Im Wettlauf mit der Zeit
In den Kuba-Berichten deutscher Zeitungen läßt sich heute noch nachvollziehen, was kalter Krieg ist. Denn dieser hat, zumindest für das derzeit ums Überleben kämpfende Kuba, noch lange nicht aufgehört zu existieren.
Das Land zieht den Zorn der Imperien auf sich, weil seine Existenz die Geschichte der Sieger beeinträchtigt und in Frage stellen könnte, indem es den lebendigen Beweis erbringt, daß anfallende gesellschaftliche Probleme auf anderem Wege als über den Markt und dessen Konkurrenz "freier Individuen" angegangen werden können, ja gerade deshalb lösbar sind. Es darf kein Exempel mehr für die Tatsache geben, daß Hunger eine soziale Frage ist, die vom Menschen hervorgebracht wurde, und daher von ihm auch wieder überwunden werden kann und daß eine relativ gleichmäßige Grundversorgung aller in den Bereichen Bildung, Gesundheit Wohnung, Kultur etc. selbst in einem armen Land möglich ist.
"Sozialismus oder Tod", die Parole Fidels, erregt die Gemüter nicht deshalb, weil sie keine Alternative zum Sozialismus anbietet, sondern, weil ihr Inhalt vom Wunsch kündet, einen eigenen Weg zur Lösung anstehender Schwierigkeiten zu suchen, und weil der Comandante selbst für die Verheißungen von ein paar Millionen nicht bereit ist, zur Sozialdemokratie zu konvertieren, wie es viele bürokratische Sozialisten Osteuropas vor ihm taten. Nein, er besitzt weiterhin die Dreistigkeit zu behaupten, daß die realexistierende Alternative Kapitalismus, zumindest im Trikont, gar keine ist.
Doch zu Optimismus besteht wenig Anlaß. Das Ende der RGW und der Zerfall der UdSSR haben ökonomische und politische Probleme Kubas drastisch verschärft, so daß Ende 1990 die "periodo especial" (besondere Periode) ausgerufen werden mußte. Das Ende des sozialistischen Kubas ist, so die fast einhellige Meinung außenstehender BeobachterInnen, damit nur noch eine Frage der Zeit.
Bereits 1990 verteilten Exil-KubanerInnen in Miami Sticker mit der Aufschrift "nächste Weihnachten in Havanna". Journalisten, Kubanologen und Exilanten liefern sich einen Wettlauf in Sachen "Post-Castro-Kuba". Das Herbeireden des Zusammenbruchs ist inzwischen kaum gebetsmühlenhafter als das von der unausweichlichen Krise des kapitalistischen Systems durch ehemalige K-Gruppen in Westeuropa.
Wenige nur machen sich die Mühe eines vergleichenden Blickes in den Süden des amerikanischen Kontinents. Aus Angst, den sozialen Inhalt dessen vorzufinden, was man Demokratie zu nennen pflegt. Gen Norden schweift der Blick öfter. Ins Wirtschaftswunder, in das jährlich Tausende KubanerInnen emigrieren. Dem reichen und mächtigen Nachbar, der jedem 10. Bürger Lebensmittelkarten geben muß, und der mit einer Million Inhaftierter die höchste Gefangenenrate der Welt vorweisen kann, zu deren Verwahrung er fast soviel Mittel ausgeben muß, wie der Wert des gesamten Sozialprodukts Kubas beträgt.
Über das erst momentan einzige sozialistische Land Amerikas wird seit den Umbrüchen in Osteuropa wieder vermehrt diskutiert. Es formieren sich neue Solidaritätsinitiativen mit den Schwerpunkten materielle Unterstützung und gegen die Boykott- und Subversionspolitik der USA. Auch innerhalb der Exilanten Miamis gibt es Gruppen, die sich gegen die US-Blockade aussprechen. Eine Exilgruppe mobilisierte bereits zu kleineren Demonstrationen in der Stadt und forderte verbesserte Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten sowie das Recht, finanzielle und humanitäre Hilfe an Familienangehörige in Kuba schicken zu dürfen. Punkte, die von der US-Regierung eingeschränkt werden.
Doch die Mehrzahl der Exilanten will, ebenso wie die offizielle Politik, die Gunst der Stunde nutzen und ein für alle mal das Land in die "freie Welt" zurückzuholen. Wie ernst sie es mit "Demokratie" meinen, zeigen folgende Ereignisse.
Am letzten Januarwochenende 1992 fanden in New York zwei Demonstrationen am selben Ort, zur selben Zeit und zum selben Thema statt. Auf der einen sprachen sich u.a. KünstlerInnen für die Entsendung humanitärer Hilfe nach Kuba aus und sammelten dafür Dollars. Auf der anderen protestierten Tausende, teils aus Miami eingeflogene Exil-KubanerInnen und einige US-Kongreßabgeordnete, gegen diese Aktion und kündigten die Intensivierung des politischen und ökonomischen Druckes auf die Insel an, um den Sturz Castros noch in diesem Jahr zu erreichen. J.M. Canosa, Vorsitzender der "Kubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung" (FNCA), mächtigste Lobby der Exilgemeinde in den Vereinigten Staaten, sprach sich gegen Hilfssendungen aus, da sie niemals das Volk erreichen würden und nur dazu dienen könnten, Castros Position zu festigen und die Agonie des Kubanischen Volkes zu verlängern. (El Pais, 26.1.92, S. 5) Doch es wird nicht nur demonstriert.
Einen richtigen Krieg
Während in des Sümpfen Floridas Exilanten wieder verstärkt für Interventionen und Sabotage in Kuba trainieren, bietet das "Research Institute for Cuban Studies" (USA) unter dem Motto "Planning for Change in Cuba" seine Dienste an. Ein Vorschlag für den "ökonomischen Wiederaufbau" nach Eliminierung des kommunistischen Systems liegt in Buchform bereits vor. Eine in der Schweiz ansässige Consulting, deren Ziel es ist, aus einer möglichen "Neuordnung" Kubas Kapital zu schlagen, verspricht Riesengewinne und verweist dabei auf die I.G. Farben in Liquidation. Canosa verkauft für 10.000 US-Dollar im Jahr "Optionsscheine für ein freies Kuba", mit denen sich Geschäftsleute ein Stück Mitbestimmung – z.B. bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung – erwerben können. "Kubanologe" J. Suchlicki ließ bereits ein Kataster der Eigentumsverhältnisse von 1959 erstellen. Private Fluglinien nehmen Reservierungen für Flüge zur "Stunde Null" in Höhe von mehreren Tausend Dollar entgegen, Cuppies (Kubanische Yuppies) werden auf ihren Einsatz trainiert. Unter Maklern in Miami herrscht Goldgräberstimmung und Gewinnerwartung aus Bodenspekulationen werden hochgerechnet. (FR 11.5.92, S.6)
Rodolfo Fromenta, Comandante der terroristischen !Alpha 66!, brüstet sich damit, in den letzten Jahren 27.000 Mann für eine Invasion gegen Kuba ausgebildet zu haben. Tony Cuesta, Chef des "Comando L", der schon mehrmals illegal in Kuba eindrang und verhaftet wurde, möchte gerne "einen richtigen Krieg" gegen die Insel. Vertreter von vier paramilitärischen Organisationen behaupten, ihnen seien 1991 rund 33 "Expeditionen" nach Kuba gelungen.
Eine Radiostation von Exilanten "Radio Mambi" fordert, ebenso wie 15 militante Exilorganisationen, von US-Präsident Bush die Annulierung des Gesetzes, das in den USA lebenden Personen untersagt, bewaffnete Aktionen und Angriffe gegen ein Land zu unternehmen, mit dem sich die Pupermacht nicht im erklärten Kriegszustand befindet. (ND 9.3.92 S.5)
Erwähnter Canosa, Multimillionär da "erfolgreicher Geschäftsmann", wird allgemein als aussichtsreichster Kandidat für das Präsidentenamt eines "gewendeten Post-Castro-Kubas" angesehen, Sein Einfluß ist hoch, seine Kontakte sind weitläufig. Er finanzierte beispielsweise schon 1989 eine Reise Jelzins in die USA (um Einfluß auf die UdSSR zu nehmen, damit diese die Handelsbeziehungen für Kuba verschlechtere) und unterhält in Moskau ein Büro. Er gab der Öffentlichkeit bekannt, daß sein Verein die finanziellen Möglichkeiten besäße, halb Kuba aufzukaufen. Vorauseilend wie der ehemalige Schweinebuchtveteran ist, verhandelte er bereits mit europäischen Magnaten und der Wall Street.
Verstärkte Blockade
Doch bevor die eigenen Geschäfte beginnen können, müssen sie für andere erst einmal gestoppt werden. Die seit 31 Jahren bestehende US-Wirtschaftsblockade verhindert nicht nur den direkten Austausch beider Staaten, sondern behindert auch massiv Kubas Außenhandel mit anderen Ländern. So ist der Import beliebiger Waren aus Drittländern in die USA untersagt in denen kubanisches Nickel enthalten ist; Kanadische Getränkehersteller müssen in für die USA bestimmten Lieferungen nachweisen daß kein kubanischer Zucker darin enthalten ist; das Gesetz verbietet US-Touristen auf Kuba Dollars auszugeben; und immer wieder werden einzelne Firmen oder Länder unter Druck gesetzt, die mit Kuba wirtschaftliche Beziehungen unterhielten oder anstrebten. (1) (FR 21.4.92, S. 5; BZ 22.11.91)
Nicht nur die FNCA unterstützt parlamentarische Versuche, die bestehende Blockade gegen Kuba noch zu verschärfen. Das "Mack-Amendment" fordert ein Verbot jeglichen Handels, der von US-Konzernen über Tochtergesellschaften via Drittländern nach Kuba abgewickelt wird (ein Geschäft, welches nach dem Zusammenbruch des Osthandels stark anstieg und sich 1991 auf mehrere hundert Mio. US-Dollar belief). Noch weiter geht eine Vorlage des Kongreßabgeordneten R. Toricelli (Demokraten) der nicht nur Sanktionen gegen alle Firmen, die mit Kuba handeln, fordert sondern ebenfalls die Einstellung von US-Hilfen für all jene Länder erwirken will, die mit Kuba eng zusammenarbeiten.
Bush kündigte vorsorglich sein Veto gegen ein solches Gesetz an. Sicherlich nicht, weil (wie nach einer jüngsten Umfrage bekannt wurde) die Mehrheit aller US-AmerikanerInnen sich für normale Beziehungen mit Kuba aussprechen und fast ein Drittel angibt, daß die karibische Insel keine Bedrohung mehr für sie darstelle. Vielmehr deshalb, weil sich der Präsident im Klaren sein dürfte, daß ein solches Gesetz niemals durchgesetzt werden könnte, ohne sich in offen imperialer Herrenmanier in die Angelegenheiten befreundeter Staaten einzumischen. Denn zu wichtigen Handelspartnern Kubas gehören heute neben Westeuropa auch die beiden Länder mit denen ein nordamerikanischer Markt geplant wird, Kanada und Mexiko. Kanadas Regierung erließ schon 1991 eine Anweisung, einem solchen Gesetz nicht Folge zu leisten und über Drohungen zu berichten.
Der US-Präsident lehnt jedoch Verschärfungen nicht grundsätzlich ab. Am Osterwochenende '92 ordnete er an, daß in Zukunft im Kuba-Handel verkehrende Schiffe US-Häfen nicht mehr anlaufen dürfen, es sei denn, sie können eine Sondergenehmigung des Washingtoner Finanzministeriums vorweisen. Zweck dieser Maßnahme, so ein US-Beamter, ist die Behinderung Kubas bei seinen Bemühungen nach Handelsausweitung und einem Ausbau des Kreuzschifffahrtstourismus.
Als im januar diesen Jahres der "Miami Herald" ein Editorial veröffentlichte in dem er sich gegen eine verschärfte Blockade aussprach, ließ die Reaktion nicht lange auf sich warten. Canosa, "Caudillo in spe" (taz, 26.10.91, S. 18) beschuldigte die Zeitung, ein Werkzeug Castros zu sein. Anhänger seiner Denkrichtung starteten kleinere Sabotageakte und Bombendrohungen gegen das Blatt und seine Mitarbeiter. Inzwischen fahren in der Stadt 60 Busse mit der Aufschrift "I don't beleive the Miami Herald" umher; eine Medienkampagne in Funk und Fernsehen gegen die Zeitung wurde angekündigt (The Economist 28.3.92, S.53). Selbst innerhalb der Exilgemeinde gibt es Differenzen über diese Gesetzentwürfe. Ein Politiker sprach sich für das Konzept "Wandel durch Handel" aus und verglich das Toricelli-Gesetz mit dem Platt-Amendment. (2)
Trotz des erwähnten Stimmungswandels der Bevölkerung in den USA, trotz erstmals laut werdender Kritik am Wirtschaftsboykott durch diverse US-Firmen (3), will die vorherrschende Politik der USA die Konfrontation nicht beenden. Man will kein reformiertes Kuba sondern fordert ein ergebenes Land das für die Herausforderung im Hinterhof des mächtigen Imperiums zu bezahlen hat. Auf einem Colloqium von "Kubanologen" an einer Universität in Washington berichtete ein Beteiligter über fundamentale Veränderungen, die in Kuba stattfänden (z.B. in der Außenpolitik ein Ende der militärischen Afrikapolitik und der Unterstützung von Befreiungsbewegungen), doch in den USA würde dies niemand registrieren. "Kuba könne machen, was es wolle, Washington werde seine Forderungen immer weiter hochschrauben, denn es ist auf Crash aus". (ND 23.3.92, S.5)
Im März 1992 verglich Bush auf einer Veranstaltung zur US-Präsidentschaftswahl Castro mit Stalin, und er sprach davon, sich darauf zu freuen, der erste Präsident der USA zu werden, der seinen Fuß auf ein ("freies") Post-Castro-Kuba wird setzen können. Sein rechter Rivale Pat Buchanan erklärte im Februar 1992, daß er sich im Falle seiner Wahl zum Präsidenten nicht um eine Intervention drücken werde. In der "Berliner Zeitung" könne wir von Gerüchten, wie sie in Washington kursieren, über mögliche Militäraktionen noch vor der Wahl lesen. Mögliche Ziele: Kuba, in einer Reihe mit dem Irak und Libyen. (BZ 7.3.92, S.2)
Aufholjagd
Diese "Demokraten" verschaffen uns eine Vorstellung von den Folgen einer Eliminierung des jetzigen Systems auf Kuba. Ihnen geht es um die Einführung des in Lateinamerika "bewährten" Kapitalismus. Nicht um "freie Wahlen", sondern um die Abwahl des Sozialismus (den sie, selbst als er "frei" gewählt wurde, niemals akzeptieren, Bsp. Chile); nicht um ein Mehrparteiensystem an sich, sondern um das Ende der KP Kubas. Man wünscht einen besiegten Castro als Strafe für die drei Jahrzehnte erfolgte Provokation der Supermacht USA.
Zur Bildung der "öffentlichen Meinung" über Kuba und damit auch der präventiven Rechtfertigung von Unternehmungen, die sich gegen das Land richten, wurde und wird gerne von der Realität abgesehen.
Die bestgehandelten Schlagworte sind Ineffizienz, Mißwirtschaft, Steinzeitkommunismus. Auch große Teile der deutschen Presse mischen dabei kräftig mit.
Am 29.12.91 berichtete C.D. Goerdeler in der "Zeit", daß inzwischen jeder auf Kuba wisse, daß die Tage des "Bärtigen" gezählt seien. Zuvor bescheinigte er der kubanischen Entwicklung innerhalb von wenigen Monaten den Sprung vom "Steinzeit-Sozialismus auf der Zuckerinsel" (so der Tagesspiegel vom 18.7.91) zum Steinzeitkommunismus", in den Kuba versinken würde ("Zeit" 11.10.91). Den KubanerInnen gehe es heutzutage schlechter als vor der Revolution (ebd.). Wer so weit nicht gehen will, erwähnt einige Errungenschaften der Revolution, bewertet sie aber entweder als gering, außenfinanziert oder kontraproduktiv (die Gleichmacherei beispielsweise).
Was diese Kommentatoren eint, ist ihr eigener Wettlauf mit der Zeit. Sie wissen es alle: Der Sozialismus hat versagt, ist ein Auslaufmodell. Um zu zeigen, daß sie selbst auf der richtigen Seite der Geschichte stehen und es schon immer gewußt haben, zeichnen sie ihr Objekt in den schwärzesten Farben, die zulässig erscheinen. Die Unverbesserlichen, die noch immer an den überholten Dingen festhalten, sind selbst überholt durch den unaufhaltsamen Lauf der Geschichte. Jeder will der Erste sein der es vermelden kann: Castro am Ende, Kuba wird kapitalistisch denn für eine andere Alternative gibt es wahrlich keinen Platz mehr auf dieser "einen Welt". Jeder will es eigenhändig faxen können mit dem Zusatz, es schon immer vorhergesagt zu haben.
Auch D. Hoffmann nähert sich in seinen Artikeln in den Lateinamerika-Nachrichten (LN 211 und 212) dieser Tendenz an. Für ihn ist Kuba "auf dem Weg in eine Agrargesellschaft auf dem technologischen Niveau des vorherigen Jahrhunderts" (LN 211, S.36). Schenkungen von Öl, wie sie in einem von ihm kritisierten Aufruf der Solidaritätsbewegung propagiert werden, können seiner Meinung nach "die Agonie auf der Insel nur verlängern" (LN 212, S.23). Da Kuba angeblich ein Ressourcen verschwendendes Wirtschaftsmodell besitzt, sei es folglich vergebens zu spenden, zumal wenn hinzukomme, daß jedes Faß Öl nur die "Ein-Personen-Herrschaft" (ebd.) Castros fördere und sich gegen die Interessen der Bevölkerung richte. J.M. Canosa läßt grüßen. Statt dessen müßten, so Hoffmann, alternative Kleinprojekte gefördert werden, denn sie entsprächen dem, was wir hier in Europa für richtig erachten. Das erinnert an BMZ oder Caritas und erlaubt den Spendern im nachhinein genaue Kontrolle über das Objekt ihrer "Hilfe".
Die Zeiten europäischer Besserwisserei dauern schon etwas länger. Als Mitte der 80er Jahre in der UdSSR Reformen auf die Tagesordnung gesetzt wurden, begannen westliche AutorInnen damit, das zu fordern, was sie zuvor immer unterstellten und verurteilten. Kuba solle, da es ein abhängiger Staat sei, dem Kurs der Reform unverzüglich Folge leisten. Sonst wäre seine Zeit gekommen. Fidel Castro, Gegner der Perestroika, wurde fortan als "Dinosaurier" bezeichnet, der sich gegen das "Rad der Geschichte" stemme. Es waren sowohl RatgeberInnen, die sich von der Politik Gorbatschows einen erneuerten Sozialismus versprachen als auch jene, welche die Herrschaft des Marktes für ein Naturgesetz hielten. Im Laufe der Jahre reihten sich auch KritikerInnen aus Osteuropa in diesen Chor ein. Betrachtet man heute die Weltkarte, muß man zu dem Schluß kommen, daß, vom Blickwinkel eines souveränen Landes betrachtet, der Weg Kubas der erfolgreichere war. Noch 1989 schrieb P. Gey: "Früher oder später wird der frische Wind aus der Sowjetunion auch die Karibik erreichen und erstmals in der Geschichte der sowjetischen Außenpolitik Reformen mit sich führen." (4)
Neben der Wirtschaftsmisere ist in der Berichterstattung der Medien das subjektive Empfinden des/r JournalistIn oder eineR von ihm/ihr befragten KubanerIn herausragendstes Merkmal.
Diese Art der Betrachtungsweise treibt daher oft seltsame Blüten und behindert, zusätzlich zur schwierigen Informationslage, die Herausarbeitung einer "ausgewogenen" Postion besitzt aber einen entscheidenden Vorteil: man kann die Dinge so erzählen (lassen), wie sie am besten in eigene Argumentationsmuster passen:
1. Während ein Redakteur der BZ (28.12.91) von einem stinkenden, verfallenden Havanna redet, berichtet die NZZ (21.2.91) noch von einer Hauptstadt, die im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Städten "fast durchweg sauber und aufgeräumt" ist. Brasilianische Touristen kämen in wochenlang vorher ausgebuchten Flügen, weil ihre Strände im Unterschied zum eigenen Land "sauber, natürlich und ungefährlich" sind.
2. Um zu betonen, wie repressiv die Regierung sei, erwähnt S. Purcell (Foreign Affairs 1/92, S.135), daß die Regierung keine Kontakte zwischen KubanerInnen und TouristInnen erlaube. In der FR (27.3.92) dagegen kann man lesen, daß durch Havanna schlendernde Paare von KubanerInnen und Touris ganz offensichtlich von Ausweiskontrollen verschont bleiben. Warum? Weil der Regierung unterstellt werden soll, sie fördere die Prostitution.
Die schwierige Anpassung an den Weltmarkt
Das Ende der UdSSR hat die wirtschaftliche Krise Kubas verschärft, die durch den Wegfall der größten Ex- und Importmärkte und einen Einbruch der terms of trade im (bedeutendsten) Austausch von Zucker gegen Öl gekennzeichnet ist und die Lieferung von notwendigen Ersatzteilen, fast zum Erliegen brachte. Es kursieren Zahlen über die Höhe des zurückgegangenen Sozialprodukts um bis zu 24% für 1991.
Das Land ist zu drastischen Rationierungen, Einsparungen bei Dienstleistungen und Stilllegungen von Fabriken gezwungen. Devisen fehlen an allen Ecken und Enden. Vorfinanzierungen wären nötig, sind aber kaum noch möglich. (5) Es gibt keine Alternative zur Ersetzung von Importen durch eigene Produkte, zu einer Internen und externen Umstrukturierung von Märkten, während das Land gleichzeitig der äußeren Bedrohung widerstehen muß, ohne die Politik der garantierten Minimalversorgung aufzugeben.
Zu solchen Umstrukturierungen ist Kuba nicht das erste Mal gezwungen. Doch im Gegensatz zur Situation in den Anfangsjahren der Revolution gibt es in der heutigen "neuen Weltordnung" kein Land mehr, das bereit und in der Lage wäre, den verlorenen Haupthandelspartner zu ersetzen. 1991 reisten monatelang Beauftragte Kubas durch die UdSSR, um neue Verträge auszuhandeln. Eine mühselige Aufgabe, die oftmals, konnte mit einem Betrieb oder einer Institution ein Abkommen erzielt werden, durch die Auflösung derselben Behörde, des Betriebes, am Ende des gesamten Staates zunichte gemacht wurde. Mit mehreren GUS-Staaten kamen Verträge für 1992, teilweise längerfristig, zusatnde. Doch der Gesamtumfang ist gering und die Konditionen für Kuba sind schlecht; d.h. Sie sind auf Weltmarktbedingungen oder darunter angekommen.
Für Kuba bringt der bewußte Versuch und der Zwang zur Eingliederung in den kapitalistischen Weltmarkt zwar auch Vorteile, beispielsweise eine höhere Qualität von Importprodukten (6), die Nachteile jedoch, v.a. Geringere Einnahmen beim Hauptexportprodukt Zucker, überwiegen. (Es wird mit einer Halbierung der Exporterlöse gerechnet.) Zudem werden Kuba, anders als anderen ehemaligen RGW-Ländern, weder Milliardenkredite noch Schuldenerlasse angeboten, und es bleibt weiterhin der US-Blockade unterworfen.
Ein Dilemma Kubas besteht darin, daß auf der einen Seite neue Absatzmärkte für Exporte erst "erobert" werden müssen, auf der anderen Seite neue Lieferanten gefunden werden müssen. So läuft beispielsweise eine erst kürzlich fertiggestellte Ölraffinerie mit nur zehnprozentiger Auslastung, da weniger Öl als erwartet importiert werden konnte, und das sowjetische Personal, das beim Aufbau half und im Betrieb mitarbeiten sollte, abgezogen wurde. Es wird deshalb mit verschiedensten lateinamerikanischen Ländern verhandelt, um freie Verarbeitungskapazität gegen Öl zu tauschen. Zemmentfabriken arbeiten nur zu 30%, weil Energie und Absatzmärkte fehlen. (Proceso 7.10.91 S.43).
Ein ähnliches Bild ergibt sich aus Angeboten kubanischer Unternehmen an Firmen in der BRD. Eine Akkumulatorenfabrik sucht Rohmaterialien, ebenso eine Textilfabrik, die Inputs benötigt und Kapazität anbietet. Daneben werden Erntemaschinen und medizinische Geräte offeriert.
Wege aus der Krise
Einer der wenigen, bekanntgewordenen neuen Kredite wird von Mexiko gestellt, das sich in punkto Kuba nicht vollständig der US-Linie unterworfen hat. Um trotz Devisenmangels den Austausch beider Länder zu fördern, wurde von einer mexikanischen Bank ein Kredit über 300 Mio. US-Dollar bereitgestellt, der als rotierender Fond genutzt werden kann. (Proceso ebd.)
Joint-Ventures und andere Formen internationaler Kooperation werden propagiert, denn man erhofft sich dadurch den Zugang zu Technologie, Know-How und Märkten, sowie einen Ersatz für die unzähligen Projekte osteuropäischer Länder. Auf einer Messe, die im November in Havanna stattfand, wurden mit 80 Firmen Verträge und Absichtserklärungen über Joint-Ventures und Kooperationsabkommen geschlossen, weitere Angebote werden geprüft )GRS 17.11.91, S13).
Nach neuesten kubanischen Angaben ist in Prioritätssektoren der Wirtschaft im ersten Quartal 1992 eine Erholung eingetreten. (7) Neben dem Tourismus, dessen Einnahmen (und soziale Probleme) Auch dieses Jahr steigen werden, und der Biotechnologie ist die Lebensmittelproduktion ein weiterer Schwerpunktbereich. Mittels neuer und diversifizierter Anbauflächen, erhöhter Selbstversorgung von Betrieben und verbesserter dezentralisierter Verteilung soll mittelfristig eine ausreichende Ernährung der Bevölkerung erreicht werden. Der Aufwand ist hoch (momentan regelmäßig 20.000 Mobilisierte), um die ersten Erfolge zu verzeichnen; eine um 11% gestiegene Lebensmittelproduktion und eine verbesserte Versorgung der Metropole Havanna. Doch der gesamtwirtschaftliche Einbruch ist noch nicht an einem Wendepunkt angelangt.
Neben Umbau und Wiederinbetriebnahme von Fabriken ist die Weiterentwicklung bestimmter Nischentechnologien (Medizintechnik, Informatik, Zuckerderivate, Biotechnologie, letztere oft gekennzeichnet von für uns unvorstellbarer Fortschrittsgläubigkeit) ein prioritärer Bereich dessen Entwicklung von der Bildungs- und Investitionspolitik der letzten Jahre erst ermöglicht wurde. Man bemerkt, daß auf dem Weltmarkt eine weitgehende Spezialisierung erforderlich ist, um bestehen zu können. Hinzu treten Probleme bei der Kommerzialisierung von Produkten. "wir müssen agiler und schneller sein", so der Direktor eines biotechnologischen Forschungszentrums. Es fehlen Erfahrungen in Werbung, Förderung und Handelsführung. Daneben existieren natürlich dieselben Schwierigkeiten, die jedes kleine Land der Dritten Welt mit der protektionistischen Politik der Industrieländer und den Zahlungsschwierigkeiten anderer armer Länder hat, bei gleichzeitigem Wettbewerb mit ungleich stärkeren transnationalen Konzernen.
Szenenwechsel
Was hat der Sozialismus auf Kuba erreicht? Eine geradezu ketzerische Frage. Denn mit dem Wort und seiner Negativsteigerung Kommunismus wird heutzutage nur noch Mißwirtschaft verbunden. Zugegeben, die Versorgungslage ist momentan äußerst angespannt und die Gefahr von Revolten nimmt zu.
Die momentan äußerst knappen Lebensmittel sind weniger das Ergebnis einer grundsätzlich verfehlten Politik bzw. deren Ineffizienz (obwohl bekannt ist, daß eine hoher Prozentsatz an Lebensmitteln bei Verteilung und Lagerung abhanden kommt und verrottet), sondern vor allem Folge des relativ schnellen Abbruchs eines Großteils der Handelsbeziehungen Kubas bzw. deren Umstellung auf Weltmarktbedingungen.
C. Aldana (Mitglied des Politbüros) erklärte in der Parteizeitung "Granma", daß jedes andere Land, das in so kurzer Zeit vergleichbaren Einschränkungen hinnehmen müßte, sozial explodiert wäre. (Resumen Semanal, GRS 9.2.92, S.8)
Was unterscheidet Kuba von den anderen Ländern?
Es sind vor allem zwei Dinge. Zum einen gibt es weder die prall gefüllten Schaufenster kapitalistischer Supermarktparadiese, noch die sich ihr bedienende, reiche Mittel/Oberschicht. Es existieren keine edlen Geschäftsstraßen in Havanna, deren Zutritt für die verarmten Massen Lateinamerikas allein mittels der unsichtbaren, aber unüberwindbaren Mauer Geld, geregelt wird. Dafür sieht man in Havanna noch immer weniger zerlumpte Elendsgestalten als in mancher Großstadt Europas.
Dies führt zum zweiten wichtigen Unterschied, dem Fehlen typisch neoliberaler Schockprogramme. Die Austeritätsmaßnahmen, die in Kuba eingeführt werden mußten, sind nur selten Maßnahmen gewesen, die sich über Subventionsabbau, Arbeitslosigkeit Verteuerungen usw. vor allem gegen die Armen richteten. Weiterhin wird versucht, das Wenige, was es gibt, so zu verteilen, daß allen das Notwendigste zur Verfügung steht. Auch wenn fehlende Importmöglichkeiten größere Löcher ins soziale Netz rissen, bleibt der Wunsch bestehen, die Erfüllung von Grundbedürfnissen als ein allgemeingültiges Recht anzusehen, dessen Erwerb nicht an den Besitz einer bestimmten Menge Geld gekoppelt ist, wie dies in kapitalistischen Ländern der Fall ist.
Noch immer genießt Fidel ein hohes Maß an Ansehen und Vertrauen in Kuba, das sich u.a. auch auf den kubanischen Sozialismus (8) gründet, der den Menschen erstmals zu einer eigenen Identität und Würde verhalf; der die vorrevolutionären Zustände von exzessiver Korruption und Militärputschen überwand und den Armen Hoffnung gab, indem er den Kreislauf von Armut und Unterentwicklung aufbrach. Das revolutionäre Kuba hat im Laufe seiner 30jährigen Geschichte mehr Reformen durchgeführt als der Kapitalismus in 100 Jahren, so eine offizielle Antwort auf stetig die außen vorgetragenen Forderungen nach Umgestaltung.
Kuba ein Paradies? Beileibe nicht. Es existiert Machismo, Rassismus, Privilegierung (wenn auch von geringerer Qualität als in anderen Ländern). Offensichtlich ist die eingeschränkt-partizipatorische Funktion von Massenorganisationen, schlecht die Presse. Es fehlen die eigenständigen Gewerkschaften, und trotzdem haben die ArbeiterInnen bessere Bedingungen als in vielen kapitalistischen Ländern (kein Druck durch Arbeitslosigkeit, ein Monat Jahresurlaub, Miete max. 10% des Einkommens etc.). Obwohl es keine unabhängige Frauenbewegung gibt, muß keine Frau gegen ein Verbot der Abtreibung auf die Straße gehen. Es gibt keine Bauernmärkte mehr, aber es muß auch niemand gegen Vertreibung kämpfen, sich mittels Saisonarbeit über Wasser halten. Für KooperativistInnen gibt es neben einem geregelten Arbeitstag eine gesicherte Rente. Die Versorgung mit Bildung, Gesundheitsdiensten, Kultur und Sport muß hinzugezählt werden, um zu verstehen, was die Menschen zu verlieren hätten. Sollten die Exilanten und die USA Kontrolle über das Land erlangen, es auf lateinamerikanische Verhältnisse zurückwerfen und einen sozialen und politischen roll back einleiten. Da viele KubanerInnen ihre Wohnungen besitzen, gäbe es für sie auch hier nichts zu gewinnen sollte die von J.M. Canosa propagierte Eigentumsrückübertragung auf vorrevolutionären Stand gelingen.
Von großer Wichtigkeit für den immer noch politisch stabilen Zustand ist das Fehlen einer wirklichen Alternative. Die Opposition, die im Ausland mehr als in Kuba beachtet wird, hat weder Persönlichkeiten, noch Programme oder neue Modelle zu bieten. Der "Dritte Weg" von dem viele EuropäerInnen wider sprechen, existiert nur als Wunschtraum.
Die veränderte Zuckerökonomie
Entgegen der allgemein geäußerten These, daß sich Kubas Abhängigkeit vom Zucker quantitativ nicht gemindert hätte (9), hat sich ihr Inhalt qualitativ verändert. Kuba ist heute kein Land mehr, in dem, wie vor der Revolution ein isolierter Zuckersektor (von US-.Technologie betrieben) extensiv bewirtschaftet wird. Dessen mangelnde Intensivierung bei Anbau und Ernte hatte lange dafür gesorgt, daß eine riesige Anzahl nur saisonal beschäftigter Landarbeiter (deren Lohn in schlechten Jahren an Weltmarktpreise gekoppelt war!) zu geringen Löhnen schnitt verlud und verarbeitete (was heute noch in vielen vergleichbaren karibischen Ländern der Fall ist) Im Zuge der Revolution wurde die Ernte des Zuckerrohrs mechanisiert, was nicht nur zu stabileren und qualifizierteren Arbeitsverhältnissen führte (heute kann mit einem Fünftel an Arbeitskräften eine um ca. 50% erhöhte Menge an Zuckerrohr geerntet werden), sondern auch eines der Fundamente für die Verbesserung der zuvor erbärmlichen Lebensverhältnisse legte. Darüber hinaus wurden Erntemaschinen und Verarbeitungsanlagen in Kuba entworfen und gebaut. Neben der Herstellung einer breiten Palette von Zuckerrohrnebenprodukten (Spanplatten, Biogas, Viehfutter … insgesamt 36 Produkte), deren Durchbruch 1963 begann und deren Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind kooperierte Kuba im Rahmen von Süd-Süd Hilfe mit 23 Trikontländern in den Bereichen Technologie, Fachkräfte und Ausbildung (10).
Der Zuckersektor verlor seine Anrüchigkeit und hörte auf, ein technologisch isolierter Bereich, eine Ökonomie die auf der einen Seite Paläste und Zuckerbäcker nährte, aber ebenso den Habenichtsen auch noch Land und Nehrung entzog und ihnen keinerlei Perspektive versprach, zu sein.
In einem kürzlich erschienenen Überblick über die Lage von Umwelt und Entwicklung (Latin American Special Report, London, 4/92) läßt sich nachvollziehen, welch großen Teil von sozialen Problemen die Karibikinsel hinter sich gelassen hat. (Die Zahlen beziehen sich auf die Zeit vor der "periodo especial")
- In keinem anderen Land Lateinamerikas ist das Verhältnis von erwartetem Bevölkerungswachstum, Anstieg des Ackerlandes sowie der durchschnittlichen Kalorienversorgung so günstig wie in Kuba. (11)
- Nur in Uruguay wird bis zum Jahr 2000 die städtische Bevölkerung weniger wachsen als in Kuba; in Brasilien und Kuba ist die Versorgung mit Wohnraum besser als in jedem anderen Land.
- In elf Ländern wird, unter gleichbleibenden Bedingungen, der existierende Wald in weniger als 50 Jahren ageholzt sein. Kuba hat das günstigste Verhältnis (dort würde es über 1.000 Jahre dauern).
- In Bezug auf Zugang zu fließendem Wasser liegt Kuba nicht in einer Spitzenposition; doch allgemein gute Bedingungen und der Zugang aller zum Gesundheitssystem führt, neben Costa Rica, zur niedrigsten Rate von Todesfällen durch Infektionskrankheiten und Parasitenbefall.
Es gibt keine Alternative zur Revolution. (Fidel 1991)
Nur wenige Menschen außerhalb Kubas bemerken, daß auf der "Insel stalinistsicher Seeligkeit" (so "ostdeutsche Handelsexperten" im Handelsblatt, 13.12.90, S.8) Veränderungen vor sich gehen. (12) Dazu gehört eine breitere Diskussion innerhalb der Kommunistischen Partei, zukünftig direkt ausgeführte Wahlen zu den Provinz- und der Nationalversammlung bei gleichzeitiger Zulassung von oppositioneller Einzelkandidaten und Veränderungen an der Basisstruktur der "poder popular" (Volksvertretung, Teile von Handel und Produktion werden dezentralisiert. Die Weltmarktanpassung und eine steigende Zahl von Joint-Ventures und Kooperationen führen zwangsläufig zu einer Internalisierung bestehender kapitalistischer Mechanismen. Im Landwirtschaftsbereich wird der Gebrauch von Chemie reduziert und die Anwendung anderer Mittel erprobt. In der Medizin werden Medikamente auf pflanzlicher Basis wiederentdeckt. LKW- und Autofahrer werden aufgefordert, Anhalter mitzunehmen, und aus Material- und Energiemangel wird das Fahrrad als Alternative propagiert. Auch Anstrengungen im Bereich alternativer Energiegewinnung werden verstärkt gefördert. Vieles davon entspringt nicht aus einem der Überflußgesellschaft entspringendem Ökologismus, sondern kruder ökonomischer Notwendigkeit.
Vielleicht konnte ich deutlich machen, daß der Sozialismus auf Kuba, allen Fehlern zum Trotz, die Lösung drängender Probleme ermöglichte und ebenso die Chance bietet, wenn auch nach einer langen und entbehrungsreichen Austeritätsphase, viele der jetzigen Probleme zu läsen.
Momentan geht es in Kuba ums Überleben. Doch die Möglichkeit besteht daß aus der Herausforderung gegenüber dem Weltmarkt und dem Zwang eigene Modelle zu entwickeln, ein verändertes Kuba entsteht, daß die "besondere Periode" sich in einen "besonderen Anrei" verwandelt (so die kubanische Zeitschrift "Bohemia"), der genügend Kraft entfaltet, um einen Weg in Richtung Ökotopia einzuschlagen. Einen Entwicklungsweg, der weiterhin "den Ländern mit freien Marktwirtschaften auf dem Felde der ökonomischen und sozialen Rechte überlegen ist".(13)
Unter der Einschränkung, daß das kubanische Modell nicht einfach übertragbar ist, folgert G. Koschwitz, Mitarbeiter der "Fördergesellschaft für angepaßte Technologie in der Dritten Welt" (FAKZ): "Wenn es Kuba gelingt, aus der augenblicklichen extrem kritischen Situation mit eigenen Kräften einen Entwicklungsweg zu beschreiten, so kann Hoffnungsträger für viele Länder der armen Welt werden." (14)
Anmerkungen:
1) Eine brasilianische Firma unterließ deshalb den Einstieg bei der kubanischen Fluggesellschaft Cubana. In anderen Fällen, z.B. bei großen europäischen Tourismusbetrieben, zeigte dies nicht immer eine so eindeutige Wirkung. In den letzten Wochen wurde in neuer Fall bekannt; die USA setzte Indien unter Druck einer Nachfrage Kubas nach Lebensmittellieferungen nicht nachzukommen.
2) Dies war ein 1901 von den USA erzwungener Zusatz zur kubanischen Verfassung, der die Souveränität Kubas einschränkte und der Hegemonialmacht ein Interventionsrecht zusprach.
3) Angesichts verstärkter Investitionen europäischen und lateinamerikanischen Kapitals bleibt den US-Betrieben der profitable, neue Markt weitgehend verschlossen; direkte Investitionen verbietet die USA, Nichtsdestotrotz gab es 1991-92 allein 14 Rundreisen nordamerikanischer Unternehmer, die den neuen Markt sondieren wollten, so verlautete es aus der Kubanischen Außenhandleskammer.
4) P. Grey S.67 in ; K. Fritsche. Verlorene Träume, Stuttgart 1989. Wie schnell aus frischen Winden Stürme werden können, zeigen Bürgerkriege und Carepakete in Osteuropa.
5) Da Kuba seit 1986 die Zahlung seiner Devisenschuld nahezu eingestellt hat erhält es kaum noch Kredite. Eine Unterordnung unter die Vorschriften des IWF wird weiterhin strikt abgelehnt.
6) Das gilt nicht nur für Konsum, sondern auch für Investitionsgüter. Bestes Beispiel die Nickelindustrie, die 1990 zu weniger als 70% arbeitete, wurde 1991 wegen Energie- und Ersatzteilmangel noch weniger ausgelastet. Eine Folge sind geringere Exporterlöse. Unsicherheiten bei Öllieferungen behindern auch weitere Planungen über den Aus- und Umbau der Produktion, u.a. existiert das Vorhaben eines westlichen Unternehmens, 1,2 Mrd. US-Dollar in neue Anlagen zu investieren, die mit weniger Energieverbrauch ein qualitativ hochwertigeres Nickel erzeugen.
7) In diesem Jahr wird mit einem Rekord in der Nickelproduktion gerechnet, nachdem den Verarbeitungsanlagen ein begrenztes Außenhandelsrecht eingeräumt wurde, um notwendige Inputs, die zuvor aus dem RGW kamen, anzuschaffen.
8) Der Kubanische Sozialismus hat sich nie zu einer vollständig starren Ideologie entwickelt. Soziale Gleichheit, Unabhängigkeit und Internationalismus/Antiimperialismus waren zentral für sein Entstehen – und blieben es. Es ist weniger ein dogmatischer Marxismus, sondern eine an diesen Idealen orientierte und von Personen wie J. Martí, Che u.a. geprägte Politik.
9) Obwohl eine genaue Betrachtung dazu führen würde, daß selbst bei Berücksichtigung der realen Werte der Anteil des Zuckers am Sozialprodukt wie am Exportwert zurückging wenn auch weniger als beabsichtigt.
10) Im größten Projekt dieser Art wurde unter Mitarbeit von 400 KubanerInnen eine Zuckermühle und Bewässerungsanlagen in Nicaragua aufgebaut, finanziert mittels eines kubanischen Kredits von 50 Mio. US-Dollar, der später erlassen wurde. J. Perez-Lopez in: Food Policy 2/1990, S.86-89.
11) Kuba ist auch das beste Beispiel dafür, daß nicht eine sexistische und rassistische Bevölkerungspolitik, sondern soziale Bedingungen die Faktoren sind, die eine "demographische Wende" einläuten.
12) eine der wenigen positiven Ausnahmen sind die Artikel in der ila, Nr. 153 und 154
13) So W. Benson, Zeit 17.4.92, S.17
14) "So entsteht ein Netzwerk", ein Bericht der TeilnehmerInnen an einer Studienreise zum Thema erneuerbare Energien und Ökologie in Kuba 1991
M.S.
analyse und kritik, 01.07.1992