Mangos, Limonen und Diskussionen – Kuba jenseits von Tourismus und Strandhotels - Mit der europäischen Arbeitsbrigade "José Martí" im realen Sozialismus

Um es vorweg zu sagen: Keine Hektik nach dem Motto "noch schnell nach Kuba – bevor es wieder zur US-Kolonie wird".

Revolutionsmuseum
Foto: hu go

Die Erinnerungen der Kubaner an die Gräuel der Batista-Diktatur – Putsch 1952, Flucht im Dezember 1958 – sind noch allgegenwärtig, die feindliche Übernahme durch die USA – seit 1901 per Panzerkreuzer und später durch die "United Fruit Company" und ihrem Zuckermonopol – sind in vielen Gesprächen und Hinweisen präsent. Nicht zuletzt ist die völlig jenseits allen Völkerrechts erfolgte Annexion des Gebietes Guantanamo ein immerwährender Stachel. Zeitzeuginnen berichten von ihrer Zeit als Prostituierte für die US-Marine-Soldaten, oder wie die Männer auf dem Stützpunkt ganz gut bezahlt arbeiteten – aber heute sehr froh sind über die gesetzliche allgemeine Altersversorgung in Kuba, die niemanden ausgrenzt! All das wird permanent aufgefrischt durch die noch immer aktuellen Folgen der weiterbestehenden US-Blockade.

US-Blockade behindert Kuba

Vor allem Finanztransfers werden unglaublich erschwert: Da schlossen die USA mit Kuba seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen insgesamt acht Abkommen – das Achte übrigens regelt Austausch und Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, denn Kuba ist führend bei der Entwicklung und Anwendung "grüner", also rein pflanzlicher, Medizin. Nur kann niemand sagen, wie ein Austausch ohne finanzielle Transfers möglich sein soll – den US-Pharmakonzernen rein ideell etwas liefern?

Brigadisten aus 15 Ländern Europas zu Gast in Kuba

Dies und noch viel mehr sind Impressionen einer Kuba-Reise des Autors in diesem Sommer, in Deutschland organisiert von der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e. V., eingebettet in die Solidaritäts- und Arbeitsbrigade "José Martí", bestehend aus 105 jungen Leuten zwischen 19 und 77 Jahren aus 15 europäischen Nationen, inklusive der Türkei und der Russischen Föderation. Letzteres ist halt die typische Wahrnehmung von Europa von jenseits des Atlantiks, wie uns die Präsidentin von ICAP, unserer gastgebenden Organisation (Institut für die Freundschaft der Völker, einer dem Außenministerium vorgelagerten wichtigen Einrichtung) erläuterte.

Die Impressionen können hier auch deshalb nur skizziert werden, weil in drei Wochen keine belastbaren empirischen Befunde ermittelbar sind – der Autor möchte hier nicht den Beckenbauer machen, mit seiner berühmten Versicherung, er habe in Katar keine Sklaven gesehen mit Kapuze und in Ketten. Wohl aber können Eindrücke etwas sagen, und sie changieren zwischen kleinen Gesprächen beim Friseur auf dem Dorfplatz und hoch offiziellen Podiumsdiskussionen etwa zum Thema Menschenrechte.

Brigade Jose Marti
Foto: hu go

Arbeit – Diskussionen – Kultur

Apropos Podiumsdiskussionen: Nach den morgendlichen Arbeitseinsätzen auf benachbarten Landwirtschafts-Kooperativen – ab 10.30 Uhr geht jeder Europäer bei 35 Grad und gefühlten 100 Prozent Luftfeuchtigkeit restlos in die Knie und verkriecht sich in die schattenspendenden Bananenstauden oder Limonenbäume – und natürlich auch nach der wohlverdienten Mittagspause mit unvermeidlichen Bergen von Reis, Schweinefleisch, Süßkartoffeln und – besonders köstlich – Mangos bis zum Abwinken, nach der dringend nötigen anschließenden Siesta wurde zu den verschiedensten Themen in den wohlklimatisierten Konferenzraum geladen. Man muss anerkennen: Alles wurde angesprochen, kein Thema ausgelassen, von der ökonomischen Entwicklung, der landwirtschaftlichen Diversifikation, den Umweltproblemen beim Nickelabbau (übrigens neben etwas Kupfer dem einzigen nennenswerten "Bodenschatz" in Kuba) bis zur "Dissidentenfrage", der neuen Sonderwirtschaftszone Mariel in der Nähe von Havanna und dem Schicksal des Nuklear-Zentrums Cienfuego – dessen Reaktoren wegen der ständigen Gefahr von Anschlägen der Exil-Kubaner oder US-Agenten – gottseidank – nicht in Betrieb genommen wurden! Nicht alles konnte jedoch zu jedermanns Zufriedenheit beantwortet werden – sei dies Übersetzungsproblemen geschuldet oder dem – fatalen – kubanischen Hang zur Langatmigkeit.

Ein kleines Beispiel: das "Reparaturproblem". Von den Zuständen in Ländern des realen Sozialismus – etwa DDR oder UdSSR aus eigener Anschauung des Autors – sensibilisiert, wollte ich wissen, wie denn der "Reparaturfonds" organisiert sei, was passiert, wenn etwas kaputt geht, etwas repariert werden muss – z. B. an einem der 1000 neu aus der VR China gelieferten Busse (YUTONG)? Ein kleines Teil nur defekt, aber der ganze Bus ist außer Betrieb. Ähnlich ist es bei jeder Maschine, jeder Wasser- und Stromleitung. Was folgte war: beredtes Schweigen. Dem gegenüber der Augenschein: Wahre Meister sind die Kubaner beim Reparieren ihrer Autos – es gibt sie wirklich, die 50er-Jahre Cadillacs und Buicks! Repariert wird einfach, wo etwas kaputt geht, und sei dies in Mitten einer vielbefahrenen Straße, gänzlich ohne Hupkonzert übrigens. Gelassenheit und Improvisationstalent, das sind offensichtlich die Tugenden, die Überleben retten.

Erfahrungen der Sonderperiode

Das Stichwort "Überleben" ist für Kubaner keine ferne Horror-Vision, sondern lebendige Erinnerung an die "periodo especial", dem schlimmen Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der verschärften US-Blockade, dem damit verbundenen Rückgang nahezu aller Kennziffern um 70 bis 80 Prozent, kein verbilligtes Erdöl mehr gegen – überteuerten – Zucker, kein Milchpulver mehr aus der DDR, keine Ersatzteile mehr aus den anderen realsozialistischen Staaten. Aber Kuba hat es geschafft: Seit der Jahrtausendwende geht es langsam aber beständig aufwärts. Und man hat Lehren gezogen: "Nie mehr werden wir uns nur auf einen Partner (trotz aller kritischen Distanz, war dies über viele Jahre die UdSSR) verlassen!" So ist man Zug um Zug dabei, die Landwirtschaft umzubauen, denn Lebensmittel, die in Kuba geerntet werden können, brauchen nicht teuer importiert zu werden. Dies wurde uns in landwirtschaftlichen Kooperativen, in denen wir gearbeitet haben, erklärt und wir haben es "eigenhändig" gespürt: Zwar gibt es nach wie vor riesige Zuckerrohrfelder, daneben werden aber die schon gepriesene Mango angebaut, Bananen, Guave-Früchte, auch Getreide und etwas Mais. Außerdem sieht man Weideflächen ohne Ende, keine saftigen Almwiesen allerdings. Das lässt, der Natur geschuldet, nur eine sehr extensive Viehhaltung zu. "Wir verlassen uns auch heute nicht auf venezolanisches Erdöl, sondern arbeiten mit aller Kraft an der Stärkung von Solar- und Biogas-Energie", so das Resümée einer unserer Diskussionspartnerinnen.

Gerecht teilen, was man hat

Und noch eine Lehre springt ins Auge. Kuba definiert sich selbst als "kleines und armes Land" – es hat nur knapp über elf Millionen Einwohner, also erheblich weniger als Bayern. "Wir versuchen, das Wenige, das wir haben, gerecht zu verteilen", so das Credo. Es gibt keine – sichtbaren – Fehlentwicklungen, es gibt keinen parasitären Sektor, der Ressourcen zugunsten einiger weniger bindet und vergeudet.

Jeder hat genug zu essen – und das wird mit Hingabe und Leidenschaft, leider auch im übermaß, getan – so dass es, wie einige Ärzte erzählten, in der Tat auch Leiden schafft!

Brigade Jose Marti
Foto: hu go

Breite Bildung

Jeder hat eine Schulbildung, die in ganz Amerika ihres gleichen sucht. Das wird zwar wirklich von allen anerkannt, für uns besonders gut sichtbar aber auch die außerschulische Bildung im weiteren Sinne, in den sogenannten "Soziokulturellen Zentren" nämlich. Sie finden sich in den Wohnquartieren Havannas ebenso wie im kleinsten Dorf in den Bergen. Hier wird ein Lernen ermöglicht jenseits von Schablonen, es verbindet Hobby, Kunst und Spaß mit Orientierung und beruflichem Interesse-Wecken. Auch im kleinsten Dorf gibt es Ausstellungen, eine Bibliothek, sogar einen Buchladen haben wir entdeckt. Wie weit muss man bei uns auf dem Land fahren bis zur nächsten Bibliothek – aber wir haben ja Amazon …

Dreistufiges Gesundheitssystem

Noch etwas findet sich im kleinsten Dorf: ein Stück Gesundheitssystem. Es ist dreistufig organisiert: "Ganz draußen" die Familienärzte, vor allem zuständig für Prävention und Beratung. Für rund 2500 Einwohner ist dann eine Poliklinik zuständig, mit Ärzten nahezu aller Fachrichtungen für die ambulante Versorgung. Für besondere Fälle gibt es meist 4–5 Betten für eine kurzzeitige stationäre Aufnahme. Als Münchner muss man natürlich an unsere Diskussion über die überlasteten städtischen Kliniken denken, wo zwei Drittel der Notaufnahmen ambulante "Fälle" sind – kommunale Ambulatorien kommen über das Diskussionsstadium nicht hinaus. Zurück zu Kuba: Die dritte Versorgungsstufe sind die Kliniken in jedem der 15 Bezirke, die alle Fachrichtungen anbieten. Das Niveau erschließt sich dem Laien natürlich nicht, wohl aber ist sichtbar, dass alles auf einem apparativ relativ einfachen Level stattfindet. Aber ob der aufwendige Computer-Kernspintomograph wirklich immer so viel mehr bringt, als ein erfahrener Arzt in vielen Fällen ertastet?

Auch die Frage nach signifikanten Schwerpunkterkrankungen wurde offen beantwortet: Bluthochdruck, Cholesterin, die verschiedenen Folgen von Alkohol- oder Nikotinkonsum! Da haben wir sie also, "die drei Feinde des Sozialismus": Fressen, Saufen, Rauchen – fast eine heimatliche Symptomatik angesichts des gerade wieder aktuellen Wies΄n-Wahnsinns.

Mehr als nur Strand

Kuba ist mehr als Sandstrand, Cuba Libre und Zigarren – und wird hoffentlich auch für unsere EU bald zum vollwertigen Handelspartner jenseits der augenblicklich noch gültigen sklavischen Gefolgschaft zur US-Blockade, niedergelegt in einem fürchterlichen Papier namens "Gemeinsamer Standpunkt" (verfasst vom ansonsten längst vergessenen erzreaktionären spanischen Ex-Ministerpräsidenten Aznar)!

CUBA LIBRE Jürgen Lohmüller

CUBA LIBRE 1-2017