Junge Welt fragte Reinhard Thiele, Sprecher des neu gegründeten »Büro Buchmesse Havanna 2004«.
Das »Büro Buchmesse Havanna 2004« organisiert die Teilnahme deutscher Verlage an der »Internationalen
Buchmesse von Havanna« (FILH). Obwohl die BRD auf der Veranstaltung Ehrengast ist, hat das Auswärtige
Amt die Teilnahme vor wenigen Wochen offiziell abgesagt.
Bedeutet die Entscheidung des deutschen Außenministeriums das Ende dieser international renommierten
Kulturveranstaltung?
Keinesfalls. Die Organisatoren erwarten Verlage aus mehr als 30 Ländern. Hinzu kommt, daß diese
Messe im Leseland Kuba unter dem Motto »Lesen bedeutet sich entwickeln« als ein Volksfest der Literatur
konzipiert ist. Im vergangenen Februar haben dreieinhalb Millionen Kubanerinnen und Kubaner die Buchmesse
besuchen können, denn sie wurde, nach der eigentlichen Messe in Havanna, in allen Provinzen der
Insel präsentiert. Das ist auch im Februar 2004 wieder geplant.
Wie haben die Organisatoren in Havanna auf die Entscheidung der deutschen Regierung reagiert?
Natürlich gab es Enttäuschung und Bedauern, denn es waren mit der Bundesregierung einige
umfangreiche Projekte für die Buchmesse vereinbart worden. Die Organisatoren wollen aber daran
festhalten, der deutschen Kultur und ihren historischen Bindungen zu Kuba einen zentralen Platz auf der
kommenden Buchmesse einzuräumen.
Ist es nicht befremdlich, daß das Außenamt derart in die Kulturpolitik eingreifen kann?
Austausch und Zusammenarbeit zwischen Menschen und Kulturen zählt das Auswärtige Amt zu den
Grundsätzen seiner Kultur- und Bildungspolitik im Ausland. Was diese Grundsätze aber wert sind,
zeigt der Boykott der Buchmesse in Havanna. Mit dem Export deutscher Soldaten und Waffen ins Ausland hat
diese Regierung weitaus weniger Probleme.
Handelt es sich hier um eine Einzelentscheidung der BRD, oder ist sie in einen europäischen Kontext
einzuordnen?
Nüchtern betrachtet setzt die rot-grüne Regierung mit dem Boykott einen Beschluß des
EU-Rates vom 5. Juni 2003 um, in welchem die Mitgliedsländer der EU unter anderem aufgefordert
werden, ihre Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen in Kuba stark einzuschränken.
Haben Sie den Eindruck, dass innerhalb der Bundesregierung eine einheitliche Meinung in dieser Frage besteht?
Mein Eindruck ist, daß in der Bundesregierung jene Kräfte das Sagen haben, die sich bei der
US-Regierung nach den Verstimmungen im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg andienen wollen.
Wer hat sich bereits gegen die Entscheidung ausgesprochen?
Es gibt ein breites Unverständnis bis in bürgerliche Kreise, welche den Boykott als Dummheit
bezeichnen.
Wie machen Sie nun weiter?
Wir haben das »Büro Buchmesse Havanna 2004« beim »Netzwerk Cuba e.V.« gegründet. Dabei stehen
wir in engem Kontakt mit dem Organisationskomitee in Havanna und mit Verlagen und anderen Institutionen
in der Bundesrepublik. Wir werden Verlage, Autoren und Künstler zur Teilnahme motivieren, indem ihnen
Unterstützung in organisatorischen Fragen und beim Transport von Büchern nach Havanna angeboten
wird. Auch bemühen wir uns um kostengünstige Teilnahmebedingungen, etwa durch
Gemeinschaftsstände und beim Containertransport. Wir haben zudem ein Spendenkonto eingerichtet.
Konkrete Konditionen und Bedingungen können im Büro nachgefragt werden. Auch die Frankfurter
Buchmesse im Oktober werden wir gezielt nutzen.
Gibt es schon Interessenbekundungen von Verlagen oder Buchhändlern?
Die Reaktionen sind ermutigend und reichen vom Verlag Neues Berlin, dem Ch. Links Verlag und den
Häusern »Das Sortiment« und »Zambon« bis hin zum Verlag 8. Mai, um nur einige zu nennen.
Veröffentlichung |
Junge Welt, 18.09.2003