anschluss«
Sozialistische Prinzipien und Souveränität aufrechterhalten: Kubas Bevölkerung freut sich über die Normalisierung der Beziehungen zu den USA und zur EU. Ein Gespräch mit Jesús Irsula.
Kuba und die USA eröffnen in der kommenden Woche nach mehr als 50 Jahren wieder ihre jeweiligen Botschaften. Wie beurteilen sie die gegenwärtige Situation zwischen den beiden Ländern?
Die kubanische Revolution und das kubanische Volk haben nie das Volk der USA als Feind betrachtet. Am 20. Juli werden die diplomatischen Beziehungen mit der Eröffnung der jeweiligen Botschaften nach 55 Jahren wiederaufgenommen. Das ist zweifelsohne ein historisches Ereignis, denn damit könnte der Jahrzehnte andauernde kalte Krieg zu ende gehen.
Das ist aber nur der erste Schritt. Die kubanische Regierung unterscheidet daher zwischen diplomatischen Beziehungen und der Normalisierung der Beziehungen. Letztere ist ein längerer Prozess, bei dem das Ende der Blockade und die Zurückgabe von Guantánamo unentbehrliche Komponenten sind.
In den USA gibt es viele Menschen die den Prozess der Normalisierung der Beziehungen unterstützen. Dazu gehören Politiker, Unternehmer, die Mehrheit des einfachen Volkes der USA und die Mehrheit der in den USA lebenden Kubaner. Es gibt aber auch sehr mächtige Kräfte, die alles tun werden, um die laufenden Bemühungen in Richtung Normalisierung zu unterbinden. Ich denke zwar, dass der eingeschlagene Kurs und dessen Ausrichtung unumkehrbar sind. Aber es handelt sich, wie gesagt um einen langen Prozess, dessen Tempo einerseits vom Tauziehen zwischen den politischen Kräften in den USA und auf der anderen Seite davon abhängen wird, dass die kubanische Regierung gegenüber unserem Volk geschichtlich verpflichtet ist, im Rahmen der Einhaltung der Souveränität zu handeln und zu verhandeln.
Und wie bewertet die kubanische Bevölkerung selbst die aktuelle Entspannungspolitik?
Die kubanische Bevölkerung hat den Prozess mit Freude aufgenommen. Fast sechs Jahrzehnte in quasi einem Kriegszustand mit so einem mächtigen Nachbarn zu leben, war für das kubanische Volk nicht einfach. Es hat viele Menschenleben gekostet, viele Leiden verursacht und zu Engpässen im täglichen Leben geführt. Dieser Kriegszustand äußert sich weiterhin in der Blockade, der Kuba ausgesetzt ist, und hat intern die Organisation des Staates und der Gesellschaft bestimmt. Die Auswirkungen der Blockade spüren wir tagtäglich, vom Mangel eines benötigten Produktes bis hin zu dem blockierenden Zugang zu einer Internetseite.
Andererseits darf man nicht vergessen, dass in den USA über eine Million Kubaner leben. Fast jede kubanische Familie hat Familienangehörige dort und freut sich, sollte die Kommunikation in beide Richtungen einmal reibungslos verlaufen. Obwohl dieser Prozess der Normalisierung der Beziehungen am Anfang steht, wird jeder neue Schritt von der Mehrheit der Bevölkerung also mit Befriedigung aufgenommen.
Aber birgt derlei Annäherung an die USA nicht auch Gefahren für das sozialistische Kuba?
Selbstverständlich birgt die Annäherung auch nicht wenige Gefahren. Aber Annäherung heißt nicht Anschluss. Kuba ist und bleibt sozialistisch. Und wichtiger als die Bezeichnung sozialistisch, auf die wir auf keinen Fall verzichten wollen, ist die Aufrechterhaltung der Souveränität und der kulturellen Identität. Im Laufe der kubanischen Geschichte hat sich ein Vaterlandsgefühl entwickelt, was die Besucher unserer Insel nationalen Stolz nennen. Die starke kulturelle Komponente und das Unabhängigkeitsgefühl rüsten uns, um die von vielen als »Umarmung des Todes« bezeichnete Annäherung zu überleben.
Da es sich bei der Annäherung um einen langen Prozess handelt, haben wir auch Zeit, uns darauf vorzubereiten. In dieser Hinsicht helfen uns die Bremser des Annäherungsprozesses indirekt. Durch die Maßnahmen von Obama sieht man schon mehr Amerikaner, aber solange die Blockade anhält, wird kein Touristensturm zu spüren sein. Man könnte dann meinen, die Blockade sollte weiterbestehen, aber ihre Auswirkungen sind schlimmer. Das wissen wir wohl. Daher plädieren die Rechten und die Feinde der Normalisierung für ihre Aufrechterhaltung. Mit anderen Worten, die Annäherung oder Normalisierung soll kommen, und mit ihr rückt die von fidel Castro ausgerufene »Batalla de ideas«, die »Schlacht der Ideen«, in den Vordergrund. Die größte Herausforderung der kubanischen Revolution und zugleich auch entscheidend für ihre Zukunft wird die aktive Beteiligung der Jugend Kubas bei dieser Schlacht sein. Die Geschichte wird dann zeigen, ob sie sich für den Wettstreit um mehr Konsum, Geld und Karriere entscheidet, mit dem Ergebnis, dass zu viele auf der Strecke bleiben. Oder ob es uns gelingt, dass sie die Fahrt in eine neue Welt mit individueller und gesellschaftlicher Entfaltung, Solidarität und Internationalismus fortsetzen.
Und wie bewerten Sie die Politik der Bundesregierung gegenüber Kuba und anderen linken Regierung in Lateinamerika?
Die deutsche Regierung stand bis heute, was die Beziehungen zu Kuba und Lateinamerika anbelangt, im Schatten der US-Politik. Aus »Respekt« vor ihrem mächtigen Verbündeten, denn Lateinamerika war einst Hoheitsgebiet der Politik der USA. Heute ist aber der Einfluss der USA auf Lateinamerika nicht der wie damals im 20. Jahrhundert. Die Organisation Amerikanischer Staaten (PAS) hat an Bedeutung verloren, und es sind politische und ökonomische Bündnisse entstanden wie Mercosur, die Gemeinschaft der lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC), oder ALBA. Ganz ohne die Präsenz der USA.
Ihre Frage ist natürlich vor dem Hintergrund der anstehenden Wendezeit der Beziehungen zu sehen. So steht einer Annäherung Deutschlands an Kuba nichts mehr im Wege. Zumal die Verhandlungen zwischen Kuba und der EU kurz vor einem Happy-End stehen. Der vom damaligen spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar 1996 angeregte »Gemeinsame Standpunkt«, der eine gewisse Eiszeit in den Beziehungen zwischen der EU und Kuba einleitete, wird hoffentlich bald ad acta gelegt werden. Der französische Präsident Francois Hollande hat als erster das Eis gebrochen und nun kommt Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu einem vom Spiegel »historisch« getauften Besuch nach Havanna.
Kein europäisches Land, außer der Exmetropole der karibischen Kolonie, Spanien, hat so eine starke Tradition geerbt, wie sie 40 Jahre Beziehungen zwischen der DDR und Kuba darstellen. Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit leben heute noch in verschiedenen Bereichen der kubanischen Wirtschaft und Kultur weiter. 40.000 Kubaner sprechen Deutsch. Tausende von ihnen haben in Ostdeutschland studiert oder erlangten dort eine Qualifikation. Dazu kommt noch, dass viele deutsche Touristen – an zweiter Stelle nach Kanada – unsere Insel besuchen.
Auch die wichtigsten deutschen Konzerne sind schon in Kuba, und Hunderte mittelständige Unternehmen würden sofort geschäftlich aktiv werden. Es gibt kaum einen Bereich, in dem es nicht eine respektvolle und für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit zwischen Kuba und Deutschland geben könnte. Unabhängig vom »Gemeinsamen Standpunkt« der EU ist bereits vieles auf Institutions- und Kommunalebene wirtschaftlich und kulturell gelaufen. Nun könnte man mit dem Segen des Bundes alle Aktivitäten zwischen unseren Ländern vielfach multiplizieren. Damit der Besuch von Steinmeier der Bezeichnung »historisch« gerecht wird, müssten die Ergebnisse der Reise tatsächlich in diese Richtung weisen.
Sie haben in der DDR studiert und waren kürzlich auf Einladung der Leipziger Linkspartei zu Gast beim kubanischen Festival »La Mariposa«. Dort haben sie mit Heinz Langer, dem letzten Botschafter der DDR in Kuba, diskutiert. Waren sie gern wieder in Ihrer alten Wahlheimat?
Ich habe von 1975 bis 1979 Germanistik studiert und von 1988 bis 1992 in Linguistik promoviert. Ich bin immer wieder gerne in Leipzig. Die Stadt ist meine zweite Heimat, wo ich wunderschöne und prägende Jahre erlebt habe. Ich habe mich gefreut, viele Freunde und Studienkollegen, auch meinen Doktorvater Professor Wotjak, zu treffen. Ich würde gerne die Beziehungen zwischen Leipzig und Kuba über meinen Freundeskreis hinaus erweitern, vielleicht in einer Art Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Havanna.
Dr. Jesús Irsula lebt in Havanna und ist Mitglied des Künstler- und Schriftstellerverbandes Kubas. Er hat in Leipzig promoviert und war als Übersetzer unter anderem auch für Fidel Castro tätig.
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Interview: Markus Bernhardt
Junge Welt, 16.07.2015