Marathonläufer Castro setzt Rennen fort
Die cubanischen Wahlergebnisse signalisieren große Zustimmung für den gegenwärtigen Kurs
Wahlen und seien sie auch so geheim wie die jüngsten Parlamentswahlen auf Cuba, sind für die bürgerlichen Medien hierzulande nur dann von Interesse, wenn sie die erwünschten Resultate zeitigen. Da es in diesem Fall nichts wurde mit der erhofften Ohrfeige für Castro, blieb den Ergebnissen der cubanischen Wahlen vom 24. Februar von dieser Seite die Anerkennung versagt. Überraschung hingegen bei allen anderen 'Cubaexperten'. Trotz der wirtschaftlichen Misere sprach eine nicht für möglich gehaltene Mehrheit von 92,8% der CubanerInnen ihrer Führung das Vertrauen aus. Dieses Signal wird zwar weder die ökonomischen Probleme des Landes noch die Blockade durch Teile des Westens beenden; es bedeutet aber eine nachhaltige Ermutigung sowohl für die politische Führung des Landes als auch für die weltweite Cuba-Solidarität. Das cubanische Volk hat dem Versuch, ein sozialistisches Gesellschaftsmodell in einer kapitalistischen Umwelt zu bewahren, ein eindeutiges Mandat erteilt.
Was wurde gewählt?
Nimmt man de Gemeinderatswahlen vom 20. Dezember 1992 hinzu, dann sind mit dem Urnengang vom Februar insgesamt drei Volksvertretungen neu konstituiert worden. Am 24. Februar wurden die 589 Abgeordneten (bisher 510) der Nationalversammlung und 1.190 Mitglieder der 14 Provinzparlamente neu bestimmt. Die größte Aufmerksamkeit galt den Wahlen zur Nationalversammlung, weil man darin eine Art Meinungsumfrage über die gegenwärtige Regierung sah. Ende Oktober 1992 war ein Wahlgesetz erlassen worden, daß erstmals seit 1959 direkte und geheime Wahlen zur Nationalversammlung ausschrieb. Bisher waren die Abgeordneten des Parlaments alle fünf Jahre indirekt von Regionalversammlungen gewählt worden. Die 1976 geschaffene Volksvertretung tritt zweimal im Jahr für drei Tage zusammen. Sie hat bisher noch keinen der an sie herangetragenen Gesetzesvorschlägen die Zustimmung verweigert. Gesetzesvorschläge aus eigener Initiative hat das Parlament bisher noch nicht eingebracht. (Neue Züricher Zeitung, 27.2.1993)
Im Gegensatz zu den Gemeinderatswahlen, bei denen bis drei BewerberInnen um jeden Sitz konkurrieren, entsprach die Zahl der KandidatInnen für die Nationalversammlung genau der Anzahl der zu vergebenden Mandate. Parteinahe Basiskommissionen hatten aus 60.000 Vorschlägen eine Vorauswahl getroffen, die von Stadtversammlungen bestätigt worden war. "Über anderthalb Millionen Menschen waren in den Auswahlprozeß mit einbezogen, der sich auf Nachbarschaftstreffen, an den Arbeitsplätzen, unter Studenten und in den Massenorganisationen vollzog." (Granma International, 7.3.1993) Als gewählt galt, wer mehr als 50% der gültigen Stimmen auf sich vereinen konnte. 274 KandidatInnen gehörten zu dem Kreis der Gemeinderäte, in die sie im Dezember gewählt worden waren. Die übrigen 315 sind Persönlichkeiten, die sich entweder in ihren Provinzen oder landesweit ein gewisses Ansehen erworben haben. Nur 98 der BewerberInnen gehörten bereits der letzten Nationalversammlung an.
Zu den Nominierten zählten die 26 Mitglieder des Politbüros der Kommunistischen Partei sowie etwa 20 Mitglieder des derzeitigen Staatsrates. "Zum ersten Mal kandidierten zwei Pfarrer sowie die beiden bedeutendsten Sänger Cubas, Pablo Milanés und Silvio Rodríguez. Schriftsteller, Sportler und Fernsehansager, Arbeiter Wissenschaftler und Ärzte sollten eine möglichst repräsentative Vertretung aller Bevölkerungsschichten und Berufe garantieren … das Durchschnittsalter liegt bei 42 Jahren; auch einige 18jährige Bewerber wurden aufgestellt, womit die allgemeine Verjüngung in der Führungsspitze des Landes nun auch im Parlament fortgesetzt wird." (NZZ, 27.2.)
Über den Anteil der Kandidatinnen und Kandidaten, welche Mitglieder der Kommunistischen Partei oder der Union der Jungen Kommunisten sind, gehen die angaben weit auseinander. El País (24.2.) nennt "mehr als 60% und am 2.3. gar 99%, die FAZ mal 80% (23.2.), dann wieder 95% (27.2.).
Obwohl sich die Kommunistische Partei bei der Kandidatenkür betont im Hintergrund hielt, waren keine bekannten DissidentInnen auf den Februarlisten vertreten. Sie hätten sich selber als Einzelperson vorschlagen oder von dritten vorschlagen lassen können, aber das ist nicht geschehen. Sie hätten ihre Organisationen legalisieren lassen können, doch trotz einiger Versuche bekam niemand die dazu benötigten 10.000 Unterschriften zusammen. (ND, 24.3.) Ob dies an staatlichem Druck, fehlendem Zugang zu den Massenmedien oder einfach an ihrer Unattraktivität liegt, wird je nach politischem Standpunkt der BeobachterInnen unterschiedlich beurteilt.
Der Wahlkampf begann Anfang Februar. Propaganda und Wahlversprechen waren verboten, "um 'jede Form von Opportunismus und Demagogie' zu verhindern. Die Wahlkampagne beschränkte sich auf die Vorstellung der Kandidaten, deren Photographien und Lebensläufe landesweit plakatiert und in der Presse verbreitet wurden." (FAZ, 24.2.) Fidel Castro hatte die Wahlen unter dem Motto "Vaterland, Revolution und Sozialismus" gestellt. Ein überzeugender Sieg sei nötig, um "den Feinden unserer Einheit zu beweisen, daß sie uns nicht schwächen, nicht spalten, nicht demoralisieren können", Castro rief zur Abstimmung im block auf, d.h. Alle aufgestellten Kandidaten sollten bestätigt werden. (ND, 24.2.)
Der Wahltag
7.830.209 wahlberechtigte CubanerInnen, die ihr 16. Lebensjahr vollendet hatten, konnten am 24.2. in insgesamt 27.359 Wahllokalen von sieben Uhr morgens bis sechs Uhr abends ihre Stimme abgeben. Nahezu alle nutzten – wie bereits im Dezember beobachtet – die Wahlkabinen zur geheimen Wahl. Der Wahlzettel für die Nationalversammlung enthielt die Namen aller 589 Kandidaten, Die WählerInnen konnten sich entscheiden, entweder mit dem Ankreuzen eines großen Kreises in der Mitte des Stimmzettels die gesamte Liste zu wählen oder lediglich hinter einzelne Namen das Zeichen der Zustimmung zu setzen.
Wer mit einzelnen KandidatInnen oder mit dem gesamten Ablauf unzufrieden war, hatte drei Möglichkeiten, seine Opposition auszudrücken:
- Einzelne Vorschläge konnten gestrichen werden.
- Der Stimmzettel konnte ungültig gemacht werden.
- Man/frau konnte der Wahl fernbleiben.
Die Exilkubaner sahen deshalb in dem Votum eine große Chance, die (vermutete) schwindende Unterstützung für die Regierung sichtbar werden zu lassen. Radio Martí (Florida) riet seinen Hörern eindringlich, auf jeden Fall zu den Wahlen zu gehen, den Stimmzettel aber ungültig zu machen. Die 'gusanos' rechneten fest mit einer 50%igen Ablehnung.
Schätzungsweise 250 Korrespondenten (ABC, BBC, NBC, ZDF, die Japaner, alle großen lateinamerikanischen Zeitungen) waren angereist. Sie hatten jederzeit und unbegrenzt Zugang zu allen Wahllokalen und durften bei Urnenöffnung und Auszählung dabei sein. Es gab keine Meldungen über Unregelmäßgkeiten. (ND, 4.3.)
Castro heizte sie Spannung an, als er den 100 Journalisten, die ihn bei seiner Stimmabgabe in Santiago begleiteten, sagte, daß im Falle einer Abstimmungsniederlage, "die Revolution die Macht verlieren" und dies "den Kurs des Landes verändern würde". (El País, 25.2.) Auf Cuba gibt es keine Wahlpflicht. Für den Wahlgang wurde massiv geworben, indem er zur patriotischen Pflicht für jedermann erklärt wurde. Die NZZ (27.2.) weiß zu berichten, daß es selbst "in Spitälern und Altersheimen … bettlägerigen Patienten ermöglicht (wurde), ihre Stimme abzugeben". Zu diesem Zweck wurden überall im Land 'mobile Wahlkabinen' eingerichtet, um auch Menschen, die fern der Städte in der Landwirtschaft oder bei den Streitkräften arbeiten, zu erreichen. Parteimitglieder und Angehörige der "Komitees zur Verteidigung der Revolution" forderten bei Hausbesuchen zum Urnengang auf. "... in vielen Stadtteilen Havannas weckte schon früh am Morgen ein Orchester oder ein Chor junger Pioniere die Einwohner, um sie durch Musik und Gesang auf den Urnengang einzustimmen." (NZZ, 2.3.) (Hier bietet sich reichlich Anschauungsmaterial für bundesdeutsche Wahlstrategen, um ähnlich blamable Wahlbeteiligungen wie in Hessen vergessen zu machen: Von Cuba lernen heißt … 99,62% der Wahlberechtigten ließen sich auf diese Weise motivieren. Nur 30.000 blieben den Wahllokalen fern.
Das staatliche Touristikunternehmen Cubanacan hatte in den Hotels der Hauptstadt Handzettel verteilen lassen, auf denen den ausländischen Gästen in Spanisch und Englisch mitgeteilt wurde:"Ein Volk, daß sich weigert, auf seine erhabene Geschichte, seine nationale Identität und seine sozialen Errungenschaften zu verzichten. Cubanacan bietet Ihnen die Möglichkeit, den Wahlprozeß aus nächster Nähe mitzuerleben. Der Besuch eines Wahllokals: 8 Dollar; Besuch eines Wahllokals incl. Nachmittagsmahlzeit: 14 Dollar; Besuch eines Wahllokals incl. Mittagessen: 20 Dollar." (El País 24.2.1993). Dieser erstaunliche Geschäftssinn der Cubaner sollte optimistisch für die Zukunft stimmen.
Die Wahlergebnisse
Verfrühter Jubel und dann die Ernüchterung – das war die Reaktion der bürgerlichen Presse auf die Bekanntgabe der Wahlergebnisse. Ausländische Korrespondenten meldeten am Abend des Wahltages aus einigen Wahlbüros Havannas, daß 10 bis 20% der Stimmzettel nicht ausgefüllt oder ungültig gemacht worden seien. Dies veranlaßte die Süddeutsche Zeitung (26.2.1993) zu einem verfrühten Jubelausbruch: Bei den Parlamentswahlen … hat eine erstaunlich – und für das cubanische Regime erschreckend – hohe Zahl von Wählern ungültige Wahlzettel abgegeben … Immerhin hätten nicht einmal die optimistischen Regimegegner zwischen zehn und zwanzig Prozent falsch angekreuzter oder gar mit einem 'No' gekennzeichneten Stimmzettel erwartet … Nun hat er (Castro) die Quittung: Die Wähler haben sich gerächt ..." Peinlich, peinlich, dieser Realitätsverlust – und so unterließ es die Zeitung dann lieber, ihren LeserInnen die korrekten Ergebnisse nachzuliefern.
Die landesweite Auszählung ergab nämlich 7,2% ungültige Wahlzettel: 3,3% (ca. 240.000) gaben einen leeren Wahlzettel ab, 3,9% (ca. 312.000) machten ihn auf andere Weise ungültig. Die größte Zustimmung mit 99,95% wurde in der im Osten gelegenen Provinz Granma ermittelt. Für Havanna wurden mit 14,66% die meisten Ungültig-Stimmen (4,39% leere Zettel; 10,27% falsch ausgefüllt) gezählt. Nicht alle der Ungültig-Wähle sollten automatisch als Oppositionelle eingestuft werden Einige sind auch darunter, die es vor lauter Begeisterung an der nötigen Korrektheit fehlen lassen. So wurde z.B. in den cubanischen Medien immer wieder darauf hingewiesen, daß die Stimmzettel nicht mit revolutionären Parolen verschönert werden sollten, da dies einer Ungültigmachung gleichkäme. (El País, 25.2.1993)
Alle aufgestellten KandidatInnen erreichten die notwendige Stimmenzahl. 6.939.230 WählerInnen (95,17% der gültigen Stimmen) folgten dem Aufruf Fidel Castros, im block abzustimmen. ("Voto unido"). Knapp 5% machten von der Möglichkeit einer selektiven Wahl Gebrauch. (Granma Int. 7.3.1993) Fidel Castro ist in seinem Wahlkreis in Santiago mit 99% der Stimmen bestätigt worden. Sein Bruder Raúl erreichte ein ähnlich gutes Ergebnis.
Zusammen mit den Februarergebnissen wurden auch die Resultate der Gemeinderatswahlen bekanntgegeben. Die FAZ (23.2.1993) meldet, daß die aufgestellten KandidatInnen von 15% der WählerInnen abgelehnt worden seien. Am 7.3. meldet die Granma Int. Hingegen eine 90%ige Zustimmung. Demzufolge haben 3% der WählerInnen leere, 7% ungültig gemachte Stimmzettel abgegeben.
In der am 15.3. erstmals zusammengetretenen Nationalversammlung beträgt der Frauenanteil 23%. 47 Abgeordnete sind jünger als 30 Jahre. Ihre Tätigkeit erfolgt auf ehrenamtlicher Basis. Die erste Aufgabe der neuen Nationalversammlung bestand in der Wahl der Mitglieder des Staatsrates und seines Vorsitzenden Fidel Castro, der dieses Amt seit 1976 inne hat, wurde einstimmig für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. (ND, 17.3.) Damit übt er zwischen den Parlamentssitzungen die gesetzgebende Macht aus. Eine Verfassungsreform vom vergangenen Jahr ermöglicht ihm außerdem, im Fall äußerer oder innerer Unruhen den Notstand zu verhängen. Erster Vizepräsident, ebenfalls ohne Gegenstimme, wurde Raúl Castro. Zum Präsidenten der Volkskammer wurde der bisherige Außenminister Ricardo Alarcon de Quesada gewählt. Sein Nachfolger wird der bisherige stellvertretende Außenminister Fernando Ramírez Estenoz.
Auf den konstituierenden Sitzungen der neuen Provinzparlamente setzt sich der Trend zu einer personellen Erneuerung fort. In acht der 14 Provinzen wurden neue Parlamentspräsidenten gewählt. (ND, 10.3.)
Erwartungen und Reaktionen des Auslands
Nahezu jede Meldung über Cuba, die in den vergangenen Jahren durch die bürgerlichen Medien lief, wußte von einer zunehmenden Unzufriedenheit der Bevölkerung zu berichten. So war man ganz heiß auf die Wahlen – genauer gesagt, auf die Quote der Nein-Wähler. "Feuerprobe für Castro", "indirekte Meinungsumfrage über den Regierungskurs" - so lauteten die Einschätzungen von dem 24.2. In den bürgerlichen Zeitungen überboten sich die Korrespondenten mit Prognosen über die zu erwartenden Nein-Stimmen: "Manche Cubaner und die Mehrzahl der ausländischen Diplomaten und Journalisten rechnen … mit einer bösen Überraschung für die castristische Revolution. Die ungültigen Stimmen werden 30% übersteigen." (El País, 24.2.) "Wenn die Stimmzettel ungültig sind, dann weiß die Regierung, daß viele Menschen ganz schön sauer sind", erklärte ein Diplomat dem Tagesspiegel. (24.2.) Besonders neugierig war man auf die Ergebnisse von Havanna. Hier wurden 25% der Nationalversammlungssitze vergeben, hier sitzen die meisten Oppositionsgruppen, hier gibt es vergleichsweise viele unzufriedene Jugendliche.
Daß aus den USA nach den Wahlen dieselben Unverschämtheiten zu hören waren, sollte eigentlich niemanden wundern. "Nach Ansicht der US-Regierung waren die Wahlen undemokratisch. Unter der gegenwärtigen cubanischen Regierung habe es niemals freie und faire Wahlen gegeben, erklärte der Sprecher des Außenministeriums, Snyder. Die USA unterstützten diejenigen Cubaner, die einen Reformprozeß einleiten wollten und hofften, daß diese bald Gelegenheit dazu bekämen. Washington sei der Ansicht, daß Cuba mit einem anderen Staatschef als Fidel Castro besser gedient wäre." (ND, 27./28.2.) außerdem forderte Snyder, ein Mehrparteiensystem und freie Meinungsäußerung zuzulassen. Die Sanktionen gegen Cuba sollen solange verschärft werden, bis dort ein "wirklicher Wandel" eintrete. (FAZ, 27.2.)
Da es für die meisten Zeitungen nichts Schönes über die Wahlergebnisse zu berichten gab, stürzten sie sich auf die Rücktrittsandeutungen Castros. Der hatte die Möglichkeit in Betracht gezogen, in fünf Jahren nicht wieder zu kandidieren: "Auch Marathonläufer werden mal müde … andere werden das Werk genauso fortsetzen können, vielleicht sogar noch besser als ich." Voraussetzung sein allerdings eine verbesserte ökonomische Lage und die Aufhebung des amerikanischen Wirtschaftsembargos. (ND, 17.3.)
Wahlanalyse
Ratlosigkeit und lange Gesichter bei der bürgerlichen Presse. El País (27.2.1993) formulierte die Enttäuschung seht treffend: "Diplomaten und Beobachter … können nicht verstehen, wie es möglich ist, daß dieselben Cubaner, die die Regierung auf den Straßen offen kritisieren und die sich in den Warteschlangen über den Mangel an Medikamenten und Nahrungsmittel beklagen, dennoch mit ihrer Stimme das Regime von Fidel Castro unterstützen." Und einen Tag zuvor an gleicher Stelle: "Diese allgemeinen Wahlen haben bestätigt, was viele erwartet hatten: Die politische Realität auf Cuba läßt Überraschungen und Kurswechsel nicht zu. Sei es wegen des "Fidelismus", sei es aus Überzeugung, Trägheit oder Resignation, etwa 70% der Cubaner haben so gewählt, wie es die Regierung wollte ..."
Zunächst stellt sich die Frage, warum allgemein ein schlechteres Ergebnis erwartet wurde. Journalisten, aber auch ausländische Besucher, gewinnen aus ihren Gesprächen mit CubanerInnen immer wieder den Eindruck einer weit verbreiteten Unzufriedenheit. Dies hinterläßt Wirkung in der Öffentlichkeit,zeichnet aber, so Leo Burghardt im ND vom 4.3.1993, ein falsches Bild: "Womöglich geht einem solches durch den Kopf, wenn man Cuba nur auf der Durchreise für einen schnellen Artikel kennenlernt und sich nahe bei den Touristenhotels aufhält, wo einem natürlich die Opportunisten in Scharen über den Weg laufen. Devisenschieber und Mädel für Geld taugen nirgendwo als Kronzeugen für politische Vorgänge." Dies erklärt zwar die schlechte Presse, aber noch nicht die hohe Zustimmung. Burhardt weiter: "Das Leben ist für die Cubaner sehr schwer, mitunter dramatisch. Aber drei Jahrzehnte Umzingelung haben ihre Sinne geschärft. Auch die nicht gerade beflügelnden Erfahrungen der exsozialistischen Brüder, auch Trotz, doch zuallererst wohl die Gewißheit, daß ihr mittlerweile von allen Seiten behindertes Experiment im lateinamerikanischen Kontext der Dritten Welt, notwendig ist, eine Alternative sein könnte. Politisches Denken, politisches Gespür sind hier noch nicht degeneriert, wenn sie auch unter harte Probe gesetzt werden."
Direkt nach seiner Stimmabgabe sagte Fidel Castro zu Journalisten: "Wir haben eine Bevölkerung, die Nachdenken kann und wir haben lange dafür gekämpft, daß das so ist. Der Wahlprozeß ist ein Beispiel dafür. Wir haben eine Bevölkerung mit einem hohen Grad an staatsbürgerlichem und kulturellem Bewußtsein." (Granma Int. 7.3.) Daher rechne er mit einer hohen Zustimmung. Auf einer Pressekonferenz in Santiago, wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale, sagte Fidel, daß die Wahlergebnisse sowohl der revolutionären Geist der Inselbevölkerung als auch ihre Bereitschaft, jedweder Not zu widerstehen, widerspiegele. Die begrenzte und aufmerksam kontrollierte ökonomische Öffnung nach außen werde fortgesetzt, es werde aber keine politischen Reformen nach westlichem Vorbild (Parteienvielfalt, bürgerliche Demokratie) geben. Die schwere wirtschaftliche Krise des Landes würde dem Rückhalt in der Bevölkerung nicht schaden, denn: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein … Die moralischen Werte haben eine außerordentliche Bedeutung, die nicht unterschätzt werden darf." (El País, 26.2.)
Keine ermutigenden Signale aus dem Clinton-Amerika
Auf der Wahlpressekonferenz äußerte Castro sich das erste Mal öffentlich über den neuen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton. "Er scheine ein 'Mann des Friedens' mit hohen moralischen Grundsätzen zu sein. Doch erwarte er keine durchgreifende Änderung der Politik gegenüber Cuba. Denn Clinton habe nicht das Format eines Alexander des Großen, um den gordischen Knoten zu durchschlagen, der durch das amerikanische Embargo gegen den Inselstaat in den vergangenen 30 Jahren entstanden sei." (FAZ, 26.2.)
Der neue amerikanische Präsident ist immer noch damit beschäftigt, Personalentscheidungen zu treffen, die den Kurs der zukünftigen Lateinamerikapolitik prägen werden. Dabei steht er unter starkem Druck der Cubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung (FNCA), die über starken Einfluß in Senat und Repräsentantenhaus verfügt. Sie führt einen kompromißlosen Kampf gegen alle, die keinen knallharten Kurs gegenüber Cuba vertreten. Ihrem Widerstand ist es zu verdanken, daß Clinton den Posten des stellvertretenden Ministers für inneramerikanische Angelegenheiten nicht mit dem farbigen Cubano-Amerikaner Mario Baeza besetzen konnte. Baeza gilt gegenüber Cuba als gesprächsbereit.
Wenn man Leo Burghardt glauben darf, ist Clintons "Ersatzmann" Alexander Watson ebenfalls eine gute Wahl. Er sei kein Mann der NFCA, sondern genieße wegen seiner Sensibilität und seines diplomatischen Geschicks ein gewisses Ansehen in Lateinamerika. Den Posten der Lateinamerikaabteilung des Nationalen Sicherheitsrats hat Clinton mit Richard Feinberg besetzt. Der war bisher Präsident der privaten Expertengruppe 'Interamerikanischer Dialog'. Diese Gruppe plädiert seit langem für einen Wandel in den Beziehungen zu Cuba: sie schlägt vor, "Präsident Fidel Castro herauszufordern, indem wir die Beziehungen zu ihm verbessern und Erleichterungen im Embargo herbeiführen, um Besuche und Tourismus zu stimulieren und die Kommunikation auszubauen". (ND, 12.3.)
Diese Personalentscheidungen dürfen nicht als Wende zum besseren mißverstanden werden. Pragmatiker wie Feinberg oder Watson stimmen in der Zielsetzung mit Hardlinern wie Snyder (s.o.) überein: Castro muß weg, Cuba soll sich den USA unterordnen. Es ist bisher noch nicht absehbar, ob dieses Ziel durch Konfrontation bzw. Nichtbeachten oder durch eine taktische Annäherung verfolgt werden wird. Clinton selbst hatte sich in seinem Wahlkampf vor Exilcubanern im Miami mit markigen Besprüchen beliebt gemacht: Präsident Bush hätte die Gelegenheit verpaßt, "auf Fidel Castro und Cuba den Hammer fallen zu lassen", (FAZ, 24.3.)
Im Nationalen Sicherheitsrat wird jedenfalls weiterhin munter an Krisenszenarien gebastelt: Gegenwärtig wird innerhalb der nächsten vier Jahre mit einer Krise auf Cuba gerechnet. Etwas differenzierter äußert sich der ehemalige Chef der US-amerikanischen Interessenvertretung in Havanna, Wayne Smith: Nach seiner Ansicht "hat die Krise in Cuba ihren Tiefpunkt erreicht, in Zukunft werde es seht langsam aufwärts gehen, bis – in ungefähr zehn Jahren – die Insel eine Regierung sozialdemokratischen Zuschnitts haben werde, nach wie vor orientiert am sozialen Fortschritt." (ND, 12.3.)
KUK, Berlin
analyse und kritik, 07.04.1993