Kubanischer Gewerkschaftschef sah sich in Deutschland um. Gemeinsamer Kampf gegen Neoliberalismus nötig. Ein Gespräch mit Francisco Castillo Falcón
Francisco Castillo Falcón ist Generalsekretär der kubanischen Lebensmittelarbeitergewerkschaft
SNTIA und war auf Einladung der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG) in Deutschland.
Die SNTIA hat 117.000 Mitglieder.
Ihre Gewerkschaft sucht intensivere Kontakte zu west- und nordeuropäischen Gewerkschaften und
hat jetzt Beziehungen zur deutschen NGG geknüpft. Ist das für Sie Neuland?
Mit der norwegischen Lebensmittelarbeitergewerkschaft pflegen wir seit zehn Jahren gute Beziehungen. Sie
hat sich mit der kubanische Revolution solidarisch erklärt und gegen den Boykott Kubas ausgesprochen.
Die Kontakte zur NGG sind neu, dieser Besuch kann eine fruchtbare Zusammenarbeit einleiten.
In den Gesprächen wurde die Befürchtung geäußert, ausländische
Investitionen könnten in Kuba das Einfallstor für den Kapitalismus sein.
Kuba ist zu Handelsbeziehungen und zum Einkauf neuer Technologie gezwungen. Die Welt ist überwiegend
kapitalistisch, also müssen wir auch mit Kapitalisten Wirtschaftsbeziehungen haben – ob es einem
gefällt oder nicht. Der Anteil von Mischgesellschaften an der kubanischen Wirtschaft bleibt aber
gering. Der Anteil ausländischen Kapitals in einer solchen Firma ist auf 50 Prozent begrenzt.
Welche Rolle spielen Gewerkschaften im planwirtschaftlichen System Kubas, zumal das System nicht
den privaten Profit, sondern das Wohl der gesamten Gesellschaft im Blick hat?
Gerade in einem sozialistischen System spielen die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle. Es geht dabei
übrigens nicht nur um die Produktion, sondern auch um kulturelle Fragen. Im Alltag gibt es durchaus
Konflikte mit Betriebsleitungen, die wir dann notfalls auf übergeordneter Ebene austragen
müssen.
Wie groß ist nach Ihrer Ansicht die Gefahr, daß sich – ähnlich wie in Osteuropa vor
15 Jahren – prokapitalistische Kräfte von innen heraus durchsetzen?
Kuba ist keine perfekte Gesellschaft. Aber bürgerliche Kräfte sind immer eine klare Minderheit
geblieben. Eine sehr breite Mehrheit hat sich für die sozialistische Verfassung ausgesprochen. Wir
müssen mit jedermann zusammenarbeiten, auch mit Andersdenkenden.
Im heutigen Kuba kann keiner Millionär werden. Wenn solche Tendenzen sichtbar würden,
würden wir dagegen vorgehen. Ich möchte aber nicht von einer allgemeinen Tendenz sprechen, den
Sozialismus in unserem Lande zu zerstören. Es gibt Leute, die in andere Länder
übergesiedelt sind, aber aus all dem erwächst keine Gefahr für die kubanische Revolution.
Immer wieder ist bei den Diskussionen eine Frage aufgetaucht: Was geschieht nach dem Tod von Staats-
und Parteichef Fidel Castro?
Fidel verkörpert immer noch die kubanische Revolution und ist insofern einzigartig. Niemand lebt
ewig. Fidel und die Partei haben auf dem Gebiet der ideologischen Bildung und Kultur Vorsorge dafür
getroffen, daß nicht alles mit einer Person steht oder fällt.
Ihre deutschen Gesprächspartner haben öfter die Frage gestellt, ob in Washington nicht
schon längst fertige Invasionspläne gegen Kuba vorliegen.
Wenn die US-Imperialisten dies täten, wäre es ein schwerer Fehler. Wir haben eine
revolutionäre Verteidigungstruppe aufgebaut und würden die gesamte arbeitende Bevölkerung
in die Verteidigung des Landes einbeziehen. Wir werden uns nicht erniedrigen müssen. Wir sind auf
alles vorbereitet.
Welche Eindrücke haben Sie bei ihren Betriebsbesichtigungen und Gesprächen in Deutschland
gewonnen?
Durch die solidarischen Worte vieler Gesprächspartner und ihr Interesse an der Lage in Kuba
fühle ich mich in unserem Kampf bestärkt. Besonders schockiert hat mich die hohe
Arbeitslosigkeit in Deutschland. In Dortmund besuchte ich eine supermoderne Brauerei, die jetzt nach dem
Willen der Konzernleitung geschlossen werden soll. Was für ein Irrsinn! Viele Gewerkschafter sind
offenbar in Sorge, daß die gegen das Kapital erkämpften Zugeständnisse in Frage gestellt
werden. Auch wenn wir unterschiedlichen Dachverbänden angehören, müssen wir gemeinsam gegen
Kapitalismus und Neoliberalismus kämpfen.
Veröffentlichung |
Interview: Hans-Gerd Öfinger
Junge Welt, 15.04.2005