Havanna – du Wunderbare!

2003 habe ich erstmals Kuba besucht. Ich war in der Sierra Maestra auf der Kommandantur der Revolutionäre, als die US-Amerikaner waffenstrotzend in den Irak einmarschierten. Welch ein Kontrast! Seitdem hat mich die Kubanische Revolution und die Faszination des Aufbaus einer neuen Gesellschaft nicht losgelassen. Die verfluchte Knechtschaft, die haben sie gebrochen.

Panoramablick auf Havanna

Panoramablick auf Havanna, Foto: Brigitte Schiffler

Eine Pause vom Kapitalismus

2014 war ich mit dem ehemaligen Botschafter der DDR in Kuba, Heinz Langer, unterwegs. Wir trafen deutsche StudentInnen, die in Havanna studierten und in ihrem Blog schrieben: „Du brauchst eine Pause vom Kapitalismus?“ Ja, Ende 2015 brauchte ich das. Es war die Zeit einer großen internationalen Akzeptanz Kubas: Der Besuch Barack Obamas war angekündigt, die Rolling Stones wollten kommen. Im Westen wurde das meist so verstanden, dass Kuba sich auf dem Wege des Regime-Change befände. Selbst Teile der Solidaritätsbewegung fürchteten dies als mögliche Entwicklung und betrachteten die Situation mit großer Skepsis und wenig Vertrauen in die kubanischen GenossInnen. Ich dagegen wollte das tolle Gefühl genießen, an umfangreichen politischen Diskursen teilzunehmen und unter so vielen Menschen zu sein, die eine neue Gesellschaft wollen. Von Kuba lernen und darüber berichten – warum sollte das nur Studierenden vorbehalten sein? Und so fuhren Sabine und ich – beides Rentnerinnen – von Dezember 2015 bis Anfang März diesen Jahres für drei Monate nach Havanna. Natürlich sind meine Erfahrungen über Alltag und Kultur subjektiv. Ich war auch super privilegiert, hatte mehr Geld zur Verfügung als viele Kubaner und doch bei Veranstaltungen gleiche Bedingungen wie Einheimische. Wir waren zum Sprachunterricht an der Universität Havanna eingeschrieben und trafen dort Kommilitonen aus der ganzen Welt, jeden Alters – die meisten allerdings jung. Sie schätzten die kubanische Lebensweise, und die Stadt Havanna übte eine große Anziehungskraft aus.

Es gibt dort keine besonderen Stadtviertel für die Elite mehr. Nach 1959 wurden die Paläste, deren reiche Bewohner geflüchtet waren, als Wohnraum für viele oder für die Öffentlichkeit genutzt, als Museum oder Residenz von Organisationen und Verbänden. Viele Herrenhäuser können wir heute besichtigen, in machen übernachten oder essen gehen, bezahlbar für Normalverdiener. Die Hochhäuser der 20er, 30er Jahre wurden nicht für Glaspaläste von Banken und Versicherungen abgerissen, auch die Haupteinkaufsstraßen sind normale Wohnstraßen geblieben. Nach der kubanischen Revolution wurden erste Abrisse gestoppt. 1976 gab es einen Masterplan zum Schutze von Alt-Havanna und seines historischen Zentrums. 1981 wurde Dr. Eusebio Leal Spengler Historiker der Stadt von Havanna. Er nutzt heute die Einnahmen aus Cafés, Restaurants und Hotels auch zur Betreibung sozialer Einrichtungen.

Große Veränderungen: Hafen, Arbeit, Stadtentwicklung

Hafeneinfahrt von Havanna

Hafeneinfahrt von Havanna, Foto: Brigitte Schiffler


Was Havanna weithin attraktiv macht, ist seine Hafeneinfahrt, beschützt von kolonialen Festungsanlagen und Wachtürmen. Der alte Hafen wird in den nächsten 20 Jahren restauriert, das kontaminierte Wasser gesäubert, die Industrieanlagen stillgelegt – er wird leider auch Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe. Dennoch wird es kein Touristen- Disneyland werden, es wird schon jetzt von den Kubanern als Erholungsgebiet genutzt. Der alte Hafen von Havanna kann nur deswegen umgestaltet werden, weil seit fünf Jahren bei Mariel – 40 km westlich von Havanna – ein Tiefseehafen für Containerschiffe mit den modernsten Kai- und Umschlagsanlagen in Lateinamerika entsteht. 950 Millionen soll der Neubau des Handelshafens kosten, 640 Millionen davon sind brasilianische Kredite. Um sie zurückzuzahlen, sollen 13 000 Kubaner in den nächsten Jahren medizinische Dienstleistungen für 46 Millionen Brasilianer erbringen.

In Brasilien sind anscheinend nicht nur der halbstaatliche Ölkonzern Petróleo Brasileiro, sondern auch verschiedene Bauunternehmen, mehr als 500 Politiker und verschiedene Parteien in einen milliardenschweren Korruptionsskandel verwickelt – was hoffentlich keine Auswirkungen für den Handelshafen Mariel hat. Um den Hafen entsteht eine Sonderwirtschaftszone und dort soll mit Hilfe ausländischer Unternehmen selber produziert werden, was Kuba braucht. Hier sollen für die gut ausgebildete Jugend adäquate Arbeitsplätze entstehen. Auf keinen Fall wollen die Kubaner wieder abhängig werden von einer einzigen Wirtschaftszone. Sie setzen auf Verträge mit Firmen aus allen Kontinenten. Aber die Firmen kommen nicht, solange es die Blockade gibt. Trotz aller Ankündigung von Erleichterungen bei den Wirtschaftsbeziehungen, wird die Blockade von den USA nach wie vor auf der ganzen Welt durchgesetzt.

Die Jugend nutzt das Internet


Kubaner im Netz

Kubaner im Netz, Foto: Brigitte Schiffler

Das Funktionieren eines Hafens wie Mariel hängt auch von der Telekommunikation ab. Für 2 CUC die Stunde kann jetzt jeder mit zuvor gekauften Karten an 700 Plätzen ins Internet gehen. Es gibt 65 Wifi-Zonen, davon 18 in La Habanna. Außer auf der Straße kann man sich in Hotels, Internet-Cafés und in Jugendcomuputerclubs einloggen – falls das Netz das verkraftet. Wir sind auch oft rausgeflogen. Kein Wunder – es gibt mittlerweile 3 , 5 Millionen Mobiltelefone, allein 800 000 wurden 2015 aktiviert.

Im Moment verlassen gut ausgebildete Kubaner das Land, weil sie fürchten, dass die USA das Cuban Adjustment Act ändern und damit ein Aufenthaltsrecht auf Lebenszeit und zahlreiche weitere Privilegien für Exil-Kubaner abschaffen könnten. Auf der anderen Seite gibt es Kubaner, die jetzt nach Kuba wegen der Lebensqualität zurückkehren. In Havanna wird das Bild nicht wie in westlichen Großstädten von Kriminalität, Obdachlosigkeit, Prostitution und Drogen bestimmt.

Es gibt auch nicht das Ausmaß an Konkurrenz, Einsamkeit, Konsumrausch und Jugendwahn. Es wird sehr auf Gemeinsamkeit geachtet, darauf, dass niemand ausgegrenzt wird.

Kulturelle Großereignisse, spannende Konferenzen

Buchmesse in Havanna

Buchmesse in Havanna, Foto: Brigitte Schiffler


Beeindruckt haben mich das Programm des Internationalen Festivals des Neuen Lateinamerikanischen Films, das jedes Jahr im Dezember stattfindet, und die Buchmesse – ein weiteres kulturelles Großereignis im Februar.

Am Wochenende ist halb Havanna auf der Cabaña – überall Menschenmengen, die sich mit Interesse Bücher anschauen, aber auch anderen Vergnügungen nachgehen. Diskussionsrunden und Konferenzen findet man in der ganzen Stadt an diversen Veranstaltungsorten. Die Cuban 5 stellten ihre neuen Bücher vor. Wir sahen sie auch auf der Feier zum 55. Jahrestag des Instituts für Völkerfreundschaft, das zugleich den 1. Jahrestag ihrer Rückkehr feierte.

Martí-Kongress 2016

Martí-Kongress, Foto: Brigitte Schiffler


Ende Januar war die II. Internationale Konferenz "Con todos y para el bien de todos"– zu Ehren von José Marti und benannt nach einer seiner Reden: "Mit allen und zum Besten für alle". Im Gebäude, in dem sonst das Parlament tagt, nahmen Intellektuelle, Lehrkräfte und Künstler aus 50 Ländern an der Konferenz teil, um Gedanken über die komplexen Probleme des 21. Jahrhunderts auszutauschen. Eröffnet wurde sie von dem Befreiungstheologen Frei Betto, der in einer Zeit, in der uns das kapitalistische System zu Konsumenten formen will, eine Ethik in der Politik verlangte. Interessant auch die Forderung von Enrique Ubieta nach einer anderen, einer sozialistischen Globalisierung. Er war als neuer Herausgeber von "Cuba socialista" angekündigt, der theoretischen Zeitschrift der kommunistischen Partei. Noch sind keine Hefte in den Buchhandlungen zu finden, die Webseite ist eine Baustelle. Aber ich hoffe, dass es dort demnächst eine fundierte theoretische Debatte geben wird.

Gefallen hat mir auch die Art der Diskussion auf der Konferenz. Alle Beiträge wurden gleich gewürdigt. Es gab keine Wichtigtuerei und Pöstchenbenennung. José "Pepe" Mujica, der Expräsident Uruguays, beendete die Veranstaltung mit den Worten, kein Land außer Kuba könnte so eine Konferenz auf die Beine stellen. Havanna – du Wunderbare! No pasarán! Pasaremos! Es gäbe noch so Vieles zu berichten. Ich komme wieder.

CUBA LIBRE Brigitte Schiffler, Cuba Sí Hamburg

CUBA LIBRE 4-2016