"Kuba bietet einzigartige Kapitalverwertungschancen" (Fidel Castro)
Die Insel des Sozialismus kämpft ums wirtschaftliche Überleben
Zäher als erwartet erweist sich das kubanische Sozialismus-Modell. Alle Prognosen über einen schnellen Sturz Castros haben sich blamiert. Doch auch im vierten Jahr unter bis dahin nicht gekannten Weltmarktbedingungen steht die Insel in einem harten Überlebenskampf. Fieberhaft arbeiten die politisch Verantwortlichen daran, neue Handelspartner zu finden und ausländisches Kapital ins Land zu holen. Dabei werden bemerkenswerte Erfolge erzielt. Andererseits verändert sich mit den wirtschaftlichen Reformen das Gesicht des kubanischen Sozialismus zunehmend.
Seit 1990 veröffentlicht das kubanische Wirtschaftsministerium keine Zahlen über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Ab und zu werden einzelne Daten bekanntgegeben, aus denen sich nur ein unvollständiges Bild der ökonomischen Situation erstellen läßt. So ist es z.B. gegenwärtig nicht möglich, Aussagen über das Bruttosozialprodukt (BSP) von 1992 zu treffen. So unscharf diese Größe auch sein mag, sie könnte Aufschluß darüber geben, ob der Niedergang der Produktion (Schätzungen gehen für den Zeitraum 1990-92 von einem Rückgang des BSP um 35% aus) inzwischen gestoppt werden konnte.
Wohin führt der neue Wirtschaftskurs?
Joint-Ventures, ausländisches Kapital, Exportdiversifikation, neue Märkte – dies sind einige der Zauberwörter, mit denen Kuba die Weltmarktintegration erreichen will. Gleichzeitig sollen wesentliche sozialistische Prinzipien Gültigkeit behalten. Castro beschreibt den künftigen Kurs folgendermaßen: "Ich möchte eines ganz deutlich sagen. Ich glaube, daß es ein großer Fehler ist, den Sozialismus mit Hilfe marktwirtschaftlicher Strukturen verbessern zu wollen. Der Vorrang von Gemeinschaftseigentum über Privateigentum muß beibehalten, die Notwendigkeit von Planung anstelle des Marktes darf nicht in Frage gestellt werden." (Euromoney, London, Juli 1992, S.41) Der Kapitalismus habe bewiesen, daß er unfähig ist, Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen, Kubas Entwicklungsmodell beruht dagegen auf drei Säulen:
- eine Planung, die Schwerpunkte setzt und Ressourcen rational verteilt,
- ein effizientes Management der Ressourcen,
- eine redliche Verwaltung.
Darüber hinaus braucht Kuba Kapital, Technologie und Märkte. Die können aber nicht von einheimischen Privateigentümern oder selbständigen Unternehmern, sondern ausschließlich durch ausländische Investitionen erschlossen werden. (1)
Gesetzesänderungen, die Investoren ins Land locken sollen, werden vom sympathisierenden ausländischen Kapital so kommentiert: "Tatsache ist, daß Kuba mit den jüngsten Verfassungsreformen das staatliche Handelsmonopol aufgebrochen, seine staatliche Politik flexibilisiert und die Türen für das Privateigentum geöffnet hat; sogar in Bereichen, die bislang als strategisch angesehen wurden." (El Financiero, Mexiko, 21.9.1992) Gemeint sind damit Zuckerindustrie, Erdölvorkommen, Nickel, Biotechnologie, Transportwesen und Zitrusfrüchte.
Die strikte staatliche Kontrolle kubanischer Firmen wird zugunsten größerer Eigenständigkeit zurückgenommen. Bisher sind 68 Staatsbetriebe und 88 selbständige Unternehmen aus der Verantwortung des Außenhandelsministeriums entlassen worden. Sie müssen sich eigenständig um Handelspartner bemühen und ihren Devisenbedarf aus den eigenen Einnahmen decken.
Effizienzsteigerungen verspricht man sich durch die Einführung westlicher Managementmethoden. Seit 1988 gibt es ein nationales Management-Training-Programm (SUTCER), bei dem westliche und japanische Methoden vermittelt werden. Kosten-Effektivität, Effizienz, Qualitätskontrollen und Mitbestimmung sind neu zu lernende Kategorien für kubanische Betriebsleiter. Über 1.000 Verwaltungskräfte sind inzwischen geschult worden, einige Manager haben Erfahrungen in multinationalen Konzernen und ausländischen business schools sammeln können. Es sollen in einigen Betrieben bemerkenswerte Qualitäts- und Produktivitätszuwächse erzielt worden sein, vor allem dann, wenn auf eine rigide Mengenplanung verzichtet wurde. (A. Zimbalist, Teetering on the Brink, in: Latin American Studies 24/1992, S.415)
Joint-Ventures
Ausländische Investitionen sind seit Juli 1992 verfassungsrechtlich abgesichert. Gemeinschaftsunternehmen erhalten nach Paragraph 50 der Verfassung den Status einer selbständigen Rechtspersönlichkeit und gründen sich als Aktiengesellschaften mit genau definierten Zielsetzungen. Geschäftssitz und nationale Herkunft ist Kuba. Sie sind vom Staat vollkommen unabhängig, dürfen Büros, Vertretungen und Filialen im Ausland unterhalten und sich an übernationalen Konzernen beteiligen. (El Financiero, 21.9.92) In der Regel hält der ausländische Partner 49'% der Anteile, seit 1991 sind Mehrheitsbeteiligungen bei folgenden Voraussetzungen möglich:
- wenn es sich um eine Technologie handelt, die von Kuba selbst nicht erworben werden kann,
- wenn es sich um die Herstellung eines Produkts handelt, daß bisher für teure Devisen eingeführt werden mußte,
- wenn kubanische Rohstoffe, die bisher im Ausland weiterverarbeitet wurden, jetzt auf der Insel veredelt werden (Euromoney, S. 41)
Warum sollten ausländische Kapitalanleger ausgerechnet nach Kuba gehen? Castro wirbt mit einzigartigen Kapitalverwertungsaussichten. Am Beispiel des Tourismus zählt er die Vorteile des kubanischen Joint-Venture-Modells auf:
- Steuerbefreiung für einen langen Zeitraum,
- die Möglichkeit, daß investierte Kapital innerhalb von zwei bis drei Jahren wieder 'raus zu haben,
- automatischer und jederzeitiger Gewinntransfer ohne Papierkrieg,
- seht gut ausgebildete Arbeitskräfte,
- gesicherte Treibstoffversorgung für ausländische Geschäftspartner,
- Ausschluß störender Effekte durch konkurrierende ausländische Investoren(Protektionismus)
- Ausbezahlung in konvertibler Währung, wenn der ausländische Partner aus einem Joint-Venture aussteigen will.
Castro weist darauf hin, daß es eine umfangreiche Arbeitsgesetzgebung gibt, die Effizienz und Disziplin in Joint-Ventures garantiert. Es gebe in spezielles Arbeitsregime, das höhere Standards und größere Disziplin gewährleiste. Den Beschäftigten wird dafür ein höherer Lohn garantiert. Alle Fragen, die mit der Beschäftigung zusammenhängen, werden von Kuba geregelt. (Euromoney, S41 ff.) Selbst davon sind offenbar Ausnahmen möglich: In mindestens einem Fall ist spanischen Hotelpartnern die Verantwortung über die Einstellung und Entlassungen übertragen worden. (Kaufmann-Purcell, Americathe world, 1991/92, S. 135)
Da Kuba sich stärker in die benachbarten Märkte verankern möchte, erhalten lateinamerikanische Investoren Vorzugsbehandlung. So sind debt-for-equity-swaps (Schuldenstreichung im Tausch gegen Vermögensanteile) im Zusammenhang mit der Gründung von Joint-Ventures möglich, wenn ein gewisser zusätzlicher Netto-Investitionsbetrag gewährleistet ist. Einige Vereinbarungen in dieser Hinsicht sind bereits abgeschlossen worden, andere werden gerade verhandelt. Weitere Reformen, z.B. die Einrichtung einer Freihandelszone, sind nicht ausgeschlossen. Als Ergebnis all dieser Bemühungen sind 1991 500 Millionen Dollar durch ausländische Investoren in die kubanische Wirtschaft geflossen. (Zimbalist, Latin American Studies 24, S.412)
Programa alimentario |
Run auf Kuba?
Kubas Wirtschaft liegt in vielen Sektoren am Boden. Daraus machen auch staatliche Stellen keinen Hehl. Dennoch zeigt das ausländische Kapital Interesse. "Nach Auskunft der Industrie- und Handelskammer Kuba hat noch niemals zuvor eine so große Zahl ausländischer Geschäftsleute die Insel besucht wie in den vergangenen Monaten. Die Geschäftsleute kommen aus aller Welt, von der Karibik bis nach Afrika, mit einem überraschend hohen Anteil aus der EG und nicht wenigen 'Aufklärern' aus den Vereinigten Staaten." (El Financiero, 21.9.1992) Die mexikanische Zeitung El Economista (30.10.91) zitiert mexikanische Geschäftsleute, die von einer vielversprechenden Investitionslage sprechen, da Kuba sich mit sehr günstigen Konditionen dem lateinamerikanischen Markt öffne. Andere sprechen – vielleicht ein bißchen übertreibend – von einem Run ausländischer Geschäftsleute aus gewinnträchtige Projekte.
Vorteile des Investitionsstandorts Kuba sind billige und qualifizierte Arbeitskräfte sowie eine halbwegs leistungsfähige Bürokratie. Offensichtlich wird die politische Stabilität des castristischen Kubas in Lateinamerika ungleich höher eingeschätzt als in den imperialistischen Staaten. Blödsinn ist die Annahme Rita Neubauers (FR, 12.2.1993), ausländische Investoren würden sich einen Standortvorteil gegenüber der US-Konkurrenz für die Zeit nach Castros Sturz verschaffen wollen und auf einen Markt von 10 Mio. Käufern spekulieren. Neubauer überschätzt die Risikobereitschaft der Kapitalisten. Ein politischer Umsturz könnte nämlich auch mit dem Verlust der Investitionen verbunden sein. Zweitens zielen die Investitionen gerade nicht auf die kubanischen Konsumenten, sondern auf devisenerwirtschaftende Wirtschaftszweige. Im Dezember nannte Carlos Lage, verantwortlich für den kubanischen Wirtschaftskurs, die Zahl von 76 Joint-Ventures (davon 62 Abschlüsse seit 1990). die Mehrzahl arbeitet im Tourismussektor, es gibt aber auch Zusammenarbeit in der Rohstoff-, Bau- und Agrarindustrie. Über 200 weitere mögliche Gemeinschaftsunternehmen werde gerade verhandelt. Im Register über ausländische Firmenniederlassungen sind gegenwärtig 249 Betriebe aus 38 Staaten (Europa 14 Länder, Amerika 20, Asien 2, Afrika1) verzeichnet, die auf die eine oder andere Weise auf der Insel aktiv sind. (El Financiero, 21.9.1992)
Neue Geschäftspartner gesucht
Wurde 1989 noch 85% des Außenhandels mit den RGW-Staaten abgewickelt, so ist dieser Anteil 1992 auf 7% gesunken. (ND 11.2.1993) Da sich die Tauschverhältnisse im Handel mit Rußland verschlechtert haben, muß Kuba einen Kaufkraftverlust seiner Produkte um 70% hinnehmen. Er resultiert aus niedrigeren Zuckerpreisen (-2,5 Mrd. Dollar) und dem Ausbleiben günstiger Kreditlinien (-1,5 Mrd. Dollar). Wurden 1989 noch Waren im Wert von 8,1 Mrd. Dollar importiert, so stehen für 1992 nur noch 2,2 Mrd. Dollar (andere Quellen sprechen von 4 Mrd. Dollar) zu Buche.
Da ungewiß ist, welche Rolle die ehemaligen RGW-Staaten als zukünftige Handelspartner spielen können, muß Kuba weltweit neue Märkte erschließen. Welche Erfolge sind dabei bisher erzielt worden?
Rußland, China und andere asiatische Länder
Wichtigster Handelspartner wird Rußland bleiben. Leider waren die Handelsvereinbarungen der vergangenen Jahre das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Die tatsächlichen Lieferungen blieben bei weitem unter den vereinbarten Quoten. Erdölimporte wurden vor allem durch Tauschgeschäfte ermöglicht. In der ersten Jahreshälfte 1992 lieferte Kuba jeweils 1 Mio. Tonnen Zucker nach Rußland und Kasachstan und erhielt jeweils 1,4 Mio. Tonnen Rohöl (1989; 1t Zucker = 4,5t &Öuml;l).
Im November 1992 wurde ein Handelsvertrag für 1993 abgeschlossen. Es handelt sich um einen weiteren Zucker-für-Öl-Swap (1,6 Mio. Tonnen/3,3 Mio. Tonnen). (1a) Der Wert von einer Tonne Zucker beläuft sich demnach auf 288 Dollar. Der Weltmarktpreis schwankt gegenwärtig um 200 Dollar. (2)
Zum zweitwichtigsten Handelspartner Kubas hat sich China entwickelt. Ein auf fünf Jahre (1991-95) terminierter Handelsvertrag sieht ein jährliches Handelsvolumen von 500 Mio. Dollar vor. Dies ist 1992 realisiert worden. Neben den schon hinlänglich bekannten Fahrrädern (1,2 Mio. Stück) importierte Kuba Ventilatoren, Lebensmittel, Ersatzteile und vor allem Getreide. (ND, 7.1.93) Vereinbart wurde die Errichtung einer Fahrradfabrik mit eine Kapazität von jährlich 150.000 Rädern. Kuba liefert Zucker, Zitrusfrüchte, Eisen, biotechnologische und pharmazeutische Produkte sowie medizinisches Gerät.
Über die Beziehungen zu Vietnam war wenig konkretes zu erfahren. Beide Seiten suchen nach Möglichkeiten einer größeren Zusammenarbeit. Vietnam wird Reisanbauexperten nach Kuba entsenden, die die Möglichkeiten des Anbaus neuer Reissorten überprüfen sollen. Kubanische Spezialisten haben beim Bau einer Zuckerfabrik in der Provinz Tay Nhinh geholfen.
Eine jüngst gegründete kubanisch-indonesische Handelsgesellschaft soll den Warenfluß zwischen beiden Staaten in Gang bringen. Zunächst soll genauestens studiert werden, in welchen Bereichen Handel sinnvoll ist.
Über den Umfang des Handels mit Japan war leider nichts herauszubekommen. Es besteht offensichtlich ein gewisses Interesse japanischer Wirtschaftskreise, denn mehr als 10 Firmen unterhalten Büros auf der Insel. Die den Touristen als Leihwagen zur Verfügung gestellten PKWs stammen aus Japan.
Mit Nordkorea sind Kreditvereinbarungen über Investitionen in die kubanische zucker- und Stahlindustrie abgeschlossen worden. Nordkorea beteiligt sich am Bau des Wasserkraftwerks in Toa-Duaba.
Energieversorgung |
Mexiko
Die Handelsbeziehungen zu Mexiko waren lange Zeit belastet, weil Kuba nicht imstande war, die im bilateralen Verkehr aufgelaufenen Schulden (320 Mio. Dollar) zu tilgen. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern erreicht 1991 und 1992 immerhin jeweils 150 Mio. Dollar. Dabei erzielte Mexiko im vergangenen Jahr einen Exportüberschuß von 100 Mio. Dollar. 1992 konnte eine Schuldenvereinbarung erzielt werden, die deutliche Impulse auslöste.
Kaum war in den USA im Herbst 1992 der Toricelli-Act verabschiedet (s. Dazu den Artikel "Die Wirtschaftsblockade durch die USA"), kam die erste Antwort aus Mexiko. Die in Monterrey ansässigen Textilfabrikanten Mauricio Fernández und Danny Tafich gaben die Gründung der International Textile Corporation (ITC) bekannt. Mit einem Volumen von 1,1 Mrd. Dollar handelt es sich um das größte bisher abgeschlossene Joint-Venture. In 15 kubanischen Fabriken soll mexikanische Baumwolle zu Textilstoffen verarbeitet werden. Als Abnehmer sind Argentinien, Kanada, Japan, Mexiko Panama und Venezuela vorgesehen. Vorgesehen ist eine jährliche Kapazität von 376 Mio. qm textiler Stoffe. Der kubanische Anteil besteht aus Fabrikanlagen im Wert von 500 Mio. Dollar. Die Mexikaner wollen insgesamt 611 Mio. Dollar investieren. Damit halten sie 55% der Besitzanteile. Die Anfangsinvestition für Rohbaumwolle und Marketing in Höhe von 50 Mio. Dollar kommt aus Monterrey. Im weiteren Verlauf werden die Mexikaner für die notwendige Modernisierung des Maschinenparks sorgen.
Vorläufig beruht die Wettbewerbsfähigkeit der ITC auf den niedrigen kubanischen Arbeitslöhnen und günstigen Zollvereinbarungen. Kuba verpflichtet sich, mit einem Teil der zu erwarteten Gewinne die Rückzahlung der 320 Mio. Dollar-Schuld gegenüber Mexiko zu beginnen. Möglicherweise wird die ITC-Vereinbarung auf andere Länder ausgeweitet. Firmen aus Japan, Kanada, Südkorea und Panama sollen Interesse gezeigt haben. (LA Weekly Report, 12.11.92) (3)
Der Handel mit Mexiko wird dadurch erleichtert, daß die mexikanische Banco Nacional de Comercio Exterior (Banomext) seit 1991 großzügige Kreditlinien für nationale Exporteure bereitstellt. (4) Ein Kooperationsvertrag zwischen der mexikanischen Canacintra (Cámara Nacional de la Industria de la Transformacion) und der kubanischen Industrie- und Handelskammer (Cámera de Comercio de Cuba) schafft die Grundlage für Investitionen mexikanischer Unternehmer.
Neben Tourismusinvestitionen (5) gibt es Vereinbarungen im Bereich der Kommunikationsmittel. Das Unternehmen Iusacel plant die Produktion von Telefonkabeln und den Aufbau eines mobilen Telefonnetzes. (6) Öffentlichkeitsscheu ist die mexikanische Zuckerindustrie: Sie verweigert konkrete Angaben, will aber auf dem karibischen Markt stärker Fuß fassen, der von Kuba aus schnell zu bedienen wäre. Insider berichten von Überlegungen, sich an kubanischen Zementfabriken zu beteiligen bzw. eine Neugründung vorzunehmen. Regierungsstellen bestätigen Sondierungsgespräche über gemeinsame Farbenherstellung, Tabakvertrieb, Raffinierung und Vermarktung von Erdölprodukten sowie Mineralienverarbeitung. (El Financiero, Mexiko, 24.8.1992)
Der Handel zwischen beiden Ländern ist allerdings bisher noch sehr ungleichgewichtig und beschert Kuba saftige Handelsbilanzdefizite. Mexiko importiert vor allem Zucker (1992: 44 Mio. Dollar), Zement (180.000 t) und in ungleich geringerem Umfang ungegerbtes Leder, Liköre, Lebensmittel, Impfstoffe, Interferone, Anticholesterole sowie Stahlerzeugnisse. Geordert wurden auch Zuckerrohr-Erntemaschinen des Typs KTP2.
Brasilien, Venezuela und weitere Staaten
Zum wichtigsten Handelspartner Kubas in Südamerika könnte sich Brasilien entwickeln. Für 1990 wurde ein Handelsvolumen von 200. Mio. Dollar erwartet. Kuba lieferte große Mengen des Miningitis-B-Impfstoffes im Wert von 80 Mio. Dollar. (Kaufmann-Purcell, S. 135)
Venezuela ist offensichtlich entschlossen, seine guten Beziehungen zu Kuba auszubauen. Im November unterzeichneten die Außenminister beider Staaten mehrere Verträge, die eine engere Zusammenarbeit in technischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht vorbereiten. Vorgesehen sind gemeinsame Forschungs-, Entwicklungs- und Ausbildungsprojekte, technologischer und wissenschaftlicher Informationsaustausch sowie gemeinsame Seminare und Konferenzen. Genauere Einzelheiten über die Handelsbeziehungen liegen mir leider nicht vor.
Sehr gut entwickeln sich die Beziehungen mit Kanada. Im ersten Halbjahr 1990 hat sich das Handelsvolumen gegenüber dem Vorjahr um 34% vergrößert (kubanische Exporte um 75,9%, kanadische Exporte um 15,9%). Im genannten Zeitraum belief sich das Handelsvolumen auf 140 Mio. Dollar.
Mit folgenden Ländern der Gruppe der 77 sind Handelsvereinbarungen im beiderseitigen Interesse getroffen worden. Iran, Libyen, Algerien, Kongo, Äthiopien, Uganda, Guinea, Simbabwe, Seychellen, Mosambik, Angola, Ghana.
Ohne Frage ist es ermutigend, daß Kuba in vielen Teilen der Erde ein gefragter Handelspartner ist. Hier wirkt sich aus, daß Castro in den vergangenen Jahrzehnten konsequent für die Interessen der Drittweltstaaten eingetreten ist. Andererseits ist Kuba heute nicht mehr so wählerisch bei der Partnersuche. Bei Staaten wie Iran, Indonesien oder Marokko bekommen Linke mit gutem Grund Bauchschmerzen. In ideologischer und politischer Hinsicht dürfte Kuba mit diesen Staaten nicht viel verbinden.
Die kubanische Isolation in Lateinamerika konnte vor allem dank des Abtretens der dortigen Militärdiktaturen aufgehoben werden. Dennoch überrascht es, wie viele Regierungen bereit sind, wegen guter Kontakte zu Kuba Ärger mit den USA zu riskieren. Zwei Gründe lassen sich anführen: Die Nähe Kubas zur nordamerikanischen Freihandelszone läßt eine Integration früher oder später (ohne Castro?) wahrscheinlich erscheinen. Wer dann einen Fuß auf der Insel hat, mag sich davon Vorteile versprechen. Etwas romantischer dagegen der zweite Grund; Vielleicht gibt es ja tatsächlich bei manchen lateinamerikanischen Regierungen ein Interesse am Fortbestehen eines sozialistischen Kubas, weil es ein gewisses Gegengewicht gegen die dominierende Supermacht darstellt. Ein einpolariger Kontinent wäre nicht im Interesse der anderen Staaten und der dort herrschenden Klassen, weil die Systemkonkurrenz in mancher Hinsicht spendabel gemacht hat.
Tourismus
Kurzfristig werden die größten Hoffnungen in den Tourismus gesetzt. 1992 wurden 600.000 BesucherInnen erwartet. Schätzungen gehen von einem Netto-Gewinn von 200 Mio. Dollar (1991: 100-120 Mio. Dollar) für Kuba aus. Damit wäre dieser Sektor nach dem Zucker zur zweitwichtigsten Deviseneinnahmequelle geworden. Geplant ist, die Bettenzahl bis 1995 um jährlich 3-4.000 auf insgesamt 30.000 zu vergrößern. Dann sollen über eine Mio. Besucher empfangen (1991: 380.000) und Brutto-Einnahmen in Höhe von 1 Mrd. Dollar realisiert werden.
Um für dieses Vorhaben ausländische Partner zu gewinnen, wirbt Kuba mit einer dreijährigen Rekapitalisierung der eingesetzten Gelder. 20% der Hotelbetten werden gegenwärtig durch Joint-Ventures vermarktet. Kuba verfügt bereits über 20% aller in der Karibik angebotenen Hotelbetten. (Conflict Studies 256, S.15)
Um den Tourismussektor herum blüht die Prostitution: Vor den Hotels stehen die Prostituierten neben der Tourismuspolizei. Die Freier ermöglichen ihnen Zugriff auf die Waren in den Intourläden, die für KubanerInnen derzeit nicht erhältlich sind: Schmuck, Shampoo, Parfüm, westliche Kleidung … Junge Leute auf der Suche nach Dollar verdienen sich die bucks mit Schwarztausch, Verkauf von Zigarren oder Rum. Es entsteht eine soziale Schicht, die sich aus der kubanischen Gesellschaft desintegriert, die dem Castrismus tendenziell feindlich gegenüber steht, da er zwar die Prostitution zuläßt, den Besitz von Dollar aber unter Strafe stellt und den Zugang zu Intour-Läden und -Restaurants verbietet.
Wie nehmen es die KubanerInnen auf, daß der Tourismus eine Zweiklassengesellschaft konstituiert? Der Dollarbesitzer hat Zugang zu den besten Hotels, den feinsten Restaurants, er bekommt die erlesensten Köstlichkeiten. Wie wirkt das auf eine Gesellschaft, in der krasse Unterschiede zwischen arm und reich seit gut dreißig Jahren nahezu unbekannt sind? Der Dollar erscheint als Schlüssel zum Konsumparadies. Was für eine Werbung für ein System, das diese Währung hervorbringt. Angesichts dieser Begleiterscheinungen zahlt Kuba für die Tourismus-Devisen einen hohen sozialen und politischen Preis. Er wird, weil das Wasser bis zum Hals steht, in Kauf genommen.
Die Wirtschaftsblockade durch die USA |
Erdöl: Achillesferse und Hoffnungsträger
1992 konnte Kuba nur etwa 6 Mio. t der benötigten 13 Mio. t Rohöl importieren. Energiemangel lähmte weite Teile der Wirtschaft. Nahezu die gesamte Zuckerernte ging im Tausch gegen Rohöl außer Landes. Berichte über umfangreiche Ölvorkommen auf kubanischem Hoheitsgebiet habe Hoffnung aufkommen lasse, die extreme Abhängigkeit in dieser Hinsicht zu verringern.
Im Dezember 1990 unterzeichnete Kuba einen Sechs-Jahres-Vertrag mit einem französischen Konsortium (total Petroleum und Compagnie Européene des Pétroles). Im März 1911 begann die gemeinsame Ölsuche. Mit der staatlichen brasilianischen Petrobas wurde im April 1991 eine Vereinbarung unterzeichnet, die eine gemeinsame Exploration kubanischer off-shore-Felder vorsieht. Shell, British Petroleum und Taurus Petroleum (Schweden) sollen Interesse an sogenannten "risk-contracts" gezeigt haben. Die Ölfirmen übernehmen dabei die Explorationskosten und erhalten – wenn Vorkommen entdeckt werden – das Recht auf die Hälfte der Fördermenge.
Die heimische Erdölproduktion erbrachte 1992 etwas mehr als die geplanten 850.000 t. Damit wurden etwa 12% des Gesamtverbrauchs gedeckt. Aus den bereits niedergebrachten 1.600 alten Bohrungen will CUPET (Cuba Petroleo) ab 1995 2,5 Mio. t Rohöl herausholen.
Mitte Februar hat Kuba in Calgary und London acht Land- und drei Schelfgebiete zur Ölförderung feilgeboten. Es gibt Interessenten aus Mexiko, Frankreich, Schweden und Kanada. Die Rede ist von einem mehrere hundert km langen und 60 bis 80 km breiten Strang, der aufgeschlossen werden kann. (ND 26.1.93)
Da Problem ist, daß meßbare Ergebnisse erst in einigen Jahren verzeichnet werden können. Erdölförderung ist ein langwieriges Unternehmen. Vom Auffinden bis zur Förderung vergehen vier bis zu sechs Jahre. Kubanisches Erdöl gilt zudem als minderwertig. Es wird schwer sein, kann aber zur heimischen Energieerzeugung genutzt werden.
Zucker
Am 5. September, dem Jahrestag der kubanischen Revolution, verkündete Castro das Ergebnis der Zuckerernte 1991/92. 7 Mio. t bedeuten trotz eines Rückgangs um 6,7% (7,5 Mio. t 1990/91) einen großen Erfolg. Starke Regenfälle und auf Erdölmangel zurückzuführende Probleme bei der Zuckerverarbeitung ließen ein noch schlechteres Ergebnis befürchten. Castro betonte, daß nur 30% der sonst üblichen Ressourcen (Treibstoffersparnis durch vermehrte Handarbeit) eingesetzt wurden. (LA Weekly Report, 17.9.92)
700.000 t gingen in den heimischen Verbrauch. Die übrigen 6,3 Mio. t waren bis Mitte September in Ausland verkauft. Obwohl dies einen Rückgang gegenüber 1991 von nur 6% bedeutet, werden aufgrund gesunkener Weltmarktpreise die Zuckererlöse um 2,7 Mrd. Dollar niedriger liegen. Neue Märkte konnten mit dem Iran, Südkorea und Marokko erschlossen werden. Cubazúcar erklärte, daß mit Kanada, Japan, Finnland, Algerien, Tunesien und Ägypten die gleichen Quoten wie 1991 vereinbart wurden. (LA Weekly Report, 1.10.92)
Kubanische Offizielle erwarten für 1993 einen Ertragsrückgang im Vergleich zu 1992. Transportprobleme, fehlende Düngemittel und Pestizide, Treibstoffmangel bei Traktoren, energie- und Ersatzteilprobleme in den über 100 Zuckerrohrmühlen seien auch dieses Jahr unerwünschte Begleiterscheinungen der "zafra". (FR 3.2.93) Allerdings wird die Ernteperiode wegen der enormen Bedeutung des Zuckers als Devisenbringer Jahr für Jahr von Spekulationen begleitet. Regierungsstellen haben im vergangenen Jahr niedrige Erträge vorausgesagt und das höher liegende, tatsächliche Ergebnis als großen Erfolg herausgestellt. Verbindliche Zahlen sind erst im Spätsommer zu erwarten.
Andere Exportgüter
Es ist keineswegs so. daß Kuba nur Zucker exportiert. Allein zwischen 1980 und 1985 sind 111 neue Produkte in den Export aufgenommen worden. Zu den wichtigsten Gütern zählen Zitrusfrüchte, Fischprodukte, Stahlerzeugnisse, recycelte Rohstoffe, Altmetall, Gasöfen, Papierprodukte, Lötkolben und Elektroden, Radios. Batterien. Nicht-Zucker-Exporte erreichten 1985 eine Höhe von über einer Mrd. Pesos (offizieller Kurs: 1 Peso = 1 US-Dollar). Davon konnten Waren für knapp 500. Mio. gegen konvertible Währung verkauft werden, der Rest wurde in Tauschgeschäften abgesetzt. Ein verstärkter Export von verarbeiteten Produkten scheiterte an planungsbedingten Versorgungsmängeln, ungenügender Qualitätskontrolle, ungeeigneten Verpackungs- und Transportmöglichkeiten, fehlender Markterfahrung und Devisenmangel. (Zimbalist, in: transformation an struggle, Halebsky 1990, S.136 f.)
Kuba besitzt mehr als ein Drittel der weltweiten Nickelvorkommen. Geschätzte 20 Mio. t sichern den Abbau für die nächsten 200 Jahre. 1990 konnte Kuba 450 Mio. Dollar aus Nickelexporten (46.000 t) erwirtschaften. Nach einem drastischen Produktionseinbruch 1991 (unter 30.000 t, die Moa-Produktionsstätte war wegen Energiemangels zeitweise stillgelegt) sollten im vergangenen Jahr 50.000 t produziert werden. Bis 1996 ist eine Steigerung auf 80.000 t vorgesehen. CUBANIQUEL unterhält Handelsbeziehungen mit 50 Firmen aus 25 Ländern. (Political Affairs, 8/1992 und Conflict Studies 256, S.15)
Es gibt Meldungen, wonach der kanadische Sherrit Grodon Konzern 1,2 Mrd. Dollar in die kubanische Nickelproduktion investieren möchte. Modernisierungen der Werke Punte Gorda, Moa und Nicaro sowie die für 1993 erhoffte Inbetriebnahme des Camarioca-Werkes könnten – nach optimistischen Schätzungen – ab 1994 zusätzliche Erlöse in Höhe von 400 Mio. Dollar jährlich erzielen. (Zimbalist, Latin Amercan Studies 24, S.413) Ein Zustandekommen einer entsprechenden Vereinbarung wäre auch unter ökologischen Gesichtspunkten wünschenswert, da die gegenwärtigen Anlagen üble Umweltverschmutzer sind.
Pharmazeutische Industrie
Kuba hat mehr als 300 Mio. Dollar in die pharmazeutische Industrie investiert. Obwohl noch nicht alle Bereiche ihre Arbeit aufgenommen haben, ist die Investitionssumme durch Medikamentenverkäufe ins Ausland bereits wieder hereingekommen. Die Anzahl der verschiedenen auf Kuba hergestellten Medikamente ist von 327 auf über 900 gesteigert worden. (Granma Int., 15.11.1992)
Kuba ist das erste Land der Erde, das einen Meningitis-B-Impfstoff (gegen Hirnhautentzündung) entwickelt hat. Der Meningitis-B Erreger befällt vor allem Kleinkinder unter 2 Jahren. Brasilien hat mit dem kubanischen Serum in den Jahren 1989 bis 1991 eine Impfkampagne in der Umgebung von Sao Paolo durchgeführt. Eine Wirkstoffkontrolle des Kontrollzentrums für Infektionskrankheiten Atlanta (USA) ergab eine 92,5%ige Wirksamkeit bei Kindern über 4 Jahren. Die Untersuchung der jüngeren Altersstufe ist noch nicht abgeschlossen; Kontrollen in Kuba ergaben ebenfalls eine 92,5%ige Wirksamkeit. Die Werte sind überdurchschnittlich hoch. Eine hohe Wirksamkeit wurde auch aus Kolumbien bestätigt, wo über 16.000 Kinder im Alter von 3 Monaten bis 6 Jahren in besonders gefährdeten Regionen geimpft worden waren. (Granma Int., 1.11.1992)
Stolz ist Kuba auf die Entwicklung des cholesterinsenkenden PPG-5. Anders als die gegenwärtig gebräuchlichen Medikamente weist es keine negativen Nebenwirkungen auf, (7) In den Medien der Industriestaaten herrscht eine Art Nachrichtensperre über das neue Medikament. (Granma Int., 22.11.1992)
Kuba plant, die gesamte sexuell aktive Bevölkerung auf AIDS hin untersuchen zu lassen. (8) Dazu hat es das Testverfahren SUMA 321 entwickelt. Im Januar 1990 ist mit der Massenproduktion dieses Stoffes begonnen worden, da Bestellungen aus Brasilien, Italien, Spanien, der UdSSR und Venezuela vorlagen. (Gunn, Foreign Policy 79/1990, S147)
Sich auf dem Weltmarkt neu zu etablieren, ist angesichts der Dominanz der internationalen Pharmakonzerne nahezu ausgeschlossen. Wettbewerbsnachteile entstehen durch unterlegene Testverfahren, Marketing-, Präsentations- und Finanzierungsmethoden. Chancen ergeben sich möglicherweise in einigen lateinamerikanischen Ländern (Brasilien) und in den ehemaligen RGW-Staaten. Bedeutende Erlöse sind nur dann zu erwarten, wenn der osteuropäische Markt erschlossen werden kann. Im Juli 1992 soll es diesbezügliche Joint-Venture-Verhandlungen mit Spanien, Holland und Ungarn gegeben haben. (Conflict Studies 256, S.19)
Gesundheitstourismus |
Probleme der industriellen Entwicklung
So wichtig der Zucker als Exportprodukt auch ist, zum Bruttosozialprodukt trägt er nur mit 4% bei. Die gesamte Landwirtschaft erwirtschaftet 15% des BSP und absorbiert 21% der Beschäftigten. Die Industrie trägt dagegen 44,2% zum BSP bei, sie beschäftigt 21,8% der Berufstätigen. In 836 Betrieben arbeiten 767.500 Menschen. Es gibt 140 Großbetriebe mit jeweils über 2.000 Beschäftigten. Dem Industriesektor angegliedert sind 40 Forschungs- und Entwicklungszentren, in denen 8.000 Beschäftigte, darunter 3.000 WissenschaftlerInnen, tätig sind. In diese Zentren wurden zwischen 1977 und 1989 über 500 Mio. Pesos investiert (Comercio Exterior 42, Mexiko 1992, S.1149 ff.)
Ziel der industriellen Entwicklung ist die Importsubstitution. Auf Kuba verhält es sich aber leider so, daß die importsubstituierenden Betriebe ihrerseits extrem abhängig von der Einfuhr industrieller Zwischenprodukte (z.B. Walzwerkerzeugnisse, mechanische, elektrische und elektronische Komponenten, Energiezufuhr) sind. Dies war bis 1989 kein Problem, da die Sowjetunion bis zu diesem Zeitpunkt die benötigten Güter preisgünstig zur Verfügung stellte. 1989 wurden Industriegüter im Wert von 555 Mio. Pesos hergestellt. Exporten in Höhe von 46 Mio. Dollar standen allerdings Importe in Höhe von 1,2 Mrd. Dollar gegenüber. Solange mit den RGW-Staaten sichere Angebotsmärkte zur Verfügung standen, war dies auch kein Problem. Jetzt aber fehlt es an allen Ecken und Enden. Investitionen in Fertigungsbereiche die die bestehenden Industriebetriebe mit den benötigten Zwischenprodukten versorgen, werden schwer aufzubringen sein.
Die Außenhandelsprobleme beeinträchtigen die Industrieproduktion erheblich. Für Mitte 1990 gab z.B. das Ministerium für Leichtindustrie bekannt, daß 321 Betriebe ihre wöchentliche Laufzeit auf 24 Stunden reduziert hatte; 26 hatten ihren Betrieb gänzlich eingestellt. (Perez-Lopez, Cambridge Journal of Economics 16, 1992, S.122) Im November 1992 berichtete LA EconomicBusiness, daß nach Schätzungen nicht näher genannter Experten 80% der kubanischen Industrie zur Zeit stillgelegt seien.
Die Demoralisierungseffekte (Fehlzeiten, sinkende Arbeitsmoral) bei unterbeschäftigten Arbeitern dürften nicht unterschätzt werden. Wer nicht bereit ist, in der Landwirtschaft zu arbeiten, sitzt mit 60% seines Lohnes zu Hause.
Geld- und Währungspolitik
Die im Umlauf befindliche Geldmenge steigt beständig, da sie nicht durch Konsumption abgeschöpft wird. Der Wert des und das Vertrauen in den Peso schwinden ständig. Die Folgen sind Schwarzmarkt und Parallelwährung (trotz Verbot des Dollarbesitzes). Kuba weist die gängigen Inflationsbekämpfungsmaßnahmen zurecht als unsozial zurück, kann aber keine Alternativen anbieten. Das Gleichgewicht zwischen Löhnen, Preisen und Produktion ist auf der Produktionsebene nachhaltig gestört. Kuba verneint eine Binnenmarktstimulation durch Einführung marktorientierter Reformen und hofft statt dessen, über Exportsteigerungen die Überschüsse zu erzielen, mit denen die heimische Konsumption (via Importe oder Produktion von Konsumgütern) befriedigt werden kann. Das dürfte sehr schwierig werden.
Einschneidende währungspolitische Reformen sind laut Castro vorläufig nicht zu erwarten, einiges sei aber beretis in Bewegung geraten:
- Bestimmte kubanische Unternehmen müssen sich ihren Devisenbedarf selbständig erwirtschaften (Basisindustrien Stahlverarbeitung Biotechnologie, Fischerei).
- Das Außenhandelssystem soll reformiert werden. Auch kubanischen Firmen sollen direkte Verhandlungen erlaubt werden.
- Der Wechselkurs des Pesos soll an den anderer Währungen angeglichen werden. Nicht vorgesehen ist, den Wert der kubanischen Währung auf den internationalen Devisenmärkten frei bestimmen zu lassen.
- Das Bankensystem soll vorerst nicht verändert werden. Castro geht davon aus, daß der Produktionssektor höchste Priorität genießt und der Finanzsektor dem untergeordnet sein müsse.
Maßnahmen zur Beseitigung des Geldüberhang, zur Reduzierung des Budgetdefizits oder die Durchführung einer Preisreform werden erst dann ergriffen wenn es die ökonomischen Umstände erlauben.
- Ausländische Banken werden auf Kuba zugelassen, wenn dies notwendig und für das Land vorteilhaft ist. (Euromoney, Juli 1992)
Verschuldung
In der ersten Hälfte der 80er Jahre konnte Kuba zwar bemerkenswerte Exportsteigerungen erzielen (9,7% p.a.), außer Kontrolle gerieten aber die Importsteigerungen (11,5% p.a.), was zu einem chronischen Handelsbilanzdefizit beitrug. Auch im Zeitraum 1985-89 betrug das Defizit etwa 2 Mrd. Pesos jährlich. Die Finanzierung erfolgte durch Kredite seitens der UdSSR und der anderen RGW-Partner.
Gegenwärtig beläuft sich die Außenschuld auf 7 Mrd. Dollar gegenüber westlichen Schuldnern und etwa 20 Mrd. Dollar gegenüber der Ex-UdSSR. 1985 scheiterten Umschuldungsverhandlungen mit westlichen Banken. Seitdem hat Kuba den Schuldendienst eingestellt. Dadurch ist der Zugang zu neuerlichen Krediten nahezu ausgeschlossen.
Castro ist zu Vereinbarungen über die Rückzahlung der Außenschuld bereit, wenn auf Eingriffe in die nationale Wirtschaftspolitik verzichtet wird. IWF-Programme werden als Angriff auf die nationale Souveränität betrachtet. (Euromoney, Juli 1992)
Strukturelle Schwachstellen
Die positiven Entwicklungen bei der Suche nach neuen Handels- und Geschäftspartnern dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Lage der für den heimischen Markt produzierenden Betriebe nach wie vor katastrophal ist. Ausländisches Kapital hat an diesem Sektor kein Interesse, da keine Devisen erwirtschaftet werden können und der kubanische Peso nahezu wertlos ist. Hier liegt das größte Zukunftsproblem der kubanischen Wirtschaft. Wie kann vermieden werden, daß sich der Exportsektor von der übrigen Produktion abkoppelt?
Nehmen wir an, es gelingt mit Hilfe ausländischen Kapitals und unter Anwendung kapitalistischer Produktionsbedingungen einen weltmarktfähigen Exportsektor zu entwickeln. Dann wird es Arbeitsplätze erster und zweiter Klasse geben. Bereits jetzt gilt als Glückspilz, wer einen Job in der Tourismusbranche ergattern konnte. In dem Maß, in dem die Zahl besser verdienender KubanerInnen steigt (Prostitution, hohe Löhne in Joint-Venture-Betrieben, Schwarzhandel im Tourismusumfeld), stellt sich in wachsendem Maße das Problem eines adäquaten Angebots an Konsumgütern. Kann die steigende Kaufkraft nicht in höherwertige Güter umgesetzt werden, steigt die politische Unzufriedenheit. Wird dem Druck aber durch teure Importgüter nachgegeben, ergibt sich eine Aufteilung in Zahlungsfähige und weniger Zahlungskräftige – Gift für ein sozialistisches Gesellschaftsmodell.
Wie kann eine gleichgewichtige Entwicklung erreicht werden? Wie können Einkommens- und Konsumunterschiede in akzeptablen Grenzen gehalten werden? Die kubanische Regierung hofft wohl, mit Exporterlösen und Tourismuseinnahmen später auch die Binnenmarktproduktion wieder in Schwung zu bekommen. Daß dies ausreicht, wird von nahezu allen Sympathisierenden) ausländischen Beobachtern bezweifelt. Sie weisen auf eine ganze Reihe von Schwachstellen der kubanischen Ökonomie hin, die unter Weltmarktbedingungen nicht länger toleriert werden können.
So beklagt Andrew Zimbalist das Fehlen einer ökonomischen Produzentenkultur, eines sozialen Bewußtseins gegenüber der Qualität und einer Bevölkerung die sich mit Vorgaben der Politik identifiziert. Für einen nicht genau zu bestimmenden Teil der Bevölkerung sei in der gegenwärtigen Krise die Orientierung an bisher gültigen Werten verloren gegangen.
Die zahlreichen Handelsvereinbarungen sind ökonomisch und moralisch ermutigend, In der Regel werden Barter-Geschäfte (Tauschhandel) vereinbart. Dies hat für beide Seiten den Vorteil, daß ein Produktentausch zustande kommt, ohne daß ein einziger Dollar das Konto wechselt. Dadurch werden zahlreiche Geschäfte überhaupt erst ermöglicht, die ansonsten am Devisenmangel der Beteiligten gescheitert wären. Andererseits ist eine moderne Gesellschaft auf Devisen als "Schmiermittel des universellen Tausches" unbedingt angewiesen. Will sagen, Devisenbesitz erlaubt das schnelle Reagieren, wenn irgendwo etwas hakt, klemmt oder fehlt. Barter-Geschäfte bedeuten eben immer die Beschränkung auf das, was der Partner gerade zu bieten hat. Sie können daher eine Ergänzung sein bieten aber niemals die Vorteile eines über Geld vermittelten Tauschgeschäfts.
Immer wieder wird die Frage nach einer Stimulierung der Binnenökonomie gestellt. Viele halten die Privatisierung kleiner und mittlerer Unternehmen für notwendig, um dort Effizienzzuwächse zu erzielen. Weiter wird betont, daß frühere Investitionen keine große Effizienz aufwiesen, d.h. Vergleichsweise niedrige Wachstumsraten hervorriefen.
Wie lange werden moralische Appelle und Verweise auf die ungünstige politische Konstellation die Kubaner bei der Stange halten? Wer heute Kuba besucht, wird junge Menschen treffen, die dem Sozialismusmodell vollkommen entfremdet sind. Er wir andere treffen, die voll und ganz dahinter stehen. Und er muß auch diejenigen anhören, die sagen: "So geht es nicht weiter. Castro muß weg. Was danach kommt, ist mir egal." Welche Stimmung sich durchsetzen wird, hängt m.E. Entscheidend von einem zufriedenstellenden Warenangebot ab. Zwar ertragen die KubanerInnen die Versorgungsmängel seit zwei Jahren mit einer bewundernswerten Geduld – dennoch erodiert die Legitimation des Sozialismus auch von dieser Seite.
Ungebrochen optimistisch sieht dagegen Außenminister Ricardo Alarcón in die Zukunft: "Zunächst einmal – Kuba wird überleben. Das verleiht unserer Bedeutung für Lateinamerika und für die gesamte Dritte Welt einen eue Dimension. Wir werden die Machbarkeit eines sozialistischen Weges unter den gegenwärtigen Bedingungen unter Beweis stellen. Wir werden beweisen, daß es einen legitimen, authentischen, autonomen Sozialismus gibt und daß wir trotz aller Blockaden in der Lage sind, eine unabhängige sozialistische Gesellschaft zu entwickeln." (Zit. Nach Poltical Affairs, 8/1992)
Anmerkungen:
1) Es gibt nach wie vor einen kleinen Privatsektor. Eine Zählung ergab, daß 1988 28.600 Menschen (1,1% der Beschäftigten) in Kleinbetrieben selbständig wirtschaften. Keine Anaben gibt es über den bereits damals existierenden "informellen Sektor" und den heute bestehenden Schwarzmarkt. (A.R.M. Ritter Perspectivas para el cambio economico y politico en Cuba durante los noventa, in Sinthesis 15/91)
(1a) Zucker-für-Öl-Swaps sind auch mit dem Iran (200.000 t / 280.000t) sowie mit Algerien und Libanon abgeschlossen worden (450.000 t / 630.000t).
2) Tatsächlich werden nur 20% der Weltzuckerproduktion (113 Mio. t) zu Weltmarktpreisen gehandelt. Zuckerpreise sind in der Regel politische Preise, d.h. Die großen Importeure (v.a. USA) zahlen ihren karibischen Lieferanten deutlich über dem Weltmarkt liegende Beträge. Daher kann in den russischen Vorzugspreisen keine Subventionierung oder versteckte Entwicklungshilfe gesehen werden. Es handelt sich dabei um weltweit übliche Gepflogenheiten.
3) ND berichtet am 2.2.1993, daß das italienische Unternehmen Benneton einige Verträge mit der kubanischen GmbH Tubanatan abgeschlossen habe. Acht Geschäfte sollen für Touristen Benneton-Chic bereit halten. Geplant ist außerdem eine Designerschule. Ab 1994 will der Mode-Konzern Konfektionswaren aus Wolle und Baumwolle auf der
4) Offensichtlich beteiligten sich zahlreiche andere
5) Mexikanische Hotelketten investieren in großem Stil. DSC wird 20 Mio. Dollar in ein Tourismus-Projekt in Santiago stecken. Posadas und Camino Real geben keine Auskünfte über ihre Vorhaben. Andere ausländische Interessenten sind Ramada, InterContinental, Lonhro Metropole Group sowie Club Mediterranee. (El Financiero, 24.8.1992) Jedes Jahr besuchen etwa 50.000 mexikanische Touristen Kuba; 1993 sollen es 70.000 werden.
6) Der US-Kommunikationskonzern AT&T ist nach verschiedenen Quellen ebenfalls sehr an Geschäftsvereinbarungen mit Kuba interessiert. Die Bush-Regierung blockierte allerdings Ansätze einer Zusammenarbeit. 1989 legte AT&T mit Regierungszustimmung ein leistungsfähiges Unterwasserkabel, das nie in Betrieb genommen wurde weil dieselbe Regierung Gebührenzahlungen an Kuba verhinderte.
7) PPG reduziert den Überschuß an unerwünschten LDL-Blutfetttransporteuren. Im Gegensatz zu allen anderen blutfettsenkenden Medikamenten greift es die erwünschten HDL-Cholesterine nicht an. Das Präparat basiert auf Grundlage primärer alipathischer Alkohole und seine Grundstoffe werden aus Zuckerrohr gewonnen.
8) 1986 wurde auf Kuba die erste AIDS-Erkrankung festgestellt. Bis heute sind 899 Infizierte registriert worden. 50% aller Infizierten sind zwischen 15 und 20 Jahre alt. Alle Erkrankten werden in speziellen Sanatorien untergebracht. Leo Burghardt hat mir einigen von ihnen gesprochen (ND, 20./21.2.93): "Fühlen sie sich von der Gesellschaft ausgestoßen? Die Antwort war überwiegend nein. Sie haben das Gefühl, daß die unauffällige, jedoch zugleich ständige ärztliche Kontrolle und Behandlung in einer angenehmen Umgebung mit dutzenden Möglichkeiten nützlicher Betätigung ihren seelischen Zustand eher stabilisiert." Für Lateinamerika und die Karibik wird die Zahl der HIV-Infizierten inzwischen auf knapp 2 Mio. geschätzt.
KUK, Berlin
analyse und kritik, 10.03.1993