Ein Kubaner in New York
Der fünftägige Besuch Fidel Castros in der US-Metropole anläßlich der Festsitzung zum 50. Jahrestag der UNO-Gründung wurde zu einem Triumph für Kuba.
Wohl nie zuvor hat die Weltpresse so ausführlich und direkt über die kubanische Position berichtet, und nie zuvor hat sich die Opposition gegen die Blockadepolitik der USA im eigenen Land so breit und offensiv geäußert.
Die Weltpresse schenkte der Rede des kubanischen Staatspräsidenten vor der UNO große Aufmerksamkeit, doch am bemerkenswertesten ist der breite Raum, den die Blätter aus New York und dem Rest der Vereinigten Staaten den Worten Fidels widmeten. Die New York Times, der Boston Globe und viele andere Zeitungen widmeten den aufrüttelten Worten ausführliche Berichte auf den Titelseiten.
Dazu kommt, daß große Fernsehsender wie CNN, CBS und NBC ausführliche Interviews mit dem Comandante en Jefe ausstrahlten und damit den "Dämon" live in die Wohnzimmer der US-Bürger sendeten.
Das ausführliche und dicht gedrängte Besuchsprogramm vom 21. bis 25.11. konnte aufgrund des mangelnden Taktgefühls des republikanischen Bürgermeisters von New York, Rudolph Giuliani, um einige interessante Punkte ausgeweitet werden. Giuliani lud die an der Eröffnung der UNO-Sitzung teilnehmenden Staats- und Regierungsvertreter zu einem offiziellen Essen ein und schloß dabei ausdrücklich die kubanische Delegation aus. Das gleiche wiederholte sich anläßlich eines Konzerts der New Yorker Philharmonie.
Der Großindustrielle David Rockefeller nahm dies zum Anlaß, Fidel zu einem Essen mit ausgesuchten Finanzgrößen und Politikern in seine Residenz einzuladen.
Ähnlich instinktlos wie der Bürgermeister verfuhr US-Präsident Clinton am nächsten Tag. Jegliche Regeln des Anstands als oberster Vertreter des Gastgeberlandes dieses historischen Gipfels vergessend, unterließ er es, das kubanische Staatsoberhaupt zu einem Essen, das er aus diesem Anlaß für die Sitzungsteilnehmer gab, einzuladen.
Fidel nutzte diese Zeit, um das ehemalige Hotel Teresa im hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Viertel Harlem zu besuchen, wo er 1960 bei seinem ersten Besuch in der UNO untergebracht war. Anschließen nahm er an einer Solidaritätsveranstaltung der Kirche der Baptisten von Abessinien teil. Unter den 1.200 hauptsächlich schwarzen Teilnehmern der Veranstaltung, befanden sich u.a. der Pastor dieser Gemeinde Calvin Butts, Lucius Walker, Sprecher der Bewegung "Pastoren für den Frieden", Angela Davis und die Kongreßabgeordneten Charles Rangel, Nydia Velázquez und José Serrano. Beim Eintreffen Fidels tönte der Saal von Rufen wie "Viva Fidel" (Es lebe Fidel), "Cuba si bloqueo no" (Ja zu Kuba, Nein zur Blockade) und "Fidel amigo, el pueblo está con tigo" (Freund Fidel, das Volk ist an deiner Seite).
Den Auftakt des nächsten Tages bildete eine Unterredung mit dem Präsidenten der Volksrepublik China, Jiang Zemin. Anschließend standen das CBS-Interview und ein Treffen mit 400 Geschäftsleuten und Wissenschaftlern auf dem Programm, bei dem Fidel einen detaillierten Bericht über die aktuelle Situation des Landes gab.
Nach einem neuerlichen Fernsehinterview, diesmal mit Tom Wrockaw von NBC, empfing Fidel eine Gruppe von hispanoamerikanischen Kongreßabgeordneten und anderen Persönlichkeiten der Latino-Gemeinde im Sitz der kubanischen UN-Botschaft.
Am späten Abend begab sich Fidel in die Bronx, den Stadtteil, in dem mehr als eine halbe Million Puertoricaner leben und der in den USA deshalb als Hauptstadt Puerto Ricos bezeichnet wird. Dort hatte der Landesverband der Puertoricanischen Geschäftsleute zu einem Treffen unter dem Motto "Ein puertoricanischer Willkommensgruß aus der Bronx für Präsident Fidel Castro" eingeladen.
Der dortige Kongreßabgeordnete José Serrano, der für sein mutiges Eintreten gegen die Blockade bekannt ist, bezeichnete die Anwesenheit Fidels als einen historischen Augenblick. In seine Worten wandte er sich erneut gegen den Druck, den sein Land auf Kuba ausübt und schloß mit der an die exilkubanische Mafia gerichteten Bemerkung: "Wir werden es weder zulassen, daß unser Verhalten von Miami, noch von New Jersey aus vorbestimmt wird." Mit diesen Worten überreichte er Fidel einen überdimensionalen Boxhandschuh mit der Aufschrift "Fidel Nr. 1".
Am Dienstagmorgen begann das Arbeitsprogramm des Präsidenten mit einem Festakt, bei dem die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem Fürstentum Andorra vereinbart wurde.
Mittags folgte im Rahmen eines Arbeitsessens in der Residenz des Zeitungszaren Mortemor Zuckermann, Herausgeber der Wochenzeitung US World and News Report und der Daily News, ein Zusammentreffen mit Vertretern bedeutender US-amerikanischer Printmedien. Anschließend besuchte er die Räume der Wirtschaftszeitung Wall Street Journal.
Zum Abschluß des Tages empfing Fidel zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens US-amerikanischer, kubanischer und anderer Nationalität.
Auch am letzten Tag seines Aufenthalts in New York flaute das Interesse der Presse nicht ab. Fidel folgte den Einladungen der New York Times und des Time Magazine zur Besichtigung ihrer Redaktionsräume und zu einem Gedankenaustausch.
Höhepunkt dieses Tages war aber unzweifelhaft die Begegnung mit den "Pastoren für den Frieden". Diese Organisation führt seit Jahren, gegen den erbitterten Widerstand der US-Behörden, Solidaritätskarawanen für Kuba durch.
Auf dem Treffen waren ca. 100 Pastoren und Kirchenvertreter der verschiedensten religiösen Glaubensrichtungen aus unterschiedlichen Bundesstaaten und dem Ausland anwesend. Reverend Lucius Walker, der Fidel als "Freund der Armen" bezeichnete, sprach die Begrüßungsworte und überreichte ihm dann zwei Bibeln.
Weitere Redner bekräftigten ihre Solidarität mit dem kubanischen Volk und versicherten, daß sie fortfahren werden, gegen die ungerechte Blockade zu kämpfen.
Fidel hob in seinem Dank die besondere Bedeutung der Solidaritätskarawanen hervor und betonte: "Ich danke Euch und möchte Euch versichern, daß uns die Sprache der Dankbarkeit eint. Ihr habt ein großes Beispiel gegeben und das Vertrauen vervielfacht, indem Ihr die Grundlage für eine ewige Brüderlichkeit zwischen den Völkern Kubas und der Vereinigten Staaten gelegt habt."
Er unterstrich, daß die Politik der Revolution in Bezug auf die Religion durch absoluten Respekt charakterisiert sei, so wie es auch in der Verfassung der Republik stehe.
Seine Reise resümierend, meinte er, er habe sich hier mit Reichen und Armen getroffen, "und alle haben mich gut aufgenommen; ich hatte Treffen mit den wichtigsten Pressemedien, und auch dort war man sehr freundlich zu mir. Ich kann also feststellen, daß alle mit dieser Reise zufrieden sind".
Hans-Werner Richert
Granma Internacional, 01.12.1995