Die Kraft der Schwachen
Der deutsche Filmemacher Tobias Kriele stellt seinen neuen Film in Havanna vor.
Am Anfang des Films sieht man Babyfotos. Besonders beeindrucken die schwarzweißen. Sie fokussieren den Blick rascher auf das Wesentliche: eine unnatürliche Körperhaltung, ein verdrehtes Auge. Eine Nahaufnahme verursacht beim Betrachter Gänsehaut. Was mag sie damals bei den Eltern ausgelöst haben? Die Diagnose "Beidseitige spastische Lähmung" wird nicht bei der Geburt gestellt. Der Säugling wird, scheinbar gesund, mitsamt der Mutter nach Hause entlassen. Es vergehen Wochen, bis in den Eltern der schlimme Verdacht reift: Irgend etwas stimmt nicht mit dem Jungen.
Jorgito und Fernando |
Jorgito, eigentlich Jorge Enrique Jerez Belisario, wird vor 20 Jahren – mitten in der Sonderperiode – in Camagüey geboren. Er sperrt sich zunächst rigoros gegen jede Form von Therapie. Die durchgeführten Behandlungen (Physiotherapie, Sprachtherapie u. a.) finden in Havanna statt. Ein Umzug von Mutter und Sohn dorthin wird notwendig. Der Vater kommt jedes Wochenende mit dem Auto aus Camagüey – 550 km hin und 550 km zurück. Nach einer zermürbenden Zeit lernt Jorgito laufen und sich zu artikulieren.
Ein erster Höhepunkt seines jungen Lebens ist eine Rede auf dem Kongress der Pioniere, als er – vierzehnjährig – zunächst stockend und dann immer fl¨ssiger eine Danksagung an Kuba hält für alles, was er trotz schwierigster Voraussetzungen durch die Fürsorge des Landes erreicht hat. Am Ende ist der halbe Kongress in Tränen aufgelöst und Präsident Raúl Castro spendet stehend Applaus.
Jorgito stellt sich selbst immer neue Herausforderungen. Wenn er sie gemeistert hat, sucht er sich weitere.
Schon seit seinem achten Lebensjahr widmet er sich mit Leib und Seele dem Kampf für die Befreiung der Fünf.
Einem Film über sich stimmt er auch nur unter der Bedingung zu, dass die Hälfte des Films die Fünf zum Thema hat. Dass am Ende nicht 50 % der Doku, sondern, wie Tobias Kriele ausgerechnet hat, nur 37 % von den Cuban Five handeln, kann er schließlich akzeptieren, weil der Film zu 100 % sein Kuba und das der Fünf zeigt.
Tobias stellt seinen Film vor |
Dem Filmemacher gelingt es mit seiner Dokumentation, die Magie dieses Jungen einzufangen, der unter großen Anstrengungen seine Träume verwirklichen kann und der stolz auf das ist, was er erreicht hat. Er zeigt einen Jungen, der, geborgen in seiner Familie und seiner Stadt, zu einem jungen Mann heranwächst in einem Land, das ihm alle Hilfe gibt, die er braucht – und er brauchte davon eine ganze Menge.
Tobias Kriele stellte seinen Film "Die Kraft der Schwachen" am Mittwoch im Kubanischen Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) in Havanna vor. In seinen einleitenden Worten sagte er, dass er bei der Uraufführung in Camagüey überrascht gewesen sei, wie das kubanische Publikum den Film aufgenommen habe. Er sei nämlich nicht für Kuba konzipiert, sondern für den Einsatz außerhalb Kubas, besonders in den Vereinigten Staaten. Dort soll er den Fall der Fünf in Kreise hineintragen, die bisher noch nicht davon gehört haben. Deswegen werden in der Werbung für den Film die Fünf auch gar nicht vorkommen, vielmehr wird er als Dokufilm über einen behinderten Jungen in Kuba vorgestellt werden. Zunächst aber wird er in neun deutschen Kinos gezeigt werden. Neben Tobias Kriele wird auch Jorgito den Film vorstellen.
An der gestrigen Veranstaltung nahmen außer Tobias Kriele, Jorgito und seiner Familie auch der 1. Vizepräsident des ICAP Elio Gámez, der Vizepräsident Fernando González (einer der Fünf), die Direktorin für Europa Gladys Ayón und Angehörige der Fünf teil.
Granma Internacional, 16.10.2014