Preise, mobiles Kino, Debatten und jede Menge neuer Filme


Notizen von der 36. Auflage des Festival des Neuen Lateinamerikanischen Kino in Havanna.



Die 36. Auflage des Festival Internacional del Nuevo Cine Latinoamericano, die vom 4. bis 14. Dezember in Havanna stattfand, wurde seinem Gründungsvater Gabriel García Márquez gewidmet. García Márquez verstarb 87-jährig vergangenen April in Mexiko.

Iván Giroud, seit zwei Jahren Präsident des Festivals, erklärte in einer Pressekonferenz vor Beginn der großen Filmschau in Havanna, dass es sich um eine Hommage an "Gabo" in seiner Beziehung zu Kuba und zum lateinamerikanischen Kino handelte. Dokumentarfilme über sein Leben und Werk wurden im Saal "Alfredo Guevara" des Pabellón Cuba gezeigt, die Stiftung des Nuevo Cine Latinoamericano organisierte Veranstaltungen, die nicht nur sein Werk ehrten, sondern auch die Schritte rekonstruierten, die zu den Gründungen der Stiftung des Neuen Lateinamerikanischen Films (1985), des Festivals ... (1979) und der Internationalen Film- und Fernsehhochschule Escuela Internacional de Cine y TV (1986) in San Antonio de los Baños geführt hatten. Bei allen Gründungen wirkte García Márquez federführend mit und alle stellen heute Institutionen dar, die für die kubanische und lateinamerikanische Kinematografie bis heute unersetzbar sind. Dies zeigt auch die jüngste Auszeichnung der großen Filmschau in Havanna, die von vielen oft auch kurz als Festival de la Habana bezeichnet wird. In besagter Pressekonferenz wurde den nationalen und internationalen Journalisten und Reportern ein Video über die Verleihung des "Premio Iberoamericano de Cine, Fénix" gezeigt, den Iván Giroud in seiner Funktion als President des Festivals entgegen genommen hatte. Giroud wurde der Fénix, der erstmalig von Cinema23* in Mexiko City vergeben wurde, für den unermesslichen Beitrag des Festivals zur Entwickung und Verbreitung der Filmografie in der Region, und zur Schaffung eines Publikums verliehen. "La Habana […] versteht den Kinofilm nicht nur als künstlerischen Ausdruck, sondern auch als Raum zur Reflektion über soziale Thematiken", lautete u. a. die Begründung der Jury.

Das Filmland Kuba war dieses Jahr mit spannenden Produktionen auf dem Festival zu sehen: vier Spielfilme nahmen am Wettbewerb teil: La pared de las palabras, von Fernando Pérez, Fátima o el Parque de la Fraternidad, von Jorge Perugorría, Venecia, von Enrique "Kiki" Álvarez, – die bisher noch nicht gestartet wurden –, und den im Ausland bereits vielfach ausgeszeichneten Film Conducta, von Ernesto Daranas. Letzterer wurde bereits für den US-amerikanischen Oscar und den spanischen Goya vorgeschlagen. Daneben gab es vier Kurz- und Mittellangfilme, fünf Animationsfilme, drei Dokumentarfilme und der Erstlingsfilm Vestido de novia von Marilyn Solaya. Neben Kuba nahmen insgesamt 116 Produktionen u.a. aus Argentinien, Brasilien, Uruguay, Kolumbien, Peru, Ecuador, Mexiko, Chile und Venezuela an den Filmwettbewerben teil.

Außerhalb des Wettbewerbs wurde Contigo pan y cebolla des kubanischen Regisseurs Juan Carlos Cremata Malberti präsentiert. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Héctor Quintero (1942-2011), bedeutender kubanischer Theaterdramaturg, Schauspieler und Theaterregisseur. Mit seinem Film setzt Cremata seinem langjährigen Kollegen Quintero ein Denkmal.

Der Eröffnungsfilm zum Festival war Relatos Salvajes, von Damián Zsifrón. Der sozialkritische und aus sechs verschiedenen Geschichten bestehende Film hatte bereits in seinem Herkunftsland Argentinien enorme Anerkennung seitens des Publikums und der Kritik erfahren, so dass er sich zu dem Filmereignis 2014 in Argentinien entwickelte. Nun war er in Havanna zu sehen.

Unter den Ehrengästen erwartete man in Havanna den Schauspieler Benicio del Toro aus Puerto Rico, der seinen neuesten Film Paraíso perdido präsentierte; sowie den russischen Regisseur Andrei Konchalovski; beide wurden mit der Ehrenkoralle Coral de Honor ausgezeichnet. Ebenfalls erwartete man die Teilnahme des nordamerikanischen Schauspielers Mat Dillon und seines spanischen Kollegen Paco León. Neben seinen zwei Spielfilmen wurde León durch seine sympathische Rolle des Luisma in der Serie Aída bekannt.

Weitere Gäste waren die Nordamerikaner Maria und André Jacquemetton, Drehbuchautoren der Serie Mad Men, die gemeinsam mit dem argentinischen Regisseur Diego Lerman ihre praktischen Erfahrungen in der Verfilmung von Fernsehserien in einem Seminar austauschte, oder der spanische Journalist und Stammgast vieler kultureller Veranstaltungen auf Kuba, Ignacio Ramonet, der zu spannenden Debatten zur Verfügung stand.

Neben den offiziellen Filmpreisverleihungen*, gab es Ehrungen, die u.a. an den uruguayischen Dokumentarregisseur Mario Handler und den österreichischen Regisseur Ulrich Seidl gingen, Letzterer in Kuba weitgehend unbekannt, trotzdem er eine der wichtigsten Persönlichkeiten im europäischen Kino darstelle. Auch gab es Retrospektiven auf die Werke von Raoul Pecky, des international wohl bekanntesten haitianischen Filmemachers, und des Argentiniers Jorge Cedrón (1942-1980), dessen komplettes Filmwerk vom argentinischen Filminstitut restauriert und digitalisiert wurde.

Ein besonderes Augenmerk legte Giroud in seiner Präsentation des Festivals zu Recht auf den unabhängigen afroamerikanischen Film, der bisher noch in keinem Buch über Filmgeschichte erscheint, trotzdem es seit 1910 Produktionen von schwarzen Filmemachern gäbe. Es ist das erste Mal, dass die Filmschau, welche die Jahre 1915 bis 1952 umfasst, außerhalb der USA gezeigt werde, erklärte er. Im Zusammenhang des unabhängigen nordamerikanischen Films wurden auch Filme von Jir Jarmusch und Sara Driver gezeigt, beides große Figuren des Films der 1980er Jahre.

Das Festival bietet für viele Debatten um das Thema Film eine Plattforum, im Rahmen derer sich nationale als auch internationale Interessierte austauschen können. Der 6. Dezember, der Tag der Kritik, begann morgens früh mit einer Tagung zu dem Thema Filmgesetz. Diese Tagung, von der kubanischen Vereinigung der kinemotografischen Presse (Asociación Cubana de la Prensa Cinematográfica, ACPC) veranstaltet, ist auch als Antwort auf die Forderungen zu verstehen, die eine generationsübergreifenden Gruppe von Filmemachern, darunter etwa Fernando Pérez (*1944) oder Eduardo del Llano (*1962), vom Mai 2013 an die Leitung des ICAIC heranbrachte.** Darin fordern sie u.a. die Legalisierung unabhängig produzierter Filme ein und ein Filmgesetz, dass u.a. diese Produktionen schütze.

"Eine Charakteristik des Festivals wird die digitale Projektion sein; das kubanische Filminstitut ICAIC konnte dank der Unterstützung des Kulturministeriums einen DSI-Projektor mit der hohen 4K-Auflösung anschaffen", erklärte Giroud schon in der Pressekonferenz. Diese machte es möglich, das Festival im Karl-Marx-Theater mit einer hochwertigen digitalen Projektion zu eröffnen. Der Projektor wird nach dem Festival im Kino Chaplin des ICAIC dauerhaft eingerichtet. Dank der Schenkung einer mobilen aufblasbaren 6 x 6 m großen Leinwand von der Bolivarischen Republik Venezuela ist es dem ICAIC wieder möglich, ein mobiles Kino einzurichten, das durch die Gemeinden Habana Vieja, Habana del Este, Cerro, Víbora, San Miguel del Padrón, Arroyo Naranjo, La Lisa und Regla wandern wird.

Film und Literatur ist auch in diesem Jahr wieder ein großes Thema. Die Buchpräsentationen, die traditionell im Hotel Nacional de Cuba stattfinden, seien dieses Jahr so zahlreich gewesen, dass man schon fast von einer Kinobuchmesse reden könne. Rund 40 Neuerscheinungen wurden vorgestellt, unter welchen die Titel von María Lourdes Cortés über das Filmschaffen von Gabriel García Márquez hervorzuheben seien, wie auch das Buch über den chilenischen Film in Bezug auf die lateinamerikanische Filmbewegung CON LOS OJOS ABIERTOS – EL NUEVO CINE CHILENO Y EL MOVIMIENTO DEL NUEVO CINE LATINOAMERICANO von Sergio Trabucco Ponce, einer der Protagonisten des Komites der Filmemacher aus Lateinamerika, der über das Neue Lateinamerikanische Kino ein Buch verfasst hat. Nicht zu vergessen der dritte Band der Chronologie über das kubanische Kino "CRONOLOGÍA DEL CINE CUBANO III (1945-1952)", von Arturo Agramonte und Luciano Castillo.

Die Filmpreisträger/innen sind ab 14. Dezember unter der Adresse http://www.habanafilmfestival.com/ nachzulesen.

Quellen:
– http://www.habanafilmfestival.com
– íGute Nachrichten vom 36. Festival des Neuen Lateinamerikanischen Kinoí. In: CUBARTE, 2014-11-26.

Redaktion/Übersetzung:
Ute Evers M.A., Unabhängige Literaturkritikerin FESTIVAL DE CINE CUBANO-CUBA IM FILM, Frankfurt/M.

Fußnote:
** Hintergrund: Im Mai 2013 versammelten sich spontan ca. 80 Filmemacher/innen und Produzenten/innen verschiedener Altersgruppen im Cafe "Erdbeere und Schokolade" in Havanna. Grund für das außerordentliche Treffen war: Es hatte sich eine Kommission zur Restrukturierung des staatlichen kubanischen Filminstituts (Instituto Cubano del Arte e Industría Cinematográficos, ICAIC) konstituiert, ohne dass man die Betroffenen, die Filmschaffenden, davon in Kenntnis gesetzt hatte. Die Forderung nach mehr Partizipation und einem Filmgesetz wurde an das Filminstitut herangetragen.




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Cuba kompakt, 15.12.2014