Der VIII. Parteitag der KP Kubas unter den Vorzeichen von Soberana, Abdala und Mambisa.
In den Statuten der KP Kubas ist festgehalten, dass alle fünf Jahre der Parteitag zusammenzukommen habe. Nicht immer war dem auch so. Aber seit dem VI. Parteitag im Jahr 2011, welcher die Grundzüge eines gesellschaftlichen Erneuerungsprogramms beschloss, wurde der Rhythmus präzise eingehalten, um diesen Prozess zu begleiten und nachzusteuern. Dementsprechend widmete sich der VIII. Parteitag, der vom 16.–19. April 2021 stattfand, vor allem der Analyse und Korrektur dieser gewaltigen Unternehmung, der "Aktualisierung des kubanischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells", wie es in Kuba heißt.
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Erneuerung: Ende der "Ära Castro"
In der Wahrnehmung der internationalen bürgerlichen Medien stand der VIII. Parteitag unter dem Motto vom "Ende der Ära Castro". Die Vorstellung, dass Kuba eine Insel sei, die den Castros gehören würde und von einer Familienherrschaft geprägt sei, geistert durch die Köpfe der Meinungsmacher in Europa und vor allem in den USA. Dort taucht die "Familie Castro" sogar im Text des Helms-Burton-Gesetzes auf.
Die Kubanische Revolution, wenn man sie auf das Jahr 1959 datiert, ist tatsächlich eng mit den Personen Fidel und Raúl Castro verbunden. Fidel Castro wollte ursprünglich nicht das Staatsoberhaupt Kubas werden, hat sich zunächst dagegen verwahrt und dann das Amt doch akzeptiert – vermutlich weil zum damaligen Zeitpunkt niemand anders in der Lage gewesen wäre, die Werte der Revolution in dem Maße zu verkörpern. Im Jahr 2006 übergab Fidel seine Verantwortungen aufgrund seiner Erkrankung an mehrere Personen. Den Großteil der Verantwortung übernahm Raúl Castro, Fidels langjähriger politischer Weggefährte und zweifelsohne der wichtigste Vertreter der "historischen Generation", welche die Revolution von 1959 zum Sieg führte.
Mit Raúl an der Spitze der Partei hat 2011 der politische und wirtschaftliche Erneuerungsprozess begonnen, dessen Ziel unter anderem ist, den Generationswechsel in Partei und Gesellschaft erfolgreich zu gestalten. Der diesjährige VIII. Parteitag markiert den Moment, in dem fast alle Angehörigen der "historischen Generation" ihre Verantwortungen an jüngere Revolutionäre übergaben: Am Ende des Zentralen Berichts der Parteiführung an die Delegierten erklärte bis dato Parteichef Raúl Castro seinen Rückzug aus den Leitungsfunktionen der Partei. Er beabsichtige, der Partei bis zu seinem Lebensende als einfaches, aktives Mitglied treu zu bleiben, endete Castro unter Beifall.
Zentraler Bericht
Vorher hatte Raúl Castro im zentralen Bericht des Politbüros an den Parteitag mahnende Worte für den Stand des Erneuerungsprozesses der Kubanischen Revolution gerichtet.
In Kuba seien mittlerweile in 2000 Einzelberufen private Kleinstunternehmen („Arbeit auf eigene Rechnung“) zugelassen. Die Ausweitung der Branchen, in denen private Wirtschaftsformen zugelassen werden, entspringe aus der Notwendigkeit, die nicht-staatliche Unternehmensführung zu institutionalisieren und zu flexibilisieren. Castro kritisierte jedoch in ungewohnt deutlichen Worten, dass jede Ausweitung dieses Bereichs von Rufen nach einem Mehr an Privatisierung gefolgt werde: "Offensichtlich führen Egoismus, Gier und Gewinnstreben zu dem Wunsch, dass ein Privatisierungsprozess in Gang gesetzt werde, der die Grundlagen und das Wesen der in sechs Jahrzehnten aufgebauten sozialistischen Gesellschaft hinwegfegt. Auf diesem Weg würden wir in kürzester Zeit auch das staatliche Bildungs- und Gesundheitswesen zerstören, beide kostenlos und für alle zugänglich." Der scheidende Parteivorsitzende griff auch diejenigen scharf an, die "darauf hoffen, das sozialistische Staatsmonopol über den Außenhandel des Landes zu zerschlagen". Castro warnte den Parteitag davor, diesen Fragen unvorbereitet oder naiv zu begegnen. Es gebe Grenzen, die nicht überschritten werden dürften, "weil die Konsequenzen unwiderruflich wären und zu strategischen Fehlern führen würden, zur Zerstörung des Sozialismus und dadurch der nationalen Souveränität und Unabhängigkeit". Es dürfe nie vergessen werden, so Raúl, dass die Machtbasis der Arbeiterherrschaft im Volkseigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln bestehe.
"Die Partei ist die Seele der Revolution" |
Der Sozialismus stünde jetzt vor der Herausforderung, Mechanismen zur Regulierung des Marktes zu entwickeln, die auf möglichst indirekte, "harmonische" und weniger administrative Weise wirkten. Dabei müsse die Nachfrage der Bevölkerung im Vordergrund stehen, so Castro. Die weitgehende Abschaffung des Lebensmittelheftes Libreta solle nicht rückgängig gemacht werden. Gleichzeitig machte Castro deutlich, dass der punktuelle Handel in Devisen einer Notlage entsprungen sei und keine strategische Orientierung des Aktualisierungsprozesses darstelle.
Auch die Währungszusammenführung habe sich wie erwartet als komplizierter und widersprüchlicher Prozess dargestellt. Nicht ohne Grund habe man sich so lange Zeit nehmen und sich mit Experten und internationalen Institutionen austauschen müssen. Ebenso habe man sich mit den Erfahrungen in China und Vietnam beschäftigen müssen – "bei allen bestehenden Unterschieden". Castro nannte die auf dem VII. Parteitag beschlossene Bestimmung des Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells "den theoretischen und konzeptionellen Leitfaden für den Aufbau des Sozialismus in Kuba". Damit stellte er auch klar, dass Kuba die Entwicklung in den asiatischen sozialistischen Staaten mit Interesse betrachtet, sich aber nicht an ihren Modellen orientiert.
Von der Partei forderte er, sie müsse ihre Demokratie innerhalb der Organisation weiterentwickeln und zu einem offenen Meinungsaustausch kommen, in dem auch unterschiedliche Positionen deutlich werden könnten. Es sei ihre Aufgabe, sich stärker in der Arbeiterschaft und der Bevölkerung an sich zu verankern und die Bürgerinnen und Bürger Kubas stärker in die grundlegenden Entscheidungen einzubeziehen. Die ideologische Arbeit der Partei müsse überarbeitet werden, so Castro: Verstärkt müssten die Grundsätze und Werte, die aus der Revolution entsprungen seien, in den Mittelpunkt gestellt werden.
Kontinuität
Mit Miguel Díaz-Canel ist nicht nur eine neue Person in die Verantwortung gekommen. Der neue Parteivorsitzende steht auch für ein neues Modell. Díaz-Canel ist nicht der Nach-Nachfolger von Fidel, sondern der erste Amtsträger in einer neuen, kollektiveren und weniger personenabhängigen Form der politischen Verantwortung. Dieser Übergang ist das Ergebnis eines seit Jahren planmäßig betriebenen Veränderungsprozesses, in dem die politische Verantwortung gezielt in die Hände junger, weiblicher, nicht-weißer Menschen gelegt wird. Díaz-Canel repräsentiert eine neue Logik, die viel weniger von Einzelpersönlichkeiten abhängt und dafür stärker von Kollektivität bestimmt ist. Politischer Referenzpunkt ist der des historischen Gesamtprozesses der Kubanischen Revolution, welcher nach kubanischer Rechnung im Jahr 1868 begann. Dementsprechend wurde mit der Bühnendekoration des VIII. Parteitags der nationale Bezug symbolisch in den Vordergrund gestellt: Statt Marx, Engels und Lenin prangten über dem Rednerpult der „geistige Urheber“ der Revolution, José Martí, die Gründer der KP Kubas in den 1920er Jahren, Julio Mella und Carlos Baliño sowie der Comandante en jefe Fidel Castro. Die Lehren Raúls wurden auf dem VIII. Parteitag in den ideologischen Kanon der Partei aufgenommen, jetzt neben José Martí, dem Marxismus-Leninismus und dem geistigen Erbe Fidel Castros stehend.
Der neue Vorsitzende betonte, dass die Partei vor der Aufgabe stehe, trotz der erfolgten personellen Verjüngung weiterhin die Meriten jener historischen Generation zu verkörpern, welche die Revolution im Jahr 1959 siegreich sein ließ. Der Führungsanspruch und die moralische Autorität der Partei seien die Garanten für Kontinuität, so Díaz-Canel nach dem Parteitag. Zum Avantgarde-Anspruch der Partei gehöre auch das beispielhafte Verhalten ihrer Mitglieder.
Der Parteitag beschäftigte sich in drei Kommissionen mit jeweils einem im Vorfeld vom Politbüro erarbeiteten Leitdokument: zur Umsetzung der lineamientos, Fragen der Ideologie und Massenverankerung sowie zur Kaderpolitik.
In der ersten Kommission wurde der aktuelle Stand des wirtschaftlichen Erneuerungsprozesses und der sozialistischen Entwicklung bearbeitet. Dabei wurde die komplizierte globale Lage mit der Verschärfung der US-Blockade und der Corona-Pandemie diskutiert. Sie hat dazu geführt, dass viele der 2011 und 2016 formulierten Ziele nicht erreicht und teilweise noch nicht einmal in Angriff genommen werden konnten. Selbstkritisch wurden viele Nachlässigkeiten benannt, die ein effizientes Vorgehen verhinderten und gleichzeitig dazu führten, dass die einzelnen Schritte nicht ausreichend an die Bevölkerung vermittelt wurden. Es wurden insgesamt 201 neue oder überarbeitete Leitlinien beschlossen. Sie stehen im Zeichen der Stärkung des sozialistischen Staatsbetriebs, der Lösung struktureller Probleme in der Nationalökonomie, der Umsetzung der Währungsangleichung, der Entwicklung von Wissenschaft und Technik und der Verteidigung sozialer Errungenschaften unter den neuen Bedingungen.
Die zweite Kommission bearbeitete Fragen der Ideologie und der Massenverankerung der Partei und knüpfte damit an die Parteikonferenz von 2011 an.
Die dritte Kommission behandelte die Kaderpolitik.
Einerseits wurde festgestellt, dass immer mehr junge, weibliche und nicht-weiße Mitglieder die Partei prägten. Im Vergleich zum letzten Parteitag hat die PCC 27.000 zusätzliche Mitglieder gewinnen können. Dennoch gilt die Mitgliedschaft immer noch als überaltert, denn 42,6% sind älter als 55 Jahre. Auch in dieser Kommission wurden die Probleme vieler Kader offen benannt: Eine unzureichende Verbindung zur Gesamtbevölkerung, Unfähigkeit und Unsensibilität, die es ihnen erschwerten, die Kollektive zur Lösung von Problemen zu animieren sowie nicht zuletzt Probleme der Korruption, die als "Bedrohung für die Nationale Sicherheit" eingeschätzt wurden.
8. Parteitag der Kommunistschen Partei Kubas |
Kritisch wurde in der Debatte die Rolle der PCC in der kubanischen Gesellschaft gewürdigt. Es wurde gefordert, die PCC müsse die Interessen der gesamten Bevölkerung vertreten und dafür demokratischer, partizipativer und mehr auf Konsens orientieren sowie kollektiver arbeiten.
Nachbereitung unter den Massen
In diesem Sinne wurden im Anschluss an den Parteitag die diskutierten Themen an die Parteibasis getragen. Dabei werden acht Leitfragen im Anschluss an den Parteitag in Kuba unter den Parteimitgliedern diskutiert: Kontinuität der Revolution; Die Rolle der Partei und der Einheit; Kaderpolitik; Ideologische Aktivität; Sozialistische Demokratie; Wirtschaft; Blockade und Außenpolitik sowie die Landesverteidigung.
Die Massenorganisationen sind in diesen Nachbereitungsprozess eingebunden. So haben die Nachbarschaftskomitees (CDR), die unter der Leitung von Gerardo Hernández Nordelo, einem der "Cuban Five", der auf dem Parteitag in das ZK gewählt wurde, stehen, bereits 8000 Versammlungen durchgeführt, auf denen die Ergebnisse des Parteitags diskutiert wurden. Grundlage der Debatte sind die drei historischen Leitdokumente der gegenwärtigen Etappe der Revolution: die auf dem Parteitag aktualisierten Leitlinien, die sozio-ökonomische Strategie zum Aufbau des Sozialismus bis 2030 sowie die 2019 verabschiedete Verfassung.
Fazit
Der Parteitag hat in einem von der Corona-Pandemie geprägten Moment stattgefunden. Das sozialistisch geprägte System Kubas hat dabei seine potentielle Überlegenheit gegenüber den kapitalistischen Staaten unter Beweis gestellt. Die gesellschaftlichen Ressourcen konnten auf die Bekämpfung der Pandemie fokussiert werden, zudem ist das Gesundheitssystem in Kuba ohnehin auf Prävention ausgelegt. Kuba hat wie selbstverständlich eine Medikamentierung der Corona-Erkrankung entwickelt, nach der kapitalistische Ökonomien wie die deutsche heute noch suchen. Dabei profitiert Kuba von der systematisch entwickelten Biotechnologie und zunehmend auch der Eigenentwicklungen in der Medizintechnik, die Fidel Castro besonders am Herzen lagen. Kuba war bewusst, dass es durch die Blockade als allerletztes Zugang zu den in den kapitalistischen Zentren entwickelten Impfstoffen haben würde. Es entwickelt daher Impfstoffe für den globalen Süden und gibt den Ländern, die durch das Raster des Weltmarktes für Medikamente fallen, eine Hoffnung.
In dem Sinne macht ein Gedanke Sinn, der als Kommentar zum Parteitag in der Parteizeitung Granma veröffentlicht wurde: In Kuba stellt sich jetzt die Generation an die Spitze, die zuvor ausgezogen ist, um gesundheitliche Versorgung in alle Welt zu bringen. Drei Namen stehen heute in Kuba für die Intelligenz und das Bewusstsein, die der Sozialismus hervorgebracht hat: Die der drei Impfstoffe Soberana, Abdala und Mambisa. Sie sind die würdigen Nachfolger von Martí und Fidel. Sagt die Granma.
Tobias Kriele
CUBA LIBRE 3-2021