Alte Feindschaft rostet doch

Kurzer Rückblick auf das Verhältnis von Staat und Kirche in Kuba.

An einer Straßenecke in Havanna stehen ein Priester und ein Offizier und streiten sich darüber, ob es Gott gibt. Weil sie sich nicht einigen können, fragt der Priester einen zufällig daherkommenden Passanten, was er glaubt, wer die Welt erschaffen habe. "Der liebe Gott, wer sonst", sagt der und fügt mit einem raschen Seitenblick auf den Offizier hinzu: "Aber natürlich nur mit der brüderlichen Hilfe unserer Freunde aus der Sowjetunion"

Als die Revolution 1959 siegt, sind die meisten KubanerInnen RevolutionärInnen, und die meisten KubanerInnen sind gläubig. Diese Religiosität aber ist – bis heute – eine Mixtur aus verschiedenen Ingredienzen und Produkt der Kolonialgeschichte. Die SklavInnen und ihre Nachkommen, jahrhundertelang die Mehrheit innerhalb der kubanischen Bevölkerung, brachten ihre eigene Kultur aus Afrika mit. Es gelang ihnen, diese Kulte zu pflegen und weiterzugeben, unter dem Deckmantel des Katholizismus, der Religion der herrschenden Klasse. Für die meisten gläubigen KubanerInnen spielten die Trommeln zur Anrufung der nigerianischen Orishas über Jahrhunderte hinweg eine weitaus größere Rolle als die katholischen Messen der weißen Padres. Diese Tarnung ist die Vorläuferin des kubanischen Synkretismus, der bis heute vor allem in der Verbindung von afrikanischer Santeria und Katholizismus weiterlebt. Der pure, reine Katholizismus ist eine Angelegenheit der Weißen in Kuba, die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung war in einem europäischen Sinne noch nie katholisch.

Eiszeit

Als Batista stürzt, sind die goldenen Zeiten des katholischen Klerus vorbei: die Unabhängigkeitskriege hatten in den spanische geführten Klöstern zu Demoralisierung und organisatorischer Schwäche geführt. Dennoch ist die katholische Kirche während der Diktatur fest in der ausschließlich weißen Mittel- und Oberschicht verankert und fürchtet nach der Revolution um ihre Pfründe. Ein nicht unerheblicher Teil der katholischen Stammkundschaft siedelt in den großen Fluchtwellen von 1960 und 1965 nach Florida über. Die meisten Kleriker sind überzeugte Antikommunisten, die sich rasch in Opposition gegen das sozialistischen Gesellschaftssystem bringen, das sich bald auch den wissenschaftlichen Atheismus auf seine Fahnen schreibt. Im Hirtenbrief der katholischen Bischöfe vom August 1960 werden zwar die "sozialen Maßnahmen" der neuen Regierung begrüßt, gleichzeitig aber heißt es: "Der wachsende Fortschritt des Kommunismus in unserem Land ist ein Problem außerordentlicher Schwere, das niemand der rechten Glaubens ist, verneinen kann". (1) 1961 landen drei Priester mit einem Kreuz auf ihren Uniformen in der Schweinebucht. Die schroffe Reaktion der jungen revolutionären Regierung läßt nicht lange auf sich warten, und es kommt zu zahlreichen Festnahmen und Ausweisungen von katholischen Priestern, viele kirchliche Einrichtungen werden geschlossen oder müssen wegen Personalmangel aufgeben. Zusätzlich verliert die Kirche ab 1961 im Zuge der Nationalisierung aller Privatschulen ihren Einfluß im Erziehungsbereich und damit eine wichtige Machtbasis innerhalb der kubanischen Gesellschaft. Der Bruch zwischen Staat und Kirche ist vollzogen, und eine Zeit des eisigen Schweigens beginnt. (2)

Die Strategie der Revolutionsregierung zielt aber nicht allein auf die Schwächung auf die Schwächung des Klerus ab. Auch verweltlichte religiöse Traditionen finden keine Gnade unter den Augen der neuen Staatsmacht: Anfang der 60er Jahre werden Weihnachten und Ostern abgeschafft und der Sonntag für "freiwillige Arbeiten" vorgesehen. (Noch 1994 ergeht ein Erlaß, der den Rundfunkanstalten das Senden von Weihnachtsliedern untersagt.) Gravierender allerdings ist, daß in den ersten drei Jahrzehnten der Revolution Gläubige nicht Parteimitglieder werden können und daß sie in den 60er und 70er Jahren, sofern sie sich offen zu ihrem Glauben bekennen, in Ausbildung und Beruf mit ständigen Behinderungen oder auch direkter Ausgrenzung rechnen müssen.

Strategische Annäherung

In den 70er Jahren, während die Verbindung zwischen Kuba und der Sowjetunion enger wird, wird der Atheismus als "Staatsreligion" in der Verfassung verankert und offizielle Leitlinie im Erziehungssystem. Dennoch mehren sich in diesem Jahrzehnt erstmals vorsichtige Anzeichen für ein aufweichen der starren Fronten. Fidel Castro spricht in inoffiziellen Verlautbarungen in Chile 1972 davon, daß es "tausendmal mehr Übereinstimmungen zwischen Christentum und Revolution als zwischen Christentum und Kapitalismus" gebe. Dieser Gesinnungswandel bleibt in Kuba zunächst ohne innenpolitischen Effekt. Die ideologische Polarisierung und das "große Schweigen" - wie es die katholische Kirche nennt – dauern an. Auch die in Lateinamerika erstarkende Befreiungstheologie erreicht Kuba nicht. Und es scheint, als hätte die kubanische Führung kein Interesse an einer Entspannungspolitik. Auf dem ersten Parteitag der KP Kubas )PCC) 1975 werden die Verbreitung des "wissenschaftlichen Atheismus" als revolutionäre Pflicht erklärt und Religion und Revolution als "reale Antagonismen" definiert. Aber bereits auf den zweiten Parteitag 1980 werden die "revolutionären Gläubigen" zu "strategischen Verbündeten" erklärt.

1985 läßt sich Fidel Castro 23 Stunden (!) von dem Befreiungstheologen Frei Betto Interviewen. Die gedruckte Zusammenfassung dieses Interviews wird unter dem Titel "Fidel und die Religion" in kürzester Zeit zum innerkubanischen Bestseller. In diesem Interview räumt Castro ein, daß sein Eifer für soziale Gerechtigkeit teilweise auf christliche Einflüsse zurückgeht – aber schon allein der Titel ist eine Sensation. Dieses Interview ist der endgültige Startschuß für einen Richtungswechsel in der Kirchenpolitik der kubanischen Führung, der unter dem Stichwort der "strategischen Annäherung" an den zweiten Parteitag der PCC anknüpft und u.a. zur Gründung des "Büros für religiöse Angelegenheiten" als Schnittstelle zwischen Staat und Kirche führt. Auf dem dritten Parteitag 1986 wird die Rolle der lateinamerikanischen Christen in Befreiungskämpfen positiv hervorgehoben. Und schließlich wird 1991 auf dem vierten Parteitag das Statut, nach dem Glaubenszugehörigkeit und Parteimitgliedschaft sich ausschließen, gestrichen. Diese Streichung ist zugleich das offizeille Ende aller direkten Diskriminierungen von Gläubigen.

Der Klerus reagiert trotz dieses beachtlichen Zugeständnisses beleidigt. Einen Monat nach dem Parteitag veröffentlichen die katholischen Bischöfe ein Papier, in dem es heißt: "... einem Katholiken ist es moralisch unmöglich, dieser Partei anzugehören, ohne seine christliche Identität zu verlieren". Und zwei Jahre später, 1993, mitten in der schwersten ökonomischen und sozialen Krise seit der Revolution, üben die kubanischen Bischöfe in dem Hirtenbrief "El amor todo lo espera" (etwa: Nur durch Liebe können wir hoffen) noch einmal harsche Kritik an der Regierung Castro und sprechen weiterhin von Diskriminierung aus ideologischen Gründen. Dieses Papier läßt die angetauten Beziehungen zwischen Staat und Kirche noch einmal unter den Gefrierpunkt sinken.

Neue Brüderlichkeit

Schließlich aber wird die Politik der strategischen Annäherung von beiden Seiten fortgesetzt. Auf Kirchenseite erweist sich der Bischof von Havanna, Jaime Ortega, als geschickter Verhandlungspartner. Ihm gelingt es, mehr Freiräume für seine eigene Institution zu schaffen, indem er sich – weil entfernt vom undiffenzierten Antikommunismus seiner Vorgänger – zu unverfänglichen Themen wie "die kubanische Familie" äußert und vor klaren Statements gegen das Wirtschaftsembargo der USA nicht zurückschreckt. Gleichzeitig hat die katholische Kirche unter Ortega eine wichtige Rolle bei der Neutralisierung der z.T reaktionären und erzkatholischen Exilkubaner in Miami.

Der vorläufige Höhepunkt der strategischen Annäherung von Staat und Kirche ist die Reise von Karol Wojtyla nach Kuba im Januar 1998, die einen alten Traum der Regierung wahr werden läßt. (3) Und diese Reise führt in Kuba dazu, daß nach fast 40 Jahren wieder Weihnachten und Ostern gefeiert werden dürfen.

Anmerkungen:

1) Alle Zitate aus Kirchendokumenten sind entnommen aus: Maria López Vigil: Un pasado aún presente, in: Envio, n.188, Noviembre 1997, Managua.

2) Auch die protestantischen Schulen wurden geschlossen. Dennoch hatten die verschiedenen protestantischen Kirchen in Kuba viel weniger Probleme mit dem neuen Staat als der katholische Klerus, waren aber zahlenmäßig auch sehr viel weniger in der Bevölkerung verankert.

3) Die katholische Kirche hatte schon seit Anfang der 80er Jahre von einem Besuch des Papstes geräumt. 1989 gibt Castro öffentlich die Bereitschaft seiner Regierung für diesen Besuch bekannt. Aber der letztendliche Anstoß für die Verwirklichung des Projektes ist die Privataudienz, zu der der Papst Fidel Castro 1996 einlädt. Dieser Audienz waren erstaunlich scharfe Worte des Vatikans gegen die US-Blockade gegen Kuba vorausgegangen.


ak analyse und kritik

efa

analyse und kritik, 07.05.1998