Das fehlende Rezept für den Sozialismus

Kubas sozialistische Ökonomie

Wer Kuba mit Sympathie aus der Ferne beobachtet, macht sich in diesen Zeiten vermutlich Sorgen. Ist die Insel noch auf Kurs in Richtung Sozialismus? Oder erleben wir derzeit das Schlingern in die Strudel der Marktwirtschaft und ihres Pendants, des Kapitalismus?

Raúl Castro nannte die Annahme, es gäbe ein fertiges Rezept, nach dem der Sozialismus zuzubereiten sei, einen der größten Fehler der Revolution. Mittlerweile hat man daraus gelernt, dass der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft im Einklang mit seinen historischen Bedingungen zu stehen hat. Die kubanische Revolution musste sich in den letzten 60 Jahren immer wieder neu an die veränderten objektiven Bedingungen anpassen. Die Unfähigkeit der kubanischen Revolutionäre, ihre eigenen Fehler zu korrigieren, ist – um Fidel Castro zu zitieren – dabei das Einzige, was den Sozialismus in Kuba möglicherweise zum Scheitern bringen könnte.

Die Wirtschaftspolitik des sozialistischen Kubas versteht man nur, wenn man sie in ihrer geschichtlichen Entwicklung begreift. Kuba war nach seiner "Entdeckung" für vier Jahrhunderte eine Kolonie, vielleicht eine der wichtigsten der spanischen Krone. In dieser Zeit wurde eine gigantische Zucker- Monokultur eingerichtet. Danach litt die Insel für sechs Jahrzehnte in der neokolonialen Abhängigkeit von den USA. In dieser Zeit entwickelte sich eine Zuckerindustrie mit einer kleinen Arbeiterklasse und einer Bourgeoisie vor allem in der Hauptstadt. Eine der strategischen Weichenstellungen der Revolutionären Regierung bestand in der Industrialisierung des Landes, inklusive des Aufbaus eines Bildungssystems, welches in großem Maße unter anderem Techniker und Ingenieure hervorzubringen in der Lage war.

Die Selbstbestimmung des kubanischen Volkes ist die erste Errungenschaft der kubanischen Revolution. Der Sozialismus ist für die Kubanische Revolution kein Ziel an sich, sondern die notwendige Voraussetzung für die Souveränität des Landes. Man weiß nur zu gut, dass eine Rückkehr der Multis und Monopole auf die Insel auch die Rückkehr des (neo-)kolonialen Diktats bedeuten würde. Daher liegt aus kubanischer Sicht der Schlüssel für die eigene Unabhängigkeit in der Verhinderung der Konzentration des Privateigentums an Produktionsmitteln.

Sich verändernde Eigentumsformen

Die Kubanische Revolution hatte zunächst einen nationalen, demokratischen Charakter und vermied in den ersten beiden Jahren (1959 und 1960) das Wort "Sozialismus". Tatsächlich war das Programm der Landverteilung insbesonders agrarisch geprägt. Den Bauern den Acker zu übereignen, auf dem sie leben, war DAS historische Versprechen der Guerillas um Fidel Castro gewesen. Das zweite Versprechen war: Bildung und Gesundheit für alle.

Am ersten Tag der Invasion in der Schweinebucht im April 1961 erklärte Fidel Castro dann öffentlich den sozialistischen Charakter der Revolution. Am fünften Tag, nach der Niederlage der Invasoren, übernahm US-Präsident Kennedy die Verantwortung für den Fehlschlag. Am sechsten Tag verhängte der US-Regierungschef eine Wirtschaftsblockade über Kuba, die bis zum heutigen Tag andauert. Die Sowjetunion bot umgehend ihre Hilfe an, und Kuba wurde für die nächsten drei Jahrzehnte Teil der sozialistischen Staatengemeinschaft. Die Revolutionsregierung übernahm zahlreiche Elemente der sozialistischen Wirtschaft nach dem Vorbild der Sowjetunion, so die Produktion auf großer Skala und die Bürokratie der zentralen Planung. Im Zuge der "Revolutionären Offensive" im Jahr 1968 wurde fast das gesamte Kleingewerbe sowie die kleinen Dienstleister verstaatlicht. Mit Ausnahme der bäuerlichen Kleinbetriebe gingen bis 1970 sämtliche Wirtschaftsbereiche in Staatseigentum über.

Auf dem I. Parteitag der KP Kubas im Jahr 1975 wurde in enger Orientierung am sowjetischen Modell das Staatseigentum zum Ziel der Sozialistischen Entwicklung erklärt: "Der Aufbau des Sozialismus bedeutet: Die Überwindung aller Arten von Privateigentum an Produktionsmitteln in der Sozialwirtschaft und damit die Bildung eines einzigartigen Wirtschaftssystems, in dem es nur kollektive soziale Formen des Eigentums über die Produktionsmittel gibt". Auf dem Papier war Kuba damals "lupenrein" sozialistisch. Die sich entwickelnde Form des Sozialismus war aber der kubanischen Souveränität nicht nur zuträglich. Die kubanische Wirtschaft entwickelte und industrialisierte sich, allerdings unter starker Subventionierung durch die Sowjetunion. Die politisch gewollte Vollbeschäftigung konnte nur durch eine Überbeschäftigung in Staatsbetrieben erreicht werden. Hohe Löhne im produktiven Sektor und in der Landwirtschaft sowie üppige leistungsunabhängige Zuwendungen des Staates an die Beschäftigten sorgten zwar zumindest im "goldenen Jahrzehnt" der 1980er für einen gesicherten Lebensstandard der kubanischen Bevölkerung. Die staatlichen Betriebe arbeiteten aber auch damals schon nicht effizient, was aber durch die massive Förderung durch die sozialistische Staatengemeinschaft zunächst wenig auffiel. Ende der 1980er Jahre wurde dann deutlich, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit dem sozialistischen Lager für Kuba zwar eine große Unterstützung bedeuteten, aber auch viele Probleme brachten: Produziert wurde in einer wenig effizienten Form und mit wachsenden Produktivitätsverlusten. Es hatte sich eine einseitige Konzentration der Außenmärkte auf die Kooperation mit den sozialistischen Ländern entwickelt, die Abhängigkeit vom Monokulturprodukt Zucker war ungebrochen. Und Kuba war stark abhängig von den wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Sowjetunion.

Schon vor dem Ende der Sowjetunion unternahm Kuba daher Anstrengungen, sich von ihrem Modell zu lösen. Auf dem III. Parteitag der KP Kubas im Jahr 1986 wurde das genossenschaftliche Eigentum eingeführt. Alles noch existierende Privateigentum sollte fortan entweder als Staats- oder als Genossenschaftseigentum existieren. Doch Ende 1991 brachen die sozialistischen Wirtschaftspartner weg. Die Sowjetunion war Geschichte, und Kuba verlor 85% seines Außenhandels.80% der Industriebetriebe standen still. Das Land war über Nacht gezwungen, sich dem kapitalistischen Weltmarkt zu öffnen. Es begann die "Sonderperiode in Friedenszeiten". 1993 wurde der US-Dollar wieder als Zahlungsmittel zugelassen und später in das kubanische Dollar-Äquivalent CUC überführt, private Tätigkeiten wurden zugelassen.

Im schwierigsten Moment der Sonderperiode im Jahr 1995 bestätigten in einer Volksabstimmung 85 Prozent aller Kubaner den sozialistischen Charakter der Revolution. Die gewaltige ideologische Mobilisierung sicherte der Revolution das Überleben, die Wirtschaftsplanung des Landes begrenzte sich jedoch seitdem zwangsläufig auf ständiges Krisenmanagement. Unter den seit der Sonderperiode herrschenden Bedingungen der Anbindung an den Weltmarkt und der schweren Last der US-Blockade erwiesen sich die in den ersten Jahren der Revolution praktizierten übereilten Maßnahmen als schwere Bürde für die kubanische Wirtschaft. Eine im Sozialismus eigentlich undenkbare Situation trat ein: Die Löhne reichten nicht zum Überleben. Eine ganze Generation von Werktätigen wuchs mit der Erfahrung auf, dass anständige Arbeit nicht zum Überleben reicht und Schwarzmarkt und illegale Nebentätigkeit der Schlüssel zu einem bescheidenen Wohlstand sind. Die fatalen Konsequenzen, die dies für das revolutionäre Bewusstsein hatte, sind bis heute in Kuba deutlich spürbar.

Sozialismus ohne Kapital

Spätestens ab 2008 war klar, dass Kuba sich auf einen wirtschaftlichen Kollaps zubewegte. Die weltweite kapitalistische Krise traf Kuba wie alle "Dritte-Welt-Staaten" besonders hart. Dazu kam noch die US-Blockade, die Kuba im Wirtschafts-, Handels- und Finanzbereich zusetzte. Die Produktivität der staatlichen Betriebe stand – von wenigen Nischen abgesehen – in keinem Verhältnis zum Aufwand des gezahlten Lohnes. Die langjährige Politik, jedem arbeitsfähigen Kubaner einen Lohn zu garantieren, ohne dafür eine Leistung einzufordern, hatte eine chronische Überbesetzung von Belegschaften hervorgebracht. An der Spitze der Unternehmen standen oft Parteikader, die wenig von den Vorgängen in dem jeweiligen Produktionszweig wussten.

Seit der Sonderperiode hing Kuba selbst im Falle von Nahrungsmitteln, die erfolgreich auf der Insel angebaut werden könnten, von devisenzehrenden, ausländischen Importen ab. Der im industriellen Stil betriebene Zuckeranbau war auch nach durchgeführten Rationalisierungsmaßnahmen weit davon entfernt, effizient zu arbeiten und verlor Jahr für Jahr an Bedeutung. Industrie, Infrastruktur und Wohnraum waren veraltet und mussten dringend erneuert werden. Das Land war in einer Sackgasse angekommen. Der internationale Sozialismus, insofern er überhaupt noch bestand, konnte oder wollte nicht helfen.

Die Geschichte zeigte ihre ironische Fratze: Dem sozialistischen Kuba mangelte es an Kapital.

Widersprüchliche Maßnahmen

Präsident Raúl Castro gab im August 2009 vor der Nationalversammlung die Entscheidung für eine grundlegende Umgestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes bekannt. Man wolle mit einer möglichst breiten Beteiligung der Bevölkerung die Eigenschaften der sozialistischen Wirtschaft unter den damaligen und zukünftigen Bedingungen neu definieren. Ziel sei es, allen Kubanern ein gutes Leben zu garantieren und die Unumkehrbarkeit des Sozialismus zu sichern.

Im November 2010 legte ein Ausschuss des Zentralkomitees der KP Kubas ein "Projekt Leitlinien" zur Umstrukturierung der kubanischen Wirtschaft vor. Dieser Entwurf wurde in Vorbereitung des VI. Parteitages auf 163.000 Versammlungen im ganzen Land diskutiert. Nach den Diskussionen in den Arbeitsgruppen des Parteitags wurden im April 2011 vom VI. Parteitag der PCC 313 Leitlinien beschlossen. In ihnen wurde ein größerer Raum für marktförmige Wirtschaftsbeziehungen und nichtstaatliches Eigentum im System der Wirtschaftsführung anerkannt. Zudem sollten die Entscheidungen über wirtschaftliche Maßnahmen dezentralisiert werden. Parteikader wurden aus administrativen Wirtschaftsfunktionen zurückgezogen. Staat und Partei sollten deutlich voneinander getrennt werden.

Raúl Castro rief in seinem Bericht an den VI. Parteitag 2011 zur Verteidigung des Sozialismus auf. Keine der Errungenschaften der Kubanischen Revolution dürfe aufgegeben werden, im Gegenteil: Ziel sei es, sie in der Qualität zu steigern und zu sichern. Es seien aber Hemmschuhe für die Entwicklung der Produktivkräfte zu beseitigen, wie sie der Zentralismus der Verwaltungsvorgänge und die Unflexibilität in der Betriebsführung darstellten. Diese Prozesse müssten von einer Perfektionierung der staatlichen Planungseinrichtungen begleitet werden. Die Planwirtschaft bleibe das Hauptmerkmal. Die sozialistische Betriebsführung müsse sich aber hüten, in Widerspruch zu den sich verändernden Bedingungen des Marktes zu geraten.

Raúl Castro erklärte bei der Vorstellung der Leitlinien, niemand solle der Illusion aufsitzen, es handele sich um eine Rückkehr zum kapitalistischen und neokolonialen Kuba vor der Revolution. Die Konzentration von Eigentum an Produktionsmitteln in privater Hand schloss er aus.

Privates und gemischtes Eigentum

Mipymes

Mit den Kleinst-, Klein- und mittleren Unternehmen (Mipymes) werden neue Formen des Eigentums an Produktionsmitteln erprobt.
Foto: Trabajadores


Das Problem war dabei, dass die Strategie des Erneuerungsprozesses der kubanischen Wirtschaft ein Wirtschaftswachstum voraussetzte, welches in den Jahren nach 2011 aus verschiedenen Gründen nie erreicht werden konnte. Auf dem VII. Parteitag der KP Kubas im Jahr 2016 mussten die Leitlinien daher noch einmal überarbeitet und für die kommenden fünf Jahre angepasst werden. Zudem wurde ein "Wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungsplan bis 2030" verabschiedet. Das bedeutendste Element des Dokuments befasst sich mit den Eigentumsverhältnissen. In ihm erfolgt die Anerkennung des Marktes, allerdings bei einem allgemeinen Vorrang von Staatseigentum und Planung. Es werden verschiedene Formen von KMUs (Kleine und Mittlere private Unternehmen) definiert. Hinzu kommt die Möglichkeit der Verbindung von Privateigentum und nationalen Genossenschaften mit staatlichen Unternehmen als neue Variante des gemischten Eigentums.


Die Corona-Pandemie und die damit verbundene weltweite Wirtschaftskrise traf Kuba hart und die wirtschaftliche Entwicklung blieb erneut unter den anvisierten Wachstumsraten. Auf dem VIII. Parteitag im April 2021 wurden im Sinne des Entwicklungsplans bis 2030 weitere Umwandlungen im wirtschaftlichen Bereich beschlossen. Den sozialistischen Staatsunternehmen wurde eine größere Unabhängigkeit zugesprochen. Die Abläufe im nicht-staatlichen Sektor wurden stärker geregelt, eine Lohnreform beschlossen und Maßnahmen für mehr Effizienz im Agrarbereich getroffen. Obwohl staatliche Unternehmen auch in Zukunft die Basis der Wirtschaft bilden, soll der Privatsektor seinen Anteil dadurch ausweiten können. Ausgenommen davon bleiben weiterhin Schlüsselbereiche wie Gesundheit, Energieversorgung, Telekommunikation, Medien und Bildung.

Taxi

Mit den neuen Eigentumformen erhofft man sich größere Flexibilität in der Wirtschaft.
Foto: cubahora


Im August 2021 traten die Gesetze zu den neuen Wirtschaftsakteuren in Kraft, welche unter anderem die Gründung von kleinen und mittleren Unternehmen ermöglichen.

Auch Staatsbetriebe können heute im selben gesetzlichen Rahmen als KMU operieren. In der Praxis ist eine solche Umwandlung vor allem für "nicht-strategische" lokale Unternehmen vorgesehen. Produktions- und Dienstleistungskooperativen dürfen jetzt auch außerhalb der Landwirtschaft gegründet werden. Von Privatisierungen ausgenommen bleiben weiterhin Schlüsselbereiche wie Gesundheit, Energieversorgung, Telekommunikation, Medien und Bildung.


Balancieren auf dem Grat

Energiesektor

Es gibt Hoffnung auf Erholung auch im Energiesektor.
Foto: cubahora.cu


Die kubanische Regierung ist gezwungen, die begonnene Gratwanderung weiterzugehen, will der kubanische Sozialismus nicht in Schönheit sterben. Investitionen ausländischer Unternehmen auf Kuba mussten weiter erleichtert werden. Seit August 2022 sind auch ausländische Investoren im Bereich des Groß- und Einzelhandels zuzulassen. Kleine und mittlere Unternehmen können unter Aufsicht des Ministeriums direkt mit ausländischen Partnern interagieren. Das Wirtschaftsministerium erklärte dazu, die bisherigen Schritte auf diesem Gebiet seien "nicht ausreichend gewesen, um die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu bremsen". "Wir befinden uns in einem komplexen Szenario, das uns zwingt, riskante Entscheidungen zu treffen, die von entsprechenden Kontrollmaßnahmen begleitet werden", so eine Sprecherin der Regierung.

Im Zentrum dieser Maßnahmen steht die Erhöhung der Produktivität und des Produktionsniveaus. Nur dies ermöglicht es, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und macht zugleich die nationale Wirtschaft weniger anfällig für das Auf und Ab der internationalen Wirtschaft. Seit Januar 2021 wurde die Doppelwährung zusammengeführt, es gibt nur noch den kubanischen Peso (CUP). Zugleich wurden die Löhne, Gehälter und Renten angehoben. Die seit Beginn der Revolution bestehende monatliche allgemeine Lebensmittelzuteilung wurde weiter gekürzt. Dafür erhalten über eine Million bedürftiger Familien eine gezielte staatliche Unterstützung. Dies alles geschah inmitten der Pandemie, auf einem Tiefpunkt der nationalen Produktion. Eine fatale Inflation von 77 Prozent im Jahr 2021 und 13,4 Prozent im Jahr 2022 war die Folge.

Das Hauptproblem bleibt aber seit der Coronapandemie und dem zurückgegangenen Tourismus der Mangel an Devisen. Die Deviseneinnahmen des Landes sind deutlich niedriger als vor der Pandemie, die notwendigen Importe jedoch um ein Vielfaches höher. Hier trifft die US-Blockade Kuba besonders hart. Jedes Jahr Blockade kostet das Land etwa 5,570 Milliarden Dollar – Geld, das Kuba nicht hat. Zum Vergleich: Der Betrag entspricht mehr als dem Doppelten dessen, was Kuba in einem Jahr an Lebensmitteln importiert und das Zehnfache, was es 2022 für Investitionen in der Landwirtschaft zur Verfügung hatte. Ein kapitalistisches Wirtschaftssystem würde das Dilemma leicht lösen, indem es die Ärmsten über die Klinge springen lässt. Der Sozialismus dagegen will und muss an alle denken. Die kubanischen Genossen müssen sehr genau über den nächsten Schritt nachdenken und haben dabei kaum Raum für Fehler, denn das sozialistische Land steht in vielerlei Hinsicht mit dem Rücken zur Wand.

Ein Schritt vorwärts, zwei zurück

Volker Hermsdorf überliefert, dass Fidel Castro die im Jahr 1993 durch ihn erfolgte Zulassung privater Tätigkeiten mit den Worten kommentierte: "Diese Maßnahmen gefallen uns nicht, einige sind unausstehlich, werden unser Leben, unsere Gesellschaft verändern".

Raúl Castro warnte in seiner letzten Rede als Parteivorsitzender, es gebe Grenzen, die Kuba nicht überschreiten dürfe, weil das zur Zerstörung des Sozialismus führen würde: "Es scheint, dass Egoismus, Gier und der Wunsch nach höheren Einkommen einige Menschen dazu ermutigen, den Beginn eines Privatisierungsprozesses zu wünschen, der die Grundlagen und das Wesen der sozialistischen Gesellschaft, die in mehr als sechs Jahrzehnten aufgebaut wurde, hinwegfegen würde." Ohne Sozialismus würden auch das nationale Bildungs- und das öffentliche Gesundheitssystem, die beide kostenlos und allgemein zugänglich für alle Kubaner sind, in kurzer Zeit zerstört werden. Castro mahnte: "Man darf nie vergessen, dass die Kontrolle über die grundlegenden Produktionsmittel die Basis unseres Sozialismus ist."

Die Ökonomie der Kubanischen Revolution ist eine Geschichte der ständigen Suche nach dem Weg zum Sozialismus, eine Geschichte von Aufbrüchen, Fehlern und ihren Korrekturen. Seit dem Ende der Sowjetunion steht Kuba unter dem Druck des Weltmarkts und ist den Angriffen der US-Blockade nahezu schutzlos ausgeliefert. Die Blockade ist das Terrain, auf dem der Imperialismus seinen internationalen Klassenkampf gegen das sozialistische Kuba führt. Kuba, seine Kommunistische Partei und die Regierung sind wiederum um eine kontrollierte Defensive bemüht, müssen sich in der Tendenz immer wieder taktisch zurückziehen und Wirtschaftsbereiche der Privatisierung freigeben, um das große Ganze der sozialistischen Produktionsweise zu erhalten und zu verteidigen.

Ob dies auf Dauer gelingt, ist auch davon abhängig, unter welchen internationalen Bedingungen Kuba zu kämpfen hat. Aus der Sicht der in Deutschland lebenden Freundinnen und Freunde Kubas ist das auch eine gute Nachricht: Wir können etwas tun. Unsere Solidarität im Kampf gegen die US-Blockade kann den Kubanerinnen und Kubanern unter Umständen den verlängerten Atem geben, den sie brauchen, um nicht wieder in die Fänge des Imperialismus zu fallen. Wir sind also nicht dazu verdammt, untätige Beobachterinnen und Beobachter zu sein. Wir können etwas tun.

CUBA LIBRE Tobias Kriele

CUBA LIBRE 2-2023