Erfahrungen des Berliner Arztes Dr. Dimitrios Sporidis auf Kuba.
Die kubanische Medizinschule ist stark beeinflusst von der Medizin aus den USA und der Sowjetunion, von vielen Leitgedanken Salvador Allendes und von den hervorragenden nationalen Erfahrungen. Mein Medizinstudium (1997-2003), welches ich in Havanna absolvierte, war sehr didaktisch und pädagogisch aufgebaut. Es gab praktisch kein Semester, in welchem Hunderte Studenten in einem Vorlesungsraum saßen. Immer waren es einzelne Gruppen von 7 bis 10 Studenten, und für diese war ein Dozent je nach Fachgebiet zuständig. Wenn z.B. im Grundstudium ein Organ oder Organsystem dran war, wurde so geplant, dass in allen Fächern zeitsimultan das gleiche Thema behandelt wurde.
In den klinischen Fächern (Innere Medizin, Chirurgie, HNO, Geburtshilfe etc.) fand die Ausbildung rotierend statt, z.B. ein halber Tag Stationsarbeit oder Ambulanzaufenthalt und am Nachmittag meistens Vorlesungen und Testate. Testate wurden im Grundstudium täglich geschrieben und im Hauptstudium mehrmals wöchentlich, so dass man wenige Tage vor der Hauptprüfung im jeweiligen Fach ausreichend vorbereitet war. Durch die permanente Symbiose zwischen Praxis und Theorie wurde so das tägliche Lernen zur Normalität.
Während der klinischen Visiten beispielsweise fand am Krankenbett regelrecht Unterricht statt. Man wurde vom Professor ausgefragt, so dass zwei Stunden für eine Visite an 10 Patienten nicht ungewöhnlich waren.
Praktische Fähigkeiten – vom Blutabnehmen bis zu einer Geburt – waren im Studium die Voraussetzungen, um eine Prüfung antreten zu dürfen. Natürlich waren immer Dozenten bei den praktischen Übungen der Studenten dabei.
Die Endprüfung in allen Fächern des Hauptstudiums wurden mit einem praktischen Teil sowie mit einem schriftlichen Teil versehen. Sie wurden immer von unbekannten, neutralen Professoren in fremden Stationen oder Ambulanzen durchgeführt. Dadurch kann der objektive Wissensstand bei den Studenten, aber auch die Qualität der Dozenten leichter erfasst werden.
Gegenwärtig findet auf Kuba eine Bildungsrevolution statt. Seit 2004 z.B. kommen Hunderte modernisierte Poliklinken nicht nur den Patienten, sondern auch den Medizinstudenten zugute.
In fast jeder Poliklinik gibt es mittlerweile eine Minifakultät, in welcher Studenten im Grundstudium mit Video-Konferenzen oder PowerPoint-Vorlesungen mitunterrichtet werden. Auf diese Art und Weise sollen auch viele Tausende ausländische Studenten ab 2006 ausgebildet werden. Neben der bereits in Havanna existierenden lateinamerikanischen Fakultät für Medizin wird mit kubanischer Hilfe eine weitere für Medizin in Venezuela entstehen. Für die Zukunft gibt es viel Optimismus.
Bei meinem letzten Besuch im Herbst 2005 in Havanna konnte ich eine Vielzahl meiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aus der Studienzeit nicht antreffen. Sie sind gegenwärtig über den ganzen Erdball verstreut in internationalistischen Missionen tätig, so z.B. in Venezuela, Belize, Haiti, Pakistan, Guatemala oder Südafrika. Wo Mediziner in der Dritten Welt am meisten gebraucht werden, trifft man kubanische Ärzte. Einen von ihnen konnte ich in Venezuela im Staat Sucre besuchen. Er arbeitet in einem Ort, wo es niemals zuvor einen Arzt gegeben hat.
Selbst die USA hätten das Privileg der Hilfe durch kubanische Ärzte haben können. Doch humanistische Prinzipien spielen für die US-Regierung keine bedeutende Rolle.
In Venezuela dagegen, einem Land mit dem politischen Willen, Dinge in der medizinischen Betreuung zu fördern, ist die Unterstützung durch über 16 000 kubanische Ärzte sicherlich am effektivsten und hat unter keinen Umständen nur einen symbolischen Charakter. Bald werden dort, wie bereits in Kuba erste heilbare Krankheiten der Geschichte angehören.
Aber die kubanischen Ärzte werden und können nicht für ewig in diesen Regionen arbeiten, sie sollen von Einheimischen, die in Kuba und bald in Venezuela selbst studieren, ersetzt werde.
Während ihrer inernationalistischen Mission können sich die kubanischen Ärzte fortbilden, z.B. den Master ablegen etc. Ermöglicht wird dies durch die weitverbreiteten Multimedia-Ressourcen, die heutzutage den modernen Internationalisten zur Verfügung stehen.
Hardware wird nicht genutzt, um geistige Entwicklung der Leute in bestimmten Grenzen zu halten, sondern um die Potentiale im Sinne der Menschlichkeit einzusetzen, indem alle vorstellbaren Entwicklungsmöglichkeiten angeboten werden. Dieses Beispiel, die Potentiale aller zu fördern, ist eine Lebenserfahrung, die ich nur auf Kuba erleben konnte.
Dr. Dimitrios Sporidis, seit 1994 bei Cuba Si, studierte Medizin in Havanna und arbeitet heute als Kardiologe in Berlin
Cuba Sí revista 1-2006