Trotz Boykott: 45 deutschsprachige Verlage auf der 15. Internationalen Buchmesse Havanna
In diesen Tagen werden im Hamburger Freihafen Tausende Bücher von 40 Verlagen aus Deutschland (und
fünf weiteren aus der Schweiz und Österreich) verladen, um rechtzeitig zur 15. Internationalen
Buchmesse in Havanna zu sein. Die findet vom 2. bis 12. Februar 2006 in der kubanischen Hauptstadt statt,
Anmeldeschluß war Anfang Dezember. »Es wird die stärkste Beteiligung aus Deutschland und dem
deutschsprachigen Raum, die es je auf dieser zweitgrößten Buchmesse Lateinamerikas gegeben
hat«, so Reinhard Thiele, einer der Sprecher des Berliner Büro Buchmesse Havanna, auf Anfrage der
jungen Welt. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil das Auswärtige Amt der Bundesregierung seit 2004
den Messeauftritt boykottiert und damit dem ursprünglichen Organisator des bundesdeutschen Auftrittes
in Havanna, der internationalen Abteilung der Buchmesse Frankfurt, alle Hände gebunden sind. »Wir
sind in diesem Falle lediglich die Durchführungsgesellschaft, kultureller Mittler, Dienstleister der
Bundesregierung. Havanna wurde aus der Liste gestrichen. Auch für 2006 gibt es keinen Auftrag«, sagt
Caroline Vogel von der Presseabteilung der Frankfurter Buchmesse. Zum dritten Mal tritt deshalb das
Berliner Büro Buchmesse Havanna als Dienstleister für die deutschsprachigen Verlage auf – mit
wachsendem Zuspruch.
Der Boykott
Das Büro Buchmesse wurde nicht ganz freiwillig gegründet: 2004 sollte Deutschland Ehrengast und
damit zentrales Thema auf der Messe in Havanna sein. Zunächst nahm der deutsche Botschafter im
Auftrag der Bundesregierung die Einladung an, der Auftritt wurde wie üblich vorbereitet. Dann aber
verkündete die Bundesregierung einige Monate vor der Messe die Kehrtwendung in ihrer Kuba-Politik,
stellte sämtliche Unterstützung für eine deutsche Beteiligung in Havanna ein und
begründete dies mit der »drastischen Verschlechterung der Menschenrechtssituation« in Kuba. Das
Auswärtige Amt unterstützt jedoch nach wie vor Messen in einer Reihe anderer Staaten, die sich
weit schwerwiegendere Vorwürfe der Bundesregierung gefallen lassen müssen. Deshalb sehen die
Organisatoren des Berliner Büros Buchmesse Havanna andere Gründe für den damaligen Schritt:
»Nachdem sich die Bundesregierung offiziell nicht am Irak-Krieg beteiligt hatte, mußte ein Signal
nach Washington gehen, daß man sich eigentlich in der Menschenrechts- und anderen Fragen weiterhin
einig sei«, so Reinhard Thiele. Ähnlich bewertete dies damals die Frankfurter Allgemeine Zeitung. In
einem Beitrag ihres Lateinamerika-Korrespondenten Paul Ingendaay vom 18. Februar 2004 hieß es: »Mit
der preiswerten Kuba-Sanktion hat Schröder beim amerikanischen Präsidenten verlorene Symphatien
zurückgewonnen. An diesem Schritt gibt es nichts zu bewundern. Ebendeshalb verdient die Aktion der
Tageszeitung junge Welt und mehrerer deutscher Verlage, Deutschland in Kuba zu repräsentieren,
einigen Respekt.«
Die Verlage
Weniger offen zeigt sich das Auswärtige Amt: »Nach der Entscheidung Deutschlands, auf den Status des
Gastlandes zu verzichten, war die deutsche Literatur trotzdem Hauptthema der Buchmesse 2004«, steht bis
heute auf deren Internetseiten. Einen Hinweis, warum das so war, findet man hier nicht. Verschwiegen wird
auch, daß ausgerechnet im Boykottjahr 2004 die deutsche Beteiligung mit 34 teilnehmenden Verlagen
so stark wie nie zuvor war. Der Hintergrund: Nach Bekanntwerden des Boykotts gründeten Aktivisten aus
der deutschen Solidaritätsszene und interessierte Verlage das Berliner Büro Buchmesse Havanna.
Im wesentlichen zeichnen bis heute das Netzwerk Cuba, Cuba Si und der in Berlin ansässige Verlag 8.
Mai GmbH (Tageszeitung junge Welt) verantwortlich. Eine weitere Stütze des Büro Buchmesse ist
der niedersächsische Bibliothekswissenschaftler Rolf Manfred Hasse. Gemeinsam wird seither der
Messeauftritt organisiert: Die Ausschreibung, die Abwicklung des Transportes, die Präsentation in
Havanna. Verlage können dabei entweder selbst ihren Stand gestalten und betreuen – oder aber die
Dienstleistungen des Büros nutzen. Manche Verlage geben wiederum einfach nur Bücher mit, wie das
bei internationalen Messen üblich ist. Unüblich ist jedoch, daß sämtliche Aussteller
ihre Bücher nach dem Ende der Messe Institutionen wie Bibliotheken und Hochschulen zur Verfügung
stellen. Immerhin wurden auf diese Art seit dem offiziellen Boykott etwa 8.000 Bücher gespendet – im
Februar 2006 werden weitere 5.000 hinzukommen, wie das Berliner Büro nach dem Anmeldeschluß
mitteilt.
Auch die Beteiligung litt nicht unter dem Boykott: Insgesamt haben sich 45 deutschsprachige Verlage
für Havanna angemeldet – mehr als jemals zuvor. Die meisten davon sind keineswegs typisch linke
Verlage, wie man vermuten könnte: Häuser wie Rowohlt, Tesslof, Knesebeck, S.Fischer, Westermann,
Klett, Brockhaus, Stiftung Buchkunst, Verlagsgruppe Oetinger, Ammann, Orell-Füssli/Atlantis und viele
andere stellen in Zusammenarbeit mit dem Berliner Büro Buchmesse aktuelle Neuerscheinungen aus. Sehen
lassen kann sich auch das kulturelle Beiprogramm: Zehn Lesungen und Vorträge mit Autoren sowie eine
Ausstellung über Leben und Werk von Georg Weerth aus Anlass seines 150.Todestages und eine
Präsentation der schönsten deutschen Kinderbuchplakate sind geplant. Außerdem wurde eine
Konrad-Wolf-Filmretrospektive vorbereitet.
Das Auswärtige Amt hingegen scheint überfordert. Die einfache Bitte um eine Stellungnahme zum
Boykott und seiner Perspektive kann weder von der Kultur- noch von der Presseabteilung erfüllt
werden. Dazu seien »intensive Recherchen« notwendig, die aber auch nach Tagen noch nicht abgeschlossen
waren. »Mit der Neubildung der Regierung hat das aber nichts zu tun«, hieß es aus dem Presseamt.
Veröffentlichung |
Junge Welt, 14.12.2005