Das ist wirtschaftlicher und politischer Krieg
Unter jubelndem Beifall versicherte Fidel Castro, daß sein Land bereit sei, den Menschen in den USA medizinische Hilfe zu leisten, sobald dies erforderlich wäre.
In scharfem Kontrast zur Blockadepolitik Washingtons gegenüber Kuba, erklärte der kubanische Präsident vor den begeisterten Zuhörern, die sich in der Baptisten-Kirche Abisinia im New Yorker Stadtteil Harlem versammelt hatten, um ihn zu hören: "Falls die US-Amerikaner eines Tages Ärzte brauchen – ich weiß, sie haben viele und sehr gute Ärzte -, falls es aber irgendwo, in irgendeiner Gegend, in irgendeinem Stadtteil keinen Arzt geben sollte, dann werden unsere Ärzte mit Begeisterung auch in die USA kommen, um dort zu arbeiten".
Inmitten der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Gründung der UNO und trotz seines vollen Terminkalenders wollte Fidel die Gelegenheit nicht versäumen, an dieser Solidaritätsveranstaltung teilzunehmen, die von den Kuba-Sympathisanten in dem bekannten Stadtteil veranstaltet wurde.
Auf Anzug und Krawatte verzichtend, die er während seines Aufenthalts in New York sonst ständig trug, zeigte sich Fidel in Harlem zum zweiten Mal in 35 Jahren in seiner gewohnten olivgrünen Uniform.
Auf der Veranstaltung gab der Präsident seiner Meinung Ausdruck, daß Kuba stets "seine moralische Pflichten erfüllt hat, seinen Prinzipien treu geblieben ist und zur internationalen Solidarität gestanden hat."
In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, daß mehr als 15.000 kubanische Ärzte internationalistische Hilfe in der Dritten Welt geleistet haben, daß Millionen Menschen in Afrika und Lateinamerika von ihnen betreut worden sind und Tausende von Lehrern und Technikern ihre Mitarbeit auf den verschiedensten Gebieten zur Verfügung gestellt haben.
"Und trotzdem ist Kuba das Land, über das eine Blockade verhangen wurde", fügte er hinzu, "und man klagt es der Verletzung der Menschenrechte an, auch wenn in unserem Land die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung auf 76 Jahre gestiegen und die Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahr auf unter 10 je 1.000 Lebendgeborene gesunken ist und so viele Leben Hunderttausender von Kindern gerettet werden konnte. Wievielen Menschen konnte auf diese Weise das Leben verlängert werden", erklärte er eindringlich.
In Bezug auf die Achtung der persönlichen Unversehrtheit sagte er, daß die Behandlung der 3.000 Gefangenen, die während der Invasion in der Schweinebucht gemacht wurden, wohl als bester Beweis dafür gelten könne.
"Es gibt niemanden, der behauptet hätte, daß in der Hitze des Gefechts irgend jemand umgebracht oder jemandem ein Haar gekrümmt worden wäre … Das ist unser Stolz, das ist unsere Ehre, das ist unsere Geschichte. Die Verleumdungen, denen wir ausgesetzt sind, machen uns nichts aus!"
Auf den Kampf eingehend, den die kubanischen Internationalisten in Angola gegen das rassistische Südafrika führten, sagte er, daß in diesem Land "nicht verboten wurde, Nahrungsmittel und Medikamente zur kaufen", während man Kuba "nicht ein Medikament, nicht eine Aspirintablette, nicht ein Medikament zur Behandlung von Krebserkrankungen verkaufte, das war die Strafe."
Fidel bedauerte, daß in den Redebeiträgen zum 50. Jahrestag der UNO-Gründung die Unabhängigkeit Namibias und das Ende der Apartheid als ein Werk und Wunder der Vereinten Nationen gefeiert wurde, ohne jedoch "einen einzigen Kubaner zu erwähnen, der in diesem Kampf sein Leben gelassen hat, nicht einmal der Name Kubas wurde in diesem Zusammenhang genannt. Seht, wie sie versuchen Geschichte zu schreiben."
Auf dem Empfang in Harlem, in dessen Verlauf Fidel ständig mit den Anwesenden scherzte, erinnerte er an seinen ersten UNO-Besuch 1960, an die Herzlichkeit, mit der man ihn in Harlem und insbesondere im Hotel Teresa (das heute nicht mehr existiert) empfangen hatte, trotz der Feindseligkeit, die er sonst erleben mußte.
Er erzählte, daß man ihm bei der damaligen Reise in dem Hotel, in dem er absteigen sollte, "das Leben unmöglich gemacht hatte" und er schon in Erwägung gezogen hatte, in der Eingangshalle der UNO zu zelten. Schließlich hielt er es doch für ratsamer "ins Hotel Teresa zu gehen, weil ich wußte, daß ich mit der Herzlichkeit der Bewohner dieser Gegend rechnen konnte. Die Ungerechtigkeit und die Diskriminierung waren offensichtlich und als Revolutionär wußte ich, wie ich hier empfangen werden würde."
Hier, in diesem Hotel, besuchten ihn große Persönlichkeiten der Politik: Chruschtschow, Nasser, Nkrumah und hier lernte er Malcolm X kennen. Und das, was man als "plumpe Demonstration der Feindseligkeit geplant hatte, brachte niemandem etwas ein, mir hingegen schenkte es unvergeßliche Erinnerungen und war Anlaß zu unendlicher Dankbarkeit gegenüber dem US-amerikanischen Volk..."
"Unglaublich", fügte er scherzhaft hinzu, "daß sich mich noch heute von ihren Essen, ihrem Empfängen und allen diesen Dingen ausschließen, als ob sich in den letzten 35 Jahren nichts geändert hätte, als ob wir noch mitten im Kalten Krieg wären."
Zum Schluß seiner Rede erklärte Fidel, daß "es auf dieser Welt so viele gibt, die uns das Himmelreich auf Erden versprechen, auf dieser Welt voller Mißbrauch und voller Ungerechtigkeiten. In diesem Sinne möchte ich sagen: wir wollen ein Himmelreich der Gerechtigkeit und der menschlichen Würde, wir wollen ein Himmelreich der Brüderlichkeit. Das ist das Himmelreich, an das ich glaube, und für dieses Himmelreich bin ich bereit mein Leben zu geben."
Treffen mit der puertoricanischen Gemeinde in der Bronx
Am nächsten Tag nahm der karibische Staatspräsident an der Feier in Jimmy's Café in der Bronx teil, die von der Nationalen Vereinigung der puertoricanischen Geschäftsleute veranstaltet und vom Kongreßabgeordneten José Serrano unterstützt wurde.
Bei dieser Gelegenheit widmete Fidel einen Großteil seiner Rede der Frage der kubanischen Emigration in die USA, indem er sogar eine Zusammenfassung der Ereignisse seit dem vergangenen Jahrhundert darlegte.
In Wirklichkeit war es die Revolution, die der Emigration in die USA die Tore öffnete, sagte er, denn vorher gab es ein allgemeines Einreiseverbot und nur eine niedrige Zulassungsquote für Kubaner.
Mit dem Inkrafttreten der ersten revolutionären Gesetze, fuhr er fort, wurden eine ganze Reihe von Interessen beeinträchtigt, "denn es gibt keine Revolution, nirgendwo, nicht einmal in den USA während des Unabhängigkeitskrieges, die nicht viele Interessen beeinträchtigt... Die kubanische Revolution betraf auch gewisse Interessen, und ein Teil der Betroffenen kam hierher."
"In den ersten Jahren", so machte Fidel deutlich, "hatten wir selbst nicht genügend Verständnis dafür, daß viele aus wirtschaftlichen Gründen emigrierten, und aufgrund der Erklärungen, die sie bei ihrer Ankunft hier abgaben, um Unterstützung zu finden, hielten wir sie für Gegner der Revolution."
In seiner Schilderung der Ereignisse, die Kuba seit dem Triumph der Revolution 1959 erlebt hat, bezog sich der Präsident auf die geplanten Anschläge, deren Ziel er gewesen ist.
"Ich kann euch versichern, daß gegen mich so viele Attentatspläne ersonnen wurden, daß ich jedem der hier Anwesenden einen davon schenken könnte", sagte er mit sichtlich guter Laune, die er während der ganzen Rede demonstrierte.
Den anderen Teil seiner Rede widmete er fast ausschließlich der Kubapolitik der USA, die er als "wirtschaftlichen und politischen Krieg" bezeichnete.
Dessen ungeachtet, versicherte er, "beobachten wir einen Wandel in der Meinungsbildung in den USA, und eine wachsende Anzahl von Menschen und bedeutenden Persönlichkeiten aus der Öffentlichkeit, aus der Presse und aus Unternehmerkreisen, die einer Politik überdrüssig und müde geworden sind, die jeglichen Sinns entbehrt. Wie gesagt, ist Kuba heute das einzige Land, - warum nur? - das einzige Land, obwohl es nie in einen Krieg mit den USA verwickelt und das traditionelle Beziehungen zu den USA aufrechterhielt, das einzige Land über das eine Blockade verhängt wurde. Warum?"
Fidel Castro dankte im Namen des kubanischen Volkes den Rednern, die vor ihm auf dieser Veranstaltung gesprochen hatten, für ihre Worte der Solidarität mit seinem Land.
"... Niemals werdet ihr den Heldenmut bereuen, niemals werdet ihr 'die Gerechtigkeit bereuen, niemals werdet ihr die Tapferkeit bereuen, die Verwegenheit, denn es waren die Tapferen, es waren die standhaften Menschen, es waren die Wagemutigen, die die schönsten Seiten der Geschichte gestaltet haben."
Granma Internacional, 01.12.1995