Zwischen
Leben und Tod
Der 38jährige Arzt Jorge Luis Quinones Aguilar ist einer der 165 Kubaner, die Ebola in Sierra Leone bekämpfen |
"Du, ich bin in der ersten Gruppe, die nach Sierra Leone fliegt. Ein bisschen nervös. Aber gut. Wir werden in Kontakt bleiben, auch wenn ich weit weg bin." Am anderen Ende der Leitung stand Quiñones wahrscheinlich in einer Reihe von Ärzten, die ihre Familienangehörigen und Freunde anriefen, um ihnen diese Nachricht zu übermitteln. Sich zu verabschieden.
"Pass gut auf dich auf, das ist das Wichtigste. Und schreib immer." Ich versuchte fröhlich zu klingen, zuversichtlich. Als ich auflegte, stellte ich mir vor, geschützt durch einen weißen "Raumfahreranzug", in einem fremden Land und von Tod umgeben. Dieses Bild begleitete mich während der letzten Wochen, bis ich Post von ihm erhielt, in der er mir versicherte, dass es ihm gut gehe und mir in kleinen Botschaften seine Erlebnisse erzählte. Ich bat ihn darum, diese mit anderen teilen zu dürfen.
Wie war die Reise?
Wir flogen in einer IL-96 der Cubana de Aviación. Der Flug dauerte fast neuen Stunden, ohne Zwischenlandung. Wir hatten das ganze Gepäck in der Kabine gelagert, weil man uns bei der Ankunft, um nicht das Risiko einer Kontaminierung des Flugzeugs einzugehen, nicht erlauben würden, den Frachtraum zu öffnen. Während des Flugs schliefen einige, andere unterhielten sich mit Kollegen oder lasen die Dokumente, die uns in Havanna ausgehändigt worden waren. Aber jetzt waren wir nicht mehr in einem Konferenzsaal. Von diesem Augenblick an würde alles wirklich sein, ohne Lehrer und ohne Versuchsmodelle.
Hattest du Angst bei der Ankunft?
Angst … Ich weiß nicht. Ich glaube eine Mischung aus Freude und Trauer, weil ich vieles in Kuba verlassen hatte, das mir viel bedeutet. Aber ich fühlte mich bereit, diese Aufgabe anzugehen. Angehörige des örtlichen Gesundheitsministeriums, der kubanischen Medizinbrigade und der kubanische Botschafter in Ghana, der für Sierra Leone mit zuständig ist, empfingen uns in der Flughafenhalle. Dann brachten sie uns in vier Hotels unter. Ich kam, zusammen mit anderen 79 Kollegen im Mariam unter, das in Freetown, der Hauptstadt, liegt. Mir fiel die Vegetation hier auf, die der in Kuba sehr ähnelt und die Freude, mit der uns die Bewohner jeder Siedlung, an der wir vorbeifuhren, begrüßten, so als ob jemand Wichtiges gekommen wäre.
Wie war der Kontakt mit den infizierten Patienten?
Sehr schlimm. Das erste Hospital, das von der WHO für unsere Arbeit genehmigt wurde, war das Kerry Town, das mit Unterstützung der britischen Regierung und der NGO Save the Children gebaut wurde, wo mehr als 70 Kubaner arbeiten. Ich werde im Hastings 2 arbeiten, dessen Gebäude jetzt eingeweiht wurde, aber bis es soweit war, mussten wir in Krankenhäusern wie Hastings 1 arbeiten, das von Personal aus Sierra Leone versorgt wird. Dort hatte ich den ersten Kontakt mit den Kranken, eine schockierende Erfahrung, denn es war so, als ob man dem Tod in die Augen blickte. Ein Glas mit Rehydratationssalzen ausgeben, das entsprechende Medikament verabreichen oder einfach nur ein Wort der Unterstützung aussprechen, das war ermutigend für jene Menschen, von denen man wusste, dass sie in wenigen Stunden oder Tagen sterben würden.
Dort lernte ich auch Caldier kennen, ein dreijähriges Mädchen, das ich bei einer Visite allein in seinem Bett vorfand. Ihre ganze Familie war gestorben, trotzdem, so schien es, würde die Kleine überlebenl. Ich dachte nur an ihre Zukunft, denn niemand würde sie abholen, wenn sie entlassen würde. Ein anderer, der mich beeindruckte, war Jusef, ein 23jähriger Straßenhändler. Nach 21 Tagen in Hastings 1 fühlte er sich bereits genesen. Als wir ihm sagten, die Ergebnisse der letzten Laboruntersuchung seien negativ gewesen, machte er einen Luftsprung. Danach fragte er, wie er helfen könnte und gliederte sich in die Gruppe der Überlebenden ein, die in den Gemeinden aufklärerisch wirken oder in den Isolationszentren als Dienstleistungspersonal arbeiten.
Ist die volkstümliche Kultur ein Hindernis beim Kampf gegen Ebola?
Ha, denn es gibt Leute, die die Krankheit als etwas Vorübergehendes ansehen, das nicht tödlich ist. Trotzdem haben die Beerdigungsrituale nachgelassen, bei denen der Leichnam des Verstorbenen gewaschen und sein Schweiß aufgenommen wird, um sich so nach der Auffassung der Leute, die Ideen und das Wissen des Verstorbenen anzueignen. Die Strände sind geschlossen worden, um Ansammlungen von Menschen zu verhindern. Es gibt eine große Gesundheitskampagne mit Fernsehkanälen, die über Ebola informieren und es sind Plakatwände an Wegen und Straßen aufgestellt worden, auf denen zu lesen ist, wie man die Ansteckung verhindern kann.
Wie sieht ein ganz normaler Tag für euch aus?
Wenn wir nicht arbeiten, bleiben wir im Hotel und lernen, aber wenn wir arbeiten müssen, stehen wir sehr früh auf: Morgentoilette, Frühstück um 6:30 Uhr und dann der Omnibus zum Krankenhaus. Wir teilen uns in drei Gruppen auf (normalerweise ein oder zwei Ärzte und drei Krankenpfleger in jeder von ihnen). Wir bleiben eine Stunde bei den Patienten und dann ruhen wir uns zwei Stunden aus. Der Arbeitsstress zusätzlich zu dem Schutzanzug und der persönlichen Schutzausrüstung (PPE) führt schnell zur Erschöpfung. Diese Rotation wiederholt sich zweimal pro Gruppe. Nach der Rückkehr ins Hotel entledigen wir uns der Kleidung, die wir auf dem Weg getragen haben, waschen uns, machen Leibesübungen, um unsere Widerstandskraft zu stärken und treten mit unserer Familie über E-mail oder Facebook in Verbindung.
Ist der Schutzanzug leicht zu handhaben?
Um ihn anzulegen, benötigt man die Hilfe eines anderen Kollegen, der den Namen des Trägers auf den Rücken und die Brust schreibt, damit wir identifiziert werden können. Was am meisten stört, ist der Schweiß, den der Schutzanzug hervorruft, bis der Körper sich daran gewöhnt und das Unwohlsein nachlässt. Er besteht aus mehreren Elementen: ein undurchlässiger Overall mit Kapuze, Stiefel, zwei oder drei Paar Handschuhe (je nach Modell), Schutzbrillen oder -schirme, spezielle Atemmasken, die Mund und Nase bedecken und eine Schürze. Jedes Mal, wenn du etwas von diesem Zubehör ablegst, bist du verpflichtet, die die Hände zu waschen. Es gibt einen Bewegungsablauf, den wir "Tanz des Lebens" genannt haben, mit dem wir den Overall von den Schultern streifen, ohne ihn zu berühren. Jeder Schritt ist genau festgelegt. Das Wichtigste dabei ist, keinen Millimeter des Körpers ungeschützt zu lassen, um jeglichen Kontakt mit dem Virus zu vermeiden. Als letztes duschen wir uns mit heißem Wasser und ziehen Schlafanzüge an, um auf den nächsten Arbeitszyklus zu warten.
Was halten die anderen Mitarbeiter im Gesundheitsbereich, die dort arbeiten, von den Kubanern?
Die Arbeitsteams verschiedener Länder haben die Eingliederung von kubanischem Fachpersonal erbeten und wenn man fragt, warum, wiederholt sich die Antwort: wegen ihres hohen wissenschaftlichen Niveaus, ihrer Kraft und ihrer Überzeugung. Sie sprechen von uns grundsätzlich in Begriffen wie Mut, Solidarität, Uneigennützigkeit und Altruismus. Das erfüllt uns mit Stolz.
Eine schwierige Mission …
Es ist eine nie dagewesene medizinische Mission. Ich war in Pakistan, Haiti und Venezuela, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen. Viele Menschen verlassen sich auf uns und es besteht ein hohes Risiko. Es werden sechs harte Monate werden, aber sie werden zu bewältigen sein. Wir müssen uns schützen und den Kollegen, der einen Kranken behandelt. Die Angst ist unser Verbündeter, weil sie uns immer begleitet. Wenn wir aufhören, Angst zu fühlen, tritt das Vertrauen an ihre Stelle und damit erhöht sich das Ansteckungsrisiko. Also ist es besser, viel Angst zu verspüren und unsere Aufgabe lebendig abzuschließen.
Granma Internacional, 15.01.2015