Unabhängig, souverän und frei

Seit dem Sieg der Revolution wird über Kubas Angelegenheiten in Havanna entschieden

Am 1. Januar 1959 siegte die Rebellenarmee unter Führung ihres Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz in einen Kampf, der rund 90 Jahre zuvor mit dem "Ruf von Yara" (Grito de Yara) begonnen worden war. Mit diesem Aufruf hatte der Gutsbesitzer Carlos Manuel de Cespedes am 10. Oktober 1868 den ersten Kubanischen Unabhängigkeitskrieg eingeleitet. Céspedes ließ die Sklaven seiner Zuckerhacienda "La Demayagua" frei und forderte sie auf, gemeinsam mit den Kubanern aller gesellschaftlichen Schichten gegen die Kolonialherrschaft zu kämpfen.


1959: Die siegreiche Befreiungsarmee

1959: Die siegreiche Befreiungsarmee
Foto: Raul Corralil


Seit Landung der spanischen Eroberer im Oktober 1492 war über die Angelegenheiten Kubas nicht etwa in Havanna, sondern am Hof von Madrid entschieden worden. Der Sieg über die Spanier im Jahr 1898 entpuppte sich bald als Scheinsieg, denn auch nach dem Rückzug der Kolonialmacht war Kuba nicht frei geworden. Die USA besetzten die Insel und blieben – auch nach deren formaler Unabhängigkeit im Jahr 1902 – deren wahre Herren. Die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen wurden weiterhin nicht in Havanna, sondern nun in Washington gefällt. Die wechselnden kubanischen Präsidenten waren meist korrupt und tanzten nach der Pfeife des Weißen Hauses, der Wall Street und US-amerikanischer Konzerne.

Erst mit dem Sieg der von Fidel und Raúl Castro, Che Guevara, Camillo Cienfuegos und anderen Comandantes angeführten Guerilleros wurde Kuba am 1. Januar 1959 wirklich unabhängig, souverän und frei. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde in Havanna über die Politik des Landes entschieden. Auch die humanistischen Visionen des Pädagogen, Schriftstellers und Freiheitskämpfers José Martí von sozialer Gerechtigkeit, gleichen Bildungschancen und dem Recht auf Gesundheitsversorgung für alle konnten nun erstmals umgesetzt werden. Dem kubanischen Nationalhelden, der am 19. Mai 1895 im Kampf gegen die Kolonialherren getötet wurde, war es zwar nicht vergönnt, die Umsetzung seiner politischen und sozialen Forderungen zu erleben, doch seine Büste, die heute vor jeder Bildungseinrichtung in Kuba steht, ist auch ein Symbol für die Verwirklichung der martianischen Ideen nach dem Sieg der Revolution.

Nach dem Tod Fidel Castros, dem Rückzug Raúl Castros aus der Führung von Regierung und Staat und dem Generationenwechsel auf nahezu allen Ebenen, wird Kuba heute von jungen Revolutionären geführt, die in ihrer Mehrheit selbst nicht in der Sierra Maestra gekämpft haben. Während die Gegner der Kubanischen Revolution sich von dem Generationenwechsel auch einen Systemwechsel versprachen, scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Für die jungen "Macher" im heutigen Kuba ist die Unabhängigkeit und Souveränität ihres Landes eine Errungenschaft, die sie ebenso wenig aufzugeben bereit sind wie das Recht auf kostenlose Gesundheitsversorgung, die Bildungschancen und die soziale Sicherheit, die sie der Revolution und der sozialistischen Gesellschaftsordnung verdanken. Die Mehrheit der heutigen Jugend in Kuba steht in der Tradition von Cespedes, Martí und Fidel Castro. Davon zeugen nicht zuletzt die jungen Kubanerinnen und Kubaner, die sich als Mediziner, Pädagogen, Ingenieure und sonstige Fachkräfte in aller Welt in "Missionen" engagieren. Ob bei der Choleraepidemie in Haiti im Jahr 2010 oder dem Ebola-Ausbruch in Westafrika im Jahr 2014: Kubanische Helfer riskieren wie einst die Guerilleros in der Sierra ihr eigenes Leben, um andere – ganz im Sinne Martís und Fidels – zu retten oder zu unterstützen. Diese Internationalisten beweisen durch ihr Handeln, dass Che Guevaras Vorstellung von einem "Neuen Menschen", dessen Handeln nicht von Egoismus, Gewinnsucht oder dem eigenen Vorteil bestimmt wird, in Kuba Realität geworden ist. Kubas Engagement für eine "andere Welt" demonstriert darüber hinaus täglich die universelle Bedeutung und die globale Wirkung der Revolution.

Primär-Schule

Diese Generation wird hoffentlich mit anderen Waffen kämpfen können.
Foto: CC0 1.0 / Public Domain

Die heutigen Revolutionäre müssen nicht mehr wie frühere Generationen in den Bergen mit dem Karabiner für die Unabhängigkeit ihres Landes kämpfen. Ihre Waffen sind heute Bücher, Mikroskop und Skalpell; ihre Einsatzgebiete sind Forschungslabore, Operationssäle, Bildungseinrichtungen und Online-Redaktionen. Ihr Kampf gilt der Beseitigung des Analphabetismus, der Eliminierung von Seuchenherden und der Verbesserung von Lebensbedingungen für die einfachen Menschen eben auch in anderen Ländern. Sie engagieren sich für Erhalt und Schutz der Umwelt, eine nachhaltige Entwicklung und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, in der niemand ausgegrenzt oder abgehängt wird.

Auch in Kuba sind Gesellschaft und Wirtschaft im Wandel. Das Land steht heute vor zahlreichen neuen Herausforderungen: Mangelnde Produktivität, niedrige Einkommen, ein geringes Warenangebot oder Mängel beim Transport und in der Versorgung sind nicht zu leugnen. Wer damit jedoch – wie neoliberale Ideologen, aber auch einige sich selbst als progressiv bezeichnende Besserwisser – ein Scheitern des kubanischen Modells belegen will, ignoriert die Entwicklung in weiten Teilen der Welt, einschließlich der hoch entwickelten Industrieländer in Europa und Nordamerika. Während die meisten Länder Lateinamerikas noch immer durch soziale Ungleichheit, Massenarbeitslosigkeit, fehlende Bildungschancen und Gesundheitsversorgung sowie durch Armut, Hunger und Gewalt geprägt sind, hat Kuba die meisten dieser Probleme seit 60 Jahren überwunden. Trotz der umfangreichsten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, die je über ein Land verhängt wurde, verhungert in Kuba niemand. Kein Kind muss auf der Straße leben; Kindersterblichkeit und die Analphabetenrate liegen unter den Werten der USA und die durchschnittliche Lebenserwartung der kubanischen Bevölkerung ist die höchste aller lateinamerikanischen Länder.

Obwohl die nach Florida geflohenen Gefolgsleute des Diktators Fulgencio Batista, die enteigneten Großgrundbesitzer und Konzernherren, im Chor mit den Reaktionären aller Länder seit 60 Jahren den "unmittelbar bevorstehenden Untergang des Kubanischen Sozialismus" prophezeien, ist die Revolution bis heute unbesiegt. Weder Invasion noch Terroranschläge, weder Subversion noch die vergifteten Ratschläge falscher Freunde konnten das kubanische Volk erneut in die Knie zwingen.

Nur wer bereit ist, die Tatsachen zu ignorieren, kann Castro und das kubanische Modell als gescheitert bezeichnen. Wie ihr Comandante Fidel Castro haben die kubanischen Revolutionäre es verstanden, scheinbare Niederlagen in Siege zu verwandeln. Heute gilt der Erhalt von Chancengleichheit, sozialer Gerechtigkeit und der Revolution als der von Fidel Castro 1961 definierten "sozialistischen und demokratischen Revolution der einfachen Leute, von den einfachen Leuten und für die einfachen Leute" als eine der größten gesellschafts- und innenpolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre. Es geht dabei auch um die mit dieser Revolution gewonnene Unabhängigkeit, Souveränität und Würde des kubanischen Volkes. Die Schlüsselfragen für die Zukunft des Landes hat der frühere Präsident Raúl Castro in dem Satz zusammengefasst: "Wenn wir die Revolution verlieren, verlieren wir die Unabhängigkeit."

CUBA LIBRE Volker Hermsdorf

CUBA LIBRE 1-2019